KZ-Gedenkstätte Dachau wehrt sich gegen russische Vorwürfe – Dachau | ABC-Z

Nach einer Gedenkfeier diplomatischer Vertretungen von Russland und Belarus am ehemaligen SS-Schießplatz in Hebertshausen hat das russische Generalkonsulat in Bonn Anzeige wegen Vandalismus und Beleidigung von Staatssymbolen erstattet. In einer Stellungnahme wirft die russische Botschaft in Berlin der KZ-Gedenkstätte Dachau die „Schändung russischer und belarussischer Kränze“ vor.
Der Grund: Die KZ-Gedenkstätte ließ einen Tag nach einer Gedenkfeier am 6. Mai, an der auch der russische Botschafter und der belarussische Generalkonsul teilgenommen hatten, von abgelegten Kränzen die Schleifen in den Farben der russischen und belarussischen Nationalflaggen entfernen. Die Gedenkstätte begründete das Vorgehen mit dem „Respekt vor den Opfern des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs“ und verwies darauf, dass die russischen und belarussischen Teilnehmer der Gedenkveranstaltung die Vorgabe missachtet hätten, keine Symbole ihrer Staaten zu zeigen.
Staatsanwaltschaft sieht keinen Grund für Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft München II bestätigt den Eingang der Anzeige des Generalkonsulats. Wie eine Sprecherin sagte, leitete die Staatsanwaltschaft zunächst ein Verfahren „wegen des Verdachts der Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten“ ein. Man habe die Strafanzeige allerdings nicht weiterverfolgt: „Ein zureichender Anfangsverdacht lag nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft nicht vor“, so die Sprecherin.
Aus Anlass des 9. Mai, der in Russland als „Tag des Sieges“ über Nazi-Deutschland traditionell groß gefeiert wird, den aber Kremlchef Wladimir Putin zuletzt vor allem für Rechtfertigungen seines Krieges in der Ukraine missbrauchte, kamen etwa 30 Menschen zu einer Gedenkveranstaltung mit russischen und belarussischen Diplomaten am ehemaligen SS-Schießplatz in Hebertshausen zusammen – dort wurden im Zweiten Weltkrieg mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene von der SS brutal ermordet. Unter den Teilnehmern waren auch der russische Botschafter Sergej J. Netschajew und der belarussische Generalkonsul Kirill Dragun.
Im Vorfeld hatte die KZ-Gedenkstätte Dachau, zu welcher der ehemalige SS-Schießplatz in Hebertshausen gehört, die Gedenkfeier sowie einen Gottesdienst in der russisch-orthodoxen Kapelle auf dem Hauptgelände der KZ-Gedenkstätte genehmigt, allerdings unter Einschränkungen. Es wurde schriftlich darauf hingewiesen, dass „keine russischen und belarussischen Nationalsymbole, Fahnen und Transparente gezeigt werden dürfen“.
Diese Vorgaben sind nicht neu. Sie gelten seit bei Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine vor mehr als drei Jahren bei allen Gedenkakten auf den Liegenschaften der Dachauer Gedenkstätte. Bei der großen Feier zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau Anfang Mai etwa wurden für die russischen und belarussischen NS-Opfer Kränze in neutralen Farben niedergelegt. Seit 2022 informiere man die diplomatischen Vertretungen im Vorfeld über diese Einschränkungen, so die Gedenkstätte. „Trotzdem wurden diese Vorgaben bei den Gedenkveranstaltungen seitdem regelmäßig von russischer und belarussischer Seite missachtet.“
Auswärtiges Amt warnt vor russischer Propaganda bei Gedenkveranstaltungen
Auch bei der diesjährigen Gedenkfeier am 6. Mai in Hebertshausen und Dachau hielten sich die Teilnehmer nicht an die Vorgaben. Das bezeugen Fotos, welche die russische Botschaft in Berlin selbst auf ihrer Homepage veröffentlicht hat. Zu sehen sind etwa zwei Menschen in russischen Uniformen, die einen Kranz mit einer Schleife in den Farben der russischen Nationalflagge tragen. Ebenfalls zu sehen ist, dass sich mehrere Teilnehmer der Gedenkfeier ein sogenanntes Sankt-Georgs-Band ans Revers gesteckt haben, darunter der russische Botschafter.
