Politik

Lage in der Ukraine: Den Frieden verhindern | ABC-Z

Kaum etwas ließ Wolodymyr Selenskyj unversucht, um sich die Gunst des neuen US-Präsidenten zu verschaffen. In seiner Neujahrsansprache widmete er eine ganze Passage einem Lob der USA; in einem US-Podcast bescheinigte er Donald Trump, stärker zu sein als dessen Mitbewerberin Kamala Harris; „Putin hat Angst vor dir“, sagte er ihm nach eigenen Angaben persönlich. 

Geholfen hat es nicht. Nachdem Trump am zweiten Tag seiner Amtszeit Russland noch Sanktionen angedroht hatte, scheint das Tempo seines Kurswechsels sich in den vergangenen Tagen nahezu stündlich zu beschleunigen. Die Ukraine könne nicht mit der Rückgabe ihrer verlorenen Gebiete rechnen, für die Russland ja immerhin hart gekämpft habe und sie deshalb behalten könne, sagte Trump kürzlich. Am Dienstag erklärte er die Ukraine für schuldig am Krieg, Selenskyj am Tag darauf zum „Diktator“, der „kein Land mehr übrig“ haben werde, wenn er sich nicht auf Russland zubewege. Inzwischen berichten mehrere Medien, Trump wolle eine G7-Erklärung blockieren, weil Russland darin als „Aggressor“ bezeichnet werde. Immerhin fließen die Waffenlieferungen an die Ukraine – „vorerst“, wie Vizepräsident J. D. Vance in einem Post auf X hervorhob.

Vor allem die Enttäuschung über die zaghafte Unterstützung Joe Bidens hatte viele Menschen in der Ukraine dazu verleitet, ihre Hoffnung in Trump zu setzen. Nüchtern betrachtet schien das schon immer riskant: Trump machte Wahlkampf mit angeblicher Geldverschwendung bei den Ukrainehilfen. Vance sagte bereits 2022, ihm sei „egal, was mit der Ukraine passiert“. Träte die neue US-Regierung weniger als Unterstützer der Ukraine denn als Vermittler zwischen den Kriegsparteien auf, wäre das also folgerichtig.

Wolodymr Selenskyj und seine Delegation beim Treffen mit dem US-Vizepräsidenten J. D. Vance und weiteren US-Regierungsvertretern am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz. © Leah Millis/​Reuters

Doch was Trump inzwischen tut, geht nicht mehr als Vermittlung durch. De facto spielt er Russland in die Hände. „Die USA haben soeben die Seite im Ukrainekrieg gewechselt“, schreibt der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama: „Die Vereinigten Staaten ziehen sich unter Donald Trump nicht in den Isolationismus zurück. Sie schließen sich aktiv dem autoritären Lager an, indem sie rechte Autokraten weltweit unterstützen.“ Wann Trump wohl anfange, Waffen an Russland zu liefern, wird in ukrainischen sozialen Netzwerken ironisiert.

Auf den ersten Blick scheint diese Position angreifbar. Schließlich ist Selenskyj nicht der erste Staatschef, den Trump verbal attackiert. Und beim Treffen der US-Delegation mit russischen Diplomaten im saudischen Riad wurde bis auf die Aufstockung des gegenseitigen Botschaftspersonals wenig Konkretes beschlossen. Doch es ist nicht der Ton, in dem Trump die ukrainische Regierung anherrschte, der die mögliche Tragweite seiner Äußerungen offenbart. Sondern die zeitliche Abfolge kurz nach dem US-russischen Treffen – und der Gegenstand von Trumps Kritik: Die Forderung an die Ukraine, Wahlen abzuhalten. Unterfüttert mit der (falschen) Annahme, dass Selenskyj dabei chancenlos wäre.

Die angebliche Illegitimität des ukrainischen Präsidenten ist ein Narrativ, das nicht nur von russischen Staatsmedien, sondern von Putin persönlich regelmäßig in den Vordergrund gerückt wird. Weil die ukrainischen Gesetze keine Wahlen im Kriegszustand erlauben, blieb Selenskyj auch nach dem Ablauf seiner Amtszeit im vergangenen Mai Präsident. Und obwohl die Popularität des Präsidenten stetig sinkt: Auch seine Gegner wollen keine Wahl abhalten, an der Millionen Menschen inklusive der Soldaten an der Front nicht teilnehmen könnten.

