Landtagswahl in Thüringen: „AfD erreicht zwei Drittel der Menschen nicht“ | ABC-Z
Der Thüringer SPD-Spitzenkandidat Maier rügt, dass der ständige Ampel-Streit den Ost-Wahlkampf untergrabe. Er erklärt ein Bündnis mit dem BSW für möglich – aber nur, wenn die Landespartei sich von Wagenknecht nicht die Agenda diktieren lasse. Er warnt, die Mobilisierungsmacht der AfD zu überschätzen.
Georg Maier, 57, ist seit 2017 Innenminister in Thüringen. Er führt seine SPD als Spitzenkandidat in die Landtagswahl am 1. September.
WELT: Herr Maier, den Ampel-Parteien droht in Thüringen eine schwere Wahlniederlage. Ihre SPD liegt in den Umfragen bei sechs bis sieben Prozent, Grüne und FDP deutlich unter der Fünf-Prozent-Hürde. Lässt sich dieser negative Trend in den zwei letzten Wahlkampf-Wochen noch wenden?
Georg Maier: Bei Wahlkämpfen kann immer im letzten Augenblick noch ein Momentum entstehen. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf den letzten Metern noch viele Unentschlossene gewinnen und in den Zahlen zulegen können. Natürlich ist der Bundestrend gerade nicht hilfreich für uns. Das ist ja auch nicht ganz unverständlich. Die aktuelle Performance der Berliner Koalition ist tatsächlich verbesserungsbedürftig.
WELT: Was nervt Sie besonders?
Maier: Es geht weniger um die Inhalte, da hat die Ampel-Koalition tatsächlich viel weggearbeitet. Es geht um die Kommunikation dieser Bundesregierung. Der ständige Streit in Berlin ist kontraproduktiv für unseren Wahlkampf. Das wird mir hier täglich widergespiegelt.
WELT: Was könnte Ihnen in den kommenden zwei Wochen noch helfen?
Maier: Eine Dauerdebatte über den Bundeshaushalt, wie wir sie in den vergangenen Wochen wieder erlebt haben, sicherlich nicht. Statt in die Öffentlichkeit zu gehen, hätte Herr Lindner besser mal zum Handy gegriffen und den Kanzler angerufen. Die Themen, die die Rechtsgutachten zum Haushalt aufgeworfen haben, waren sehr überschaubar. Das hätte man auch unterhalb der Wahrnehmungsgrenze lösen können. Aber die FDP ist nun mal auf Krawall aus. Mit dem Thüringer Landesverband liegt die Bundes-FDP ohnehin über Kreuz. Die versuchen sich hier gegenseitig eins auszuwischen.
WELT: Welchen Anteil hat aus Ihrer Sicht die Bundespolitik an dem negativen Trend für die SPD in Thüringen?
Maier: Es fehlt dem Berliner Politikbetrieb oft an Empathie für die Menschen in den ostdeutschen Bundesländern. Für deren Geschichte, die nun einmal eine ganz andere ist als die im Westen. Es waren die Ostdeutschen, die in der Nachkriegszeit die Lasten des Zweiten Weltkriegs viel stärker getragen haben. Im Osten wurden Fabriken demontiert. Es gab keinen Marshall-Plan. Da ist es kein Wunder, dass die Leute hier das Thema Frieden tief in sich tragen.
Frau Wagenknecht mit ihrem BSW, auch die AfD beuten das kräftig aus und kombinieren es mit antiamerikanischen Narrativen. Um dem entgegenzutreten, müssen wir unsere Sicherheitspolitik besser erklären. Die Entscheidung über die Stationierung von Marschflugkörpern kam mehr oder weniger aus dem Nichts. So etwas hilft einem im Wahlkampf hier eher nicht.
WELT: Das BSW, das in den Umfragen mittlerweile bei 19 Prozent liegt, will eine thüringische Initiative gegen die Stationierung von US-Marschflugkörpern zur Bedingung für eine mögliche Regierungsbeteiligung machen. Halten Sie unter diesen Umständen eine Koalition mit der Wagenknecht-Partei für denkbar?
Maier: Frau Wagenknecht versucht gerade alles, um ein solches Bündnis unmöglich zu machen. Ihr geht es nicht um Thüringen. Ihr geht es um sich selbst. Aus dem Saarland diktiert sie Bedingungen, und Frau Wolf, die Spitzenkandidatin hier, übernimmt diese Bedingungen eins zu eins. Und das, obwohl alle genau wissen, dass ihre Forderung in der Sicherheitspolitik weder mit der SPD noch mit der CDU zu machen sind.