Das bekannte russische Symbol erinnert nicht nur an den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg: Mit dem Bändchen zeigen Russen heute auch ihre Unterstützung für Putin und dessen Angriffskrieg in der Ukraine. Das Tragen des Sankt-Georgs-Bandes ist daher auf allen Liegenschaften der KZ-Gedenkstätte verboten.
:Wie Putin seinen Krieg rechtfertigt
Die Feier zum 80. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland ist größer als in den vergangenen Jahren. Der Kremlchef nutzt die Parade für seine Propaganda.
Am großen Mahnmal für die ermordeten Kriegsgefangenen in Hebertshausen legten die Teilnehmer schließlich vier Kränze ab, drei davon mit Schleifen in den Farben der Nationalflagge Russlands und einer mit einer Schleife in den Farben der Flagge von Belarus. Einen Tag später ließ die Gedenkstätte die Schleifen entfernen, „ohne die Kränze zu beschädigen“, wie sie betont.
Ende Mai veröffentlichte die russische Botschaft in Berlin dann eine Stellungnahme. Das Vorgehen der Gedenkstätte sei „inakzeptabel“ und „eine Beeinträchtigung des Prozesses der historischen Versöhnung zwischen den Völkern Russlands und Deutschlands“. Zudem leitete die russische Seite dem Auswärtigen Amt eine Protestnote zu und beschwerte sich über eine „eklatante Verunglimpfung des Andenkens der Opfer des Nationalsozialismus“.
Die Stellungnahme löste vorwiegend in den Kommentarspalten auf X, Telegram und Facebook empörte Reaktionen aus. Auch der russische Staatssender Russia Today, der in Europa verboten ist, griff das Thema auf. Der AfD-Bundestagsabgeordnete Götz Frömming stellte eine schriftliche Frage an die Bundesregierung. In seiner Antwort rechtfertigt Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) das Vorgehen der Gedenkstätte.
Dieses halte er „in Anbetracht der geschilderten Umstände für nachvollziehbar und angemessen“. Auch das Auswärtige Amt verweist in dem konkreten Fall in Dachau auf die Stellungnahme Weimers. Vor dem 80. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai hatte die Bundesbehörde Kommunen, Ländern und Gedenkstätten in einer Handreichung davon abgeraten, Vertreter von Russland und Belarus zu Gedenkveranstaltungen zuzulassen. Begründet wurde dies mit der Befürchtung, dass Diplomaten Gedenkveranstaltungen „zu propagandistischen Zwecken“ instrumentalisieren könnten.
Am SS-Schießplatz Hebertshausen wurden mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet
Der KZ-Gedenkstätte Dachau betont, dass ihr das Gedenken an die sowjetischen Opfer des Nationalsozialismus ein großes Anliegen sei. Am ehemaligen SS-Schießplatz in Hebertshausen ermordeten SS-Angehörige zwischen September 1941 und Juni 1942 mehr als 4000 sowjetische Kriegsgefangene. Die Opfer stammten aus Russland, Belarus, der Ukraine und anderen Ländern, die im Zweiten Weltkrieg zur UdSSR gehörten.
Seit 2014 können sich Besucher in einer Freiluftausstellung über die historischen Hintergründe der Exekutionen, Biografien von Opfern oder die Rolle der Täter informieren. Die bisher bekannten Namen der erschossenen Rotarmisten sind in Streifenfundamenten verewigt. Die wissenschaftlichen Mitarbeitenden recherchieren kontinuierlich die Schicksale ermordeter sowjetischer Soldaten. Auch lässt die Gedenkstätte den Nachkommen der Opfer Informationen zum Verbleib ihrer Angehörigen zukommen.
Man gedenke aller Opfer des ehemaligen Konzentrationslagers, teilt die Gedenkstätte mit. Sie spricht sich „gegen eine Hierarchisierung der Opfergruppen und eine (Re-)Nationalisierung des Gedenkens“ aus. Gleichwohl sei vor dem Hintergrund des russischen, von Belarus unterstützten Angriffskriegs der Prozess der historischen Versöhnung „derzeit erschwert“.