Kürzungen im Kulturbereich: Wie Berlin seine freie Kunstszene vertreibt | ABC-Z

Kürzungen im Kulturbereich
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Wie Berlin seine freie Kunstszene vertreibt
Fr 27.06.25 | 16:41 Uhr | Von
Die freie Kunstszene Berlins weiß nicht wohin: Raum für Ateliers wird knapp, Mieten explodieren und jetzt kürzt der Senat die Atelierförderung. Ohne die werde vielen Künstlern wohl nur die Abwanderung bleiben, heißt es aus der Szene. Von Vera Drude
Mit kräftigen Pinselstrichen trägt Anja Schrey weiße Grundierungsfarbe auf eine Leinwand auf. Die großformatigen, figurativen Gemälde und Zeichnungen der Künstlerin entstehen seit über zehn Jahren hier in ihrem Atelier in der Karl-Marx-Straße 58. In dem Haus im zweiten Hinterhof arbeiten Künstler:innen in subventionierten Ateliers. “Ich bin so dankbar für diesen Ort”, sagt Schrey. Der Mietvertrag mit dem Eigentümer läuft allerdings nur noch bis Ende 2026, und wie es dann weitergeht, ist unklar. “Wir wissen alle noch nicht genau, was das jetzt in letzter Konsequenz bedeutet – aber das macht uns allen große Angst und lässt mich schlecht träumen”, sagt Schrey.
In Berlin werden derzeit über tausend subventionierte Arbeitsräume an die rund 15.000 bildenden Künstler:innen der Stadt vergeben. Sie befinden sich entweder in landeseigenen Immobilien oder werden angemietet. Der Senat gibt die Räume dann an die Künstler:innen weiter. Diese zahlen eine Miete zwischen vier und sieben Euro pro Quadratmeter, wenn ihr Einkommen 35.000 Euro jährlich nicht übersteigt.
Kürzung im Kulturetat treffen freie Künstler:innen
Die Streichungen, die der Berliner Senat im Kultursektor plant, treffen die subventionierten Ateliers hart. Für die Förderung von Arbeitsräumen – dazu zählen auch Proben- und Projekträume – stehen künftig noch 22 Millionen Euro im Jahr zur Verfügung. Vorher waren es 45 Millionen.
30 Prozent der Räume seien deshalb gefährdet, erklärt die Atelierbeauftragte Julia Brodauf. Bei manchen der Ateliers läuft der Mietvertrag aus, andere werden von der Stadt umgenutzt oder es fehlt das Geld für die notwendige Sanierung. Brodauf ist selbst Künstlerin und organisiert im Atelierbüro beim Berufsverband der bildenden Künstler:innen die Vergabe der Räume. “Berlin beschädigt seinen Ruf, denn es ist einer der größten Standorte für Kunst und Kultur”, sagt Brodauf. “Das hochaktuelle Kunstgeschehen, das hier stattfindet, ist das worüber wir später sprechen werden als die Kunst der 2020er Jahre. Die entsteht gerade hier. Doch sie kann nur entstehen, wenn es die Räume dafür gibt.”
Die Wende machte Berlin zur Kunstmetropole
In den Nachwendejahren bekam Berlins freie Kunstszene eine gewaltigen Schub durch junge Künstler:innen, die in die Stadt strömten. Günstige Mieten, leerstehende Ladenlokale und Fabriken boten Räume, in denen die Kunst entstand und ausgestellt wurde, wie zum Beispiel das Tacheles oder die Kunstfabrik am Flutgraben. Viele Impulse in der Kunstwelt kamen damals aus der freien Szene.
Deren Räume werden nun knapp. Die Kunstszene sei nicht nur ein wirtschaftlicher Faktor, sondern zeichne den Charakter von Berlin aus, erklärt Kuratorin Annette Maechtel von der neuen Gesellschaft für bildende Kunst: “Die Künstler:innen und diese Lebendigkeit, die damit einhergeht: das ist die Basis für dieses ganze Kunstfeld. Dafür ist Berlin in der Welt bekannt und auch angesehen. Alle schütteln den Kopf, was hier gerade mit der Kulturpolitik passiert.”
Offene Ateliers bei “48 Stunden Neukölln”
Ein Atelier auf dem freien Markt ist für Anja Schrey nicht bezahlbar. Für die Räume werden Gewerbemieten aufgerufen. In Neukölln sind es derzeit durchschnittlich 25 Euro pro Quadratmeter – je nach Lage auch mehr.
Sie bekomme Panik, wenn sie daran denke, ihr Atelier zu verlieren, sagt die Künstlerin sichtlich bewegt. “Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen pathetisch, aber es macht mir Angst. Meine Arbeit ist nicht nur eine Arbeit, mit der ich Geld verdiene, sondern ich brauche sie, um existieren zu können.” Normalerweise zeigt Anja Schrey ihre Kunstwerke in Galerien und Ausstellungsräumen. Am Wochenende beim Kunstfestival “48 Stunden Neukölln” will sie zum ersten Mal Besucher:innen in den privaten Raum ihres Ateliers einladen – damit alle sehen, was hier verloren gehen kann.

Politische Lösungen sind gefragt
Die Situation der Arbeitsräume müsse man zusammen mit bezahlbarem Wohnraum und Wirtschaftspolitik denken, erklärt Annette Maechtel: “Künstler:innen gehen dahin, wo die Lebensunterhaltskosten günstig und die Arbeitsbedingungen gut sind.” Perspektivisch würden Künstlerinnen und Künstler aus der Stadt verdrängt.
Viele Künstler:innen zögen jetzt schon weg, beispielsweise nach Hamburg, Leipzig oder ins Brandenburger Umland, sagt Julia Brodauf. Was sich über viele Jahre entwickelt habe, drohe jetzt verloren zu gehen, resümiert Annette Maechtel und zieht einen Vergleich zur Kunstmetropole New York: “In den 70er und 80er Jahren sind in New York Räume durch steuerliche Aspekte und durch Förderprogramme unterstützt worden und es haben sich sehr viele Künstler:innen angesiedelt. Mitte der 90er hat sich die Situation sehr deutlich verändert.” Damals wurden die Förderprogramm gestrichen, die Künstler:innen wanderten ab.
Diese Entwicklung könnte auch in Berlin Realität werden. Alle befürchten, was einmal verloren ist, wird Jahrzehnte brauchen, um zurückzukommen.
Sendung: rbb Kultur – Das Magazin, 14.06.2025, 18:30 Uhr