Mascha Schilinski: Wir haben einen neuen Star | ABC-Z

Wir erwischen sie am Tag nach der Preisverleihung am Telefon, Mascha Schilinski ist im Auto auf dem Weg zurück nach Berlin, mit “Kind und Kegel”, wie sie sagt. Gerade hat sie in Cannes für ihren Film In die Sonne schauen den Preis der Jury bekommen; wäre es die Goldene Palme geworden, hätte das niemanden erstaunt. “Cannes war ein Rausch, ein großer Zirkus, aber ein wunderschöner”, sagt sie. Bei der Abschlussgala habe sie total neben sich gestanden, “ich habe mich gefragt, ob das jetzt wirklich unser Filmtitel ist, der da aufgerufