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KZ-Gedenkstätte Dachau: DGB-Jugend erinnert an Judenverfolgung – Dachau | ABC-Z

„Wir stehen heute wieder hier, an einem Ort, an dem Worte fast zu klein wirken verglichen zu dem, was hier geschehen ist“, sagt Anna Gmeiner. Die Bezirksjugendsekretärin der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern spricht am Sonntag in der KZ-Gedenkstätte Dachau zu rund 200 Menschen. Neben ihr sind vier große Blumengebinde für die vom nationalsozialistischen Regime Verfolgten und Ermordeten aufgestellt; im Hintergrund ragt das bronzene „Internationale Mahnmal“ des jüdischen Bildhauers und Holocaust-Überlebenden Nandor Glid in die Höhe: im Stacheldraht verhedderte Skelette, zum Gedenken an die Hoffnungslosigkeit und das Leid der Dachauer NS-Gefangenen.

Als einen „Ort des Grauens“ sowie als „Vorbild und Brutstätte des systematischen Terrors“, bezeichnet Gmeiner das einstige Konzentrationslager Dachau. Heute, als Gedenkstätte, sei es ein „Ort des Erinnerns und der Mahnung.“ Seit 1952 – in diesem Jahr zum 73. Mal – erinnert die bayerische Gewerkschaftsjugend jährlich an die Opfer der Novemberpogrome von 1938, als Zeichen gegen die Verharmlosung und Umdeutung historischer Verbrechen und für ein demokratisches, solidarisches Miteinander.

Traditionell werden dabei Kränze vom ehemaligen Appellplatz durch die Lagerstraße getragen und am Denkmal des Unbekannten Häftlings niedergelegt. „Nicht, weil es von uns verlangt wird, sondern weil es uns ein Anliegen ist, aus der Verantwortung heraus, die wir als junge Generation verspüren“, sagt Gmeiner. „Geschichte wiederholt sich nicht automatisch – aber sie kann zurückkehren, wenn wir schweigen.“

Die reichsweiten Ausschreitungen und Gewalttaten gegen jüdische Menschen in den Tagen von 7. bis 13. November 1938 markierten einen historischen Wendepunkt in der antisemitischen Politik des NS-Regimes: von der systematischen Diskriminierung und Verfolgung deutscher Jüdinnen und Juden hin zur massenhaften Verhaftung, Enteignung und letztlich dem millionenfachen Mord im Verlauf des Holocaust.

Insbesondere in der Nacht von 9. auf 10. November eskalierte die Gewalt. Nationalsozialisten und ihre Anhänger stürmten und zerstörten mehr als 1400 Synagogen, Betstuben und Versammlungsräume sowie Tausende jüdische Geschäfte, Wohnungen und Friedhöfe. Hunderte Menschen starben. Mindestens 30 000 jüdische Männer wurden in diesen Tagen interniert, etwa 10 000 von ihnen im KZ Dachau.

Annette Seidel-Arpacı, Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Bayern, warnt in ihrer Rede zum Jahrestag des 9. Novembers 1938 vor den teils „nahezu pogromartigen Zuständen“, die seit den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober 2023 – dem größten Massenmord an Juden seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs – und dem Krieg Israels im Gazastreifen weltweit zu beobachten seien.

Annette Seidel-Arpacı, Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Bayern warnt vor „nahezu pogromartigen Zuständen“.
Annette Seidel-Arpacı, Leiterin der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) in Bayern warnt vor „nahezu pogromartigen Zuständen“. (Foto: Toni Heigl)

Allein in der vergangenen Woche kam es etwa bei Veranstaltungen in Toronto und Birmingham zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen pro-israelischen und pro-palästinensischen Aktivisten. In Paris wurden bei einem Konzert des Israel Philharmonic Orchestra Rauchfackeln gezündet. „Alles nur Auszüge der Geschehnisse an zwei Tagen, die vor über zwei Jahren vielleicht noch mehr Erschrecken ausgelöst hätten“, sagt Seidel-Arpacı. Am Dienstag gastiert das israelische Orchester in München.

Auch hierzulande ist das jüdische Leben ihr zufolge immer mehr von Angst geprägt: Deutsche Jüdinnen und Juden sähen sich gezwungen, religiöse Symbole zu verstecken; Beleidigungen, Diskriminierungen, Angriffe, gar Mordaufrufe und Anspielungen auf die NS-Zeit seien keine Seltenheit mehr. Auf Münchner Straßen und Universitätsplätzen riefen junge Menschen zu einem „weltweiten Aufstand“ gegen „Kindermörder“ auf, bei dem „alle Mittel gerechtfertigt“ seien.

In Bayern haben sich antisemitische Vorfälle laut Rias innerhalb der letzten beiden Jahre vervierfacht, mit 1515 dokumentierten Fällen im Jahr 2024. Die Dunkelziffer sei wahrscheinlich deutlich höher. Und obwohl die Vorfälle häufiger und aggressiver würden, stießen sie in der Öffentlichkeit auf wenig Empathie oder Interesse, so Seidel-Arpacı.

Anna Gmeiner von der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern erinnert daran, womit das Grauen begonnen hat: „Mit dem Gefühl, dass manche Leben weniger wert seien als andere.“
Anna Gmeiner von der Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Bayern erinnert daran, womit das Grauen begonnen hat: „Mit dem Gefühl, dass manche Leben weniger wert seien als andere.“ (Foto: Toni Heigl)

„Was heißt das für die Erinnerung, für das Gedenken, für Debatten im Spiegel dieser Zustände?“, fragt sie. Die mühsam erkämpfte, widersprüchliche und vor allem auf Druck von ehemals Verfolgten und den Befreiern entstandene deutsche Erinnerungs- und Gedenkkultur sieht sich ihrer Ansicht nach inzwischen Angriffen von verschiedenen Seiten ausgesetzt: sowohl von der extremen Rechten als auch zunehmend von Aktivisten, die sich als progressiv verstünden.

Judenfeindlichkeit zeige sich längst nicht mehr allein in der Leugnung der Shoah. Auch „Israel-bezogener Antisemitismus“, der sich als moderner Antizionismus tarne und doch alte Feindbilder bediene, sowie Forderungen nach einem „Schlussstrich“ unter die kritische Befassung mit der Nazi-Vergangenheit seien heute nahezu salonfähig geworden.

Der Holocaust selbst werde im Rahmen dieser Debatte zunehmend relativiert und verzerrt, seine Aufarbeitung „dämonisiert“, und jene, die daran festhielten, diffamiert. „Um die Shoah ideologischen Präferenzen gefügig zu machen, muss geleugnet werden, dass der Antisemitismus das Herzstück, der Kern der nationalsozialistischen Ideologie war“, sagt Annette Seidel-Arpacı. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit sei somit längst nicht abgeschlossen, sondern bis heute ein Kapitel voller Lücken und Widersprüche in der deutschen Erinnerungskultur.

87 Jahre nach den Novemberpogromen und 80 Jahre nach der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus würden in Deutschland Menschen wieder aufgrund ihrer Religion, Hautfarbe, Herkunft oder sexuellen Orientierung marginalisiert, bedroht und von der Politik zum Feindbild erklärt, mahnt auch die bayerische DGB-Bezirksjugendsekretärin Anna Gmeiner. „Deshalb ist Erinnern nicht neutral“, sagt sie. „Wir wissen: Genauso hat es damals begonnen. Nicht mit Lagern, nicht mit Deportationen, sondern mit Worten, mit Abwertung, mit Wegschauen. Mit dem Gefühl, dass manche Leben weniger wert seien als andere.“

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