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„Landsknechte, Ritter, Soldaten“: Die braunen Krieger | ABC-Z


„Landsknechte, Ritter, Soldaten“

Die braunen Krieger

FPÖ-Chef Herbert Kickl könnte demnächst österreichischer Bundeskanzler werden. In seine Zeit als Innenminister fällt eine Durchsuchung beim Rechtsextremisten Martin Sellner. Der wiederum gilt als Einflüsterer Kickls. Eine alte Kritzelei wirft ein Schlaglicht auf ihre Ideologie.

In Teilen sieht der Zettel aus wie ein Schlachtplan. Worte sind eingekastelt, andere unterstrichen. Dicke Pfeile führen zu weiteren Absätzen, in denen Parolen stehen, die mit dicken Ausrufezeichen enden. „Heizen wir ihnen ein!“, heißt es da, oder auch: „Lasst uns Helden werden!“ Und dann wird es martialisch. „Wir sind die Nachfahren von Kriegern, Landsknechten, Rittern, Soldaten“, ist in geschwungenen Buchstaben zu lesen, wobei sich nicht alle Worte zweifelsfrei identifizieren lassen. „Wir sind alle in diesen Krieg eingetreten, in dem das wehrlos gemachte, sturmreif geschossene Europa ausblutet und Tag für Tag schwächer wird.“ Die Kritzelei stammt von dem Rechtsextremisten Martin Sellner aus Wien, der längst auch in Deutschland ein Begriff ist.

Bereits vor Jahren hat die österreichische Polizei die Aufzeichnungen bei einer Hausdurchsuchung bei dem Rechtsextremisten sichergestellt, die Papiere sind seitdem vertraulich eingestuft, mit „nicht öffentlich“ gestempelt. Jetzt konnte sie der „Stern“ auswerten und so Einblicke in die Gedankenwelt des österreichischen Vordenkers der neuen Rechten erlangen, der seit dem Geheimtreffen von Potsdam im Januar 2024 auch in Deutschland bekannt ist. Damals stellte Sellner AfD-Politikern und Rechtsextremen sein Konzept der „Remigration“ vor – ein Plan für die massenweise Abschiebung von Menschen mit Wurzeln im Ausland. Hunderttausende gingen dagegen deutschlandweit auf die Straße, die AfD jedoch fordert „Remigration“ nun ganz offen im Wahlkampf.

„Dieser Krieg muss begonnen werden“

Sellner betont immer wieder, dass seine Identitäre Bewegung gewaltfrei und friedlich ihre Ziele verfolge. Die Notizen legen einen anderen Schluss nahe, auch wenn es keinen direkten Aufruf zu Gewalt gibt. „Damit dieser Krieg gewonnen werden kann, muss er begonnen werden“, fordert der Wiener. „Auch von unserer Seite!“ Solche Parolen haben Gewicht. Denn der Kopf der Identitären Bewegung in Österreich ist nicht irgendwer. Er gilt als einer der einflussreichsten Rechtsextremen, auch in Deutschland. Mit wichtigen AfD-Politikern ist er bekannt, er geht bei dem braunen Ideologen Götz Kubitschek im thüringischen Schnellroda ein und aus. Vor allem aber gilt er als Einflüsterer des FPÖ-Politikers Herbert Kickl, der in wenigen Tagen zum Bundeskanzler Österreichs gewählt werden könnte. Gegenüber dem „Stern“ versucht Sellner, der auch im deutschen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird, seine Aussagen von einst herunterzuspielen.

„Mit Krieg meinte ich, den ‚Infokrieg‘, also den metapolitischen Kampf um die Herzen und Köpfe“, schreibt Sellner auf eine Anfrage. „Bei der handschriftlichen Notiz handelt es sich um lose Notizen, die bei einer Razzia gefunden wurden“, bestätigt er. „Konkret ging es um Skizzen zu einer politischen Rede.“ Die Aufforderung zum Krieg ist also nicht wörtlich zu nehmen? Seine Gruppierung stehe seit mehr als zehn Jahren für kreativen, gewaltfreien, patriotischen Aktivismus. Für seinen rechtsextremen Feldzug will Sellner auf jeden Fall erste Siege erkennen. „Unser Infokrieg verläuft erfolgreich: Begriffe wie ‚Festung Europa‘, ‚Remigration‘, ‚Bevölkerungsaustausch‘, konnten von uns mitgeprägt werden“, schreibt der Wiener weiter. „Wir gewinnen – die linke Meinungsmacht wankt!“

Brisant sind die Papiere vor allem, weil schon länger über die Beziehung Martin Sellners zum womöglich baldigen Bundeskanzler Herbert Kickl spekuliert wird. Als es im März 2019 zu einer Hausdurchsuchung bei dem Kopf der Identitären kam, nachdem dieser zuvor 1500 Euro von dem Massenmörder erhalten hatte, der im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen getötet hatte, schien Sellner vorbereitet zu sein. 40 Minuten bevor die Polizisten bei ihm eintrafen, löschte er den Mailverkehr mit dem Attentäter. Zwölf Minuten dauerte es, bis Sellner die Polizisten eintreten ließ. Der Verdacht liegt nahe, der Rechtsextremist sei über die drohende Hausdurchsuchung informiert gewesen. Aber von wem? Herbert Kickl war zu dieser Zeit Innenminister. Entgegen den Vorgaben war mindestens ein hoher FPÖ-Beamter, der direkt unter Kickl diente, ebenfalls über die geplante Hausdurchsuchung informiert.

Geheimnisverrat?

„Für uns lag der Verdacht nahe, dass Martin Sellner aus dem Umfeld vom damaligen Innenminister Herbert Kickl vor der Razzia gewarnt worden sein musste“, sagt der SPÖ-Abgeordnete Kai Jan Krainer zum „Stern“. Ähnlich hatte es zuvor schon Peter Pilz gesehen, der seinerzeit für die Grünen im Parlament saß und bereits vor Jahren zur „Frage eines möglichen Verrats der Hausdurchsuchung an Martin Sellner“ nachhakte. Allerdings konnte ein etwaiges Leck bis heute nicht nachgewiesen werden.

Seit dem Auftritt des österreichischen Rechtsextremisten vor einem Jahr in Potsdam ist auf jeden Fall klar, dass Sellner nicht nur zu FPÖ-Vertretern, sondern auch zu den deutschen Gesinnungsgenossen von der AfD Kontakte unterhält. „Und dadurch ist er quasi eine ideologische Brücke, auch im Hintergrund“, sagt Steffi Krisper, Abgeordnete für die liberalen Neos in Wien zum „Stern“, „sehr geschickt gemacht zwischen diesen beiden Parteien und zwischen den Ländern Österreich und Deutschland.“ Der „Krieg“ des Martin Sellner klingt nicht wirklich wie ein „Infokrieg“, zumindest wenn man den Worten auf dem Zettel folgt. „Holen wir uns Wien zurück, Block um Block und Schritt um Schritt“, schreibt er noch. Auch in Berlin sollten die Pläne des braunen Vordenkers ernst genommen werden.

Dieser Text erschien zuerst beim „Stern“.

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