Putin jedoch deutet immer wieder an, Selenskyj sei zu Entscheidungen im Namen der Ukraine nicht länger befugt; Reden könne er zwar „notfalls“ mit Selenskyj, so Putin – ein Friedensabkommen unterzeichnen, das gehe aber nicht. Wie dünn dieses Argument ist, zeigt dessen Fortsetzung: Mit dem ukrainischen Parlamentspräsidenten könne hingegen ein Abkommen geschlossen werden, behauptet Russlands Staatschef. Dabei fiel die Parlamentswahl ebenso aus, die Legitimität des Parlaments ist somit nicht höher als jene Selenskyjs.

Dass Putin Wahlen in der Ukraine will, verwundert nicht. Ein Machtwechsel in Kyjiw war von Anfang an Russlands erklärtes Kriegsziel. Zudem müsste die ukrainische Regierung, bevor sie Wahlen abhalten darf, das Kriegsrecht aufheben. Demonstrationen würden wieder zugelassen, ein mutmaßlich hochemotionaler Wahlkampf die letzten Reste einer von Selenskyj beschworenen nationalen Einigkeit beseitigen. Darauf muss sich die ukrainische Regierung ohnehin einstellen – doch es ist ein Unterschied, ob all das erst nach Kriegsende geschieht oder während des Krieges. Es wäre naiv zu glauben, dass Putin in letzterem Fall keinen Gebrauch davon machen würde, etwa in Form von Diskreditierungskampagnen oder gar einer neuen Offensive.

Ukrainische Soldaten schauen im April 2019 – damals im Donbasskrieg – einer TV-Debatte zwischen Wolodymyr Selenskyj und seinem Vorgänger Petro Poroschenko zu. © Gleb/​Reuters

Dementsprechend besorgniserregend dürften die Ukrainer nun Berichte wahrnehmen wie jenen des US-Senders Fox News, wonach die USA und Russland in Riad bereits über einen angeblichen Drei-Stufen-Plan gesprochen haben sollen. Zunächst sehe er einen vorübergehenden Waffenstillstand vor, anschließend Wahlen in der Ukraine und erst danach ein Friedensabkommen – das eine (womöglich neue) ukrainische Regierung unterzeichnen solle. Nicht nur Fox News will von derartigen Plänen erfahren haben, auch ein Europaabgeordneter der Grünen warnte öffentlich vor diesem Szenario. Russlands Außenminister Sergej Lawrow bezeichnete die Angaben als „Fälschung“. Doch dass die USA und Russland in Riad auch über Wahlen in der Ukraine gesprochen haben, bestätigte Russland wenig später.

Gerade Trumps Fokussierung auf das Thema Wahlen – er hätte sich schließlich auch andere Angriffsflächen aussuchen können – befeuert die Befürchtung, der neue US-Präsident verwirkliche einen russischen Plan. In Russland wird Trumps Kommunikation entsprechend gewürdigt: Im Kreml sei man überrascht davon, wie hart der US-Präsident die Ukraine angehe, berichtet das Portal Bloomberg unter Berufung auf Insiderkreise. Putins Sprecher Peskow sprach von „absoluter Zustimmung“ zum Ansatz der neuen US-Regierung. Und der russische Ex-Präsident Dmitri Medwedew schrieb mit Verweis auf Trumps Verbalattacke gegen Selenskyj: „Wenn man mir vor drei Monaten gesagt hätte, dass das die Worte eines US-Präsidenten sind, hätte ich laut gelacht.“ 

So viel zur Wirkung von Trumps rhetorischer Eskalation. Offen hingegen sind ihre Gründe. Naheliegend ist jener, den sein Sicherheitsberater Mike Waltz offen nannte: Selenskyj habe Trump nicht genug Respekt entgegengebracht, etwa als er ihm vorwarf, russischer „Desinformation“ anheimzufallen. Auch solle der ukrainische Präsident den Ressourcendeal unterzeichnen, den Trump ihm anbiete. Und zwar möglichst schnell.