WELT: Da die CDU zugleich Koalitionen mit der AfD und der Linkspartei ausschließt, wird es in Thüringen absehbar auch nach dieser Wahl sehr schwierig werden, eine Koalition zu bilden. Was passiert, wenn sich alle gegenseitig blockieren?
Maier: Dann bleibt die jetzige Landesregierung erst einmal geschäftsführend im Amt. Aber das streben wir überhaupt nicht an. Jetzt ist Wahlkampf, das ist eine Zeit der Zuspitzungen. Nach der Wahl sollte es möglichst gelingen, die ganzen bundes- und geopolitischen Themen auszuklammern.
WELT: Um dann welche Koalition zu bilden? Die FDP warnt gerade vor Rot-Rot-Rot-Grün, also einem Bündnis von Linkspartei, BSW, SPD und Grünen.
Maier: Ich kann mir nicht vorstellen, dass es zu so einer Verbindung kommen könnte. Das BSW spaltet sich von der Linkspartei ab, um ein paar Monate später mit ihr zu koalieren? Daran glaube ich nicht.
WELT: Sondern?
Maier: Ich sehe eine realistische Chance für ein Bündnis aus CDU, SPD und BSW. Allerdings nur dann, wenn das Thüringer BSW zur Vernunft kommt und bereit ist, sich auf Thüringer Themen zu fokussieren.
WELT: CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt hat angekündigt, Gesetze im Zweifel auch mit den Stimmen der AfD durchzusetzen. Wäre das für die SPD auch eine Option?
Maier: Ich habe als Spitzenkandidat immer sehr deutlich gesagt, dass wechselnde Mehrheiten mit der AfD mit mir nicht zu machen sind. Das gilt auch weiterhin. Wir streben eine demokratische Mehrheitsregierung mit einer starken SPD an, die nicht auf die Unterstützung von Rechtsextremen angewiesen ist.
WELT: Ihre Partei versucht im Wahlkampf mit dem Versprechen zu punkten, Rentnern mit kleinen Einkünften 500 Euro Weihnachtsgeld zu zahlen. Wer hat Sie auf diese für den Thüringer Steuerzahler vermutlich ziemlich teure Idee gebracht?
Maier: Die Schweiz hat nach einer Volksabstimmung eine 13. Rente eingeführt. Das war für mich das Zeichen, darüber nachzudenken, ob das nicht ein Weg wäre, die immer größer werdende Lücke zwischen Ost- und Westrenten zu verkleinern. Es beträfe in der Summe 55.000 Thüringer Rentner und würde pro Jahr 27 Millionen Euro kosten. Das halte ich für leistbar. Die zuletzt von der CDU mithilfe der AfD durchgesetzten Steuergeschenke waren viel teurer.
WELT: Die AfD ist in diesem Wahlkampf die einzige Partei, die es schafft, die Menschen bei ihren Veranstaltungen zu begeistern. Alle anderen Parteien tun sich dagegen schwer, ihre Leute zu mobilisieren in diesem Wahlkampf. Woran liegt das?
Maier: Es gehört zur Folklore der AfD, mit großem finanziellem Einsatz in der Öffentlichkeit sehr präsent zu sein. Da können wir als Thüringer SPD weder finanziell noch personell mithalten. Und dennoch ist es so, dass die AfD zwei Drittel der Menschen nicht erreicht. Ich habe jedenfalls im bisherigen Straßenwahlkampf nur wenige getroffen, die offen Sympathie für die AfD signalisiert hätten.
WELT: Die AfD wird vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet. Kann es sein, dass dieser Umstand der Partei am Wahlabend eher nutzt als schadet?
Maier: Sie versucht das für sich auszunutzen, klar. Aber das darf für die Arbeit des Verfassungsschutzes keine Rolle spielen. Der schaut sich, wie es seine Aufgabe ist, die Publikationen und Äußerungen der AfD-Leute an und bildet sich dann eine Meinung, ob deren Inhalte noch mit dem Grundgesetz zu vereinbaren sind oder eben nicht. Auf dieser Grundlage erfolgt die Einstufung. Das ist der Job des Verfassungsschutzes.