Der Deal – privilegierter Zugang zu ukrainischen Ressourcen wie Seltenen Erden als Gegenleistung für Sicherheitsgarantien – ist eine Erfindung Selenskyjs. Er gehörte zum Unterstützungsplan, den der Präsident im vergangenen Herbst im ukrainischen Parlament vorstellte. Schon damals mutmaßten Beobachter, er sei auf Trump zugeschnitten. 

Doch was Trump Selenskyj aufzuzwingen versuchte – laut Medienberichten in ziemlich aggressiver Weise –, weicht stark davon ab. Nicht nur fordern die USA die Hälfte der Erträge, sondern betrachten sie auch noch als Gegenleistung für bereits erteilte Hilfen. Von Sicherheitsgarantien war in dem Dokument, auf dessen Unterschrift die USA bestehen, nach Angaben Selenskyjs nicht die Rede. Einen Ausverkauf seines Landes könne er aber nicht verantworten. Immerhin: Mehreren Berichten zufolge ist der Deal noch nicht endgültig geplatzt. Offenbar sind die USA bereit, auf einige von Selenskyjs Gegenvorschlägen einzugehen. Der ukrainische Präsident wirbt jedenfalls weiter dafür, stets unter Betonung dessen, dass es auch ein Sicherheitsabkommen sein solle.

Aber auch falls das Dokument zustande kommt: Viel wichtiger bleibt ein zugrundeliegendes Muster in den Entwicklungen der vergangenen Wochen, das womöglich Trump selbst nicht bewusst ist. Denn der US-Präsident ging geradezu dilettantisch in die Gespräche mit Russland. Nicht nur machte er bedeutende Zugeständnisse noch vor deren Beginn, etwa den klaren Ausschluss einer ukrainischen Nato-Mitgliedschaft. Auch stellte er eine Delegation zusammen, die kaum Regionalkenntnis hat – und sich in Riad dem gestandenen Außenpolitiker Lawrow mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung sowie weiteren Hochkarätern aus Putins unmittelbarem Umfeld gegenüberfand. Gewissermaßen hat Trump Kaninchen in einen Wolfsbau geschickt.

Trump nähert sich in seiner Rhetorik Putin an. Doch die US-Unterhändler scheinen jenen des russischen Präsidenten nicht gewachsen zu sein. © Maxim Shemetov/​Reuters

Trumps weitere Schritte sprechen dafür, dass bei den Gesprächen weniger erreicht wurde als erhofft. Denn sollte seine Annäherung an Russland nicht funktionieren, muss der US-Präsident zum Druck übergehen. Der lässt sich auf die von Waffenlieferungen abhängige Ukraine aber viel leichter ausüben als auf Russland. Dass es darauf hinauslaufen dürfte, ist schon seit Monaten eine naheliegende Vermutung. Schließlich hatte Trump versprochen, den Krieg innerhalb eines einzigen Tages zu beenden. Oder, wie es Matthew Miller, der Sprecher des US-Außenministeriums unter Biden, ausdrückte: „Das Ende eines Krieges zu verhandeln ist einfach, wenn man eine Kapitulation plant.“

Das analytische Portal Re:Russia bescheinigt Trumps Verhandlungstaktik einen „Twitter-Dilettantismus“, der schon jetzt zu einer „vernichtenden Niederlage“ im Umgang mit der russischen Führung geführt habe. Das Vorgehen erinnere an das Abkommen mit den Taliban, das zum fluchtartigen Rückzug der USA aus Afghanistan geführt habe, sowie an Trumps gescheiterten Versuch einer Normalisierung der Beziehungen zu Nordkorea. Im Gegenzug zu einer vagen Hoffnung, Kim Jong Un würde sein Atomprogramm beenden, fuhr Trump damals persönlich an die Grenze zwischen Nord- und Südkorea und verhalf dem Diktator zu einem prestigeträchtigen Treffen. Trump erreichte so nichts außer einer Legitimierung Kims – so wie er schon jetzt Putins diplomatische Isolation beendete.

Ähnlich, so steht zu befürchten, könnte es auch dieses Mal ausgehen. Trumps Versuch, einen ungerechten, aber dafür schnellen Frieden mit der Brechstange durchzusetzen, könnte den tatsächlichen Frieden – ob gerecht oder nicht – noch weiter aufschieben. Denn Zugeständnisse aus einer schwachen Position heraus haben Putin bislang noch nie zu Kompromissen motiviert. Im ungünstigsten Fall fordert Putin sogar noch mehr als bislang. Seinem Sprecher Peskow ließ er jedenfalls vergangene Woche ausrichten: Mit den USA wolle man nicht nur die Zukunft der Ukraine verhandeln. Sondern gleich die gesamte „Sicherheit auf dem europäischen Kontinent“.


OK, America? – Klaus Brinkbäumer und Rieke Havertz erklären die USA
:
Donald Trumps Putin-Verehrung


Das Zitat: Wie geht es weiter mit den Waffen?

Für die Ukraine sind Trumps Ressourcenforderungen, seine Zugeständnisse an Russland und sein harter Ton gegenüber Selenskyj schon an sich ein Problem. Doch die wirklichen Schwierigkeiten würden beginnen, sollte Trump noch weiter gehen – und beispielsweise die Waffenlieferungen einstellen, die bislang etwa die Hälfte der gesamten militärischen Unterstützung ausmachten.

Zwar laufen die Lieferungen nach ukrainischen und US-Angaben weiter. Doch das Budget dafür hatte Biden fast aufgebraucht, schon bald wäre ein neues Paket nötig. Es müsste vom republikanisch dominierten US-Kongress bewilligt werden. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, der ultrakonservative Abgeordnete Mike Johnson, macht jedoch keinen Hehl daraus, dass er das nicht gerade anstrebt:

Es gibt keinen Appetit dazu.

Mike Johnson über neue US-Waffenlieferungen an die Ukraine


© Valentyn Ogirenko/​Reuters


1094 Tage


seit Beginn der russischen Invasion


Die wichtigsten Meldungen: Sanktionen, Friedenstruppen und Macrons Mission

  • Großbritanniens Premier Keir Starmer hat seine Bereitschaft dazu erklärt, nach einem möglichen Waffenstillstand Friedenstruppen in die Ukraine zu entsenden. Auch Schweden schloss einen solchen Schritt nicht aus. Bei einem Treffen mit Donald Trump am kommenden Donnerstag im Weißen Haus könnte Starmer ihm seinen Plan dafür vorstellen. Berichten zufolge soll es um eine europäische Truppe von 30.000 Soldaten gehen.
Wolodymyr Selenskyj, Emmanuel Macron und Donald Trump im Dezember 2024 in Paris © Amaury Cornu/​Hans Lucas/​AFP/​Getty Images


Waffenlieferungen und Militärhilfen: Drohnen, Gefechtsfahrzeuge, Munition

  • Litauen hat der Ukraine militärisch nutzbare Ausrüstung wie Laster und Wärmebildvisiere im Wert von 80 Millionen Euro geliefert.
  • Aus Deutschland erhielt die Ukraine zuletzt 56 Gefechtsfahrzeuge, Flugabwehrraketen, vier Radhaubitzen, 52.000 Artilleriegranaten, 300 Kampf- und 338 Aufklärungsdrohnen. Darüber hinaus lieferte die Bundesregierung Minenräumpanzer, Grenzschutzfahrzeuge und Maschinengewehre.
  • Im Rahmen der sogenannten tschechischen Munitionsinitiative hat die Ukraine innerhalb eines Jahres nach Angaben Tschechiens 1,6 Millionen Artilleriegranaten erhalten. Das Projekt, bei dem Tschechien und weitere Länder auf dem Weltmarkt Munition für die Ukraine zusammenkaufen, werde weiterlaufen, kündigte Staatschef Petr Pavel an. Die Versorgung bis April sei gesichert.
Eine Vector-Aufklärungsdrohne im Juni 2024 in der Region Charkiw © Inna Varenytsia/​Reuters


Verfolgen Sie alle aktuellen Entwicklungen im russischen Krieg gegen die Ukraine in unserem Liveblog.

Die vergangene Folge des Wochenrückblicks finden Sie hier.

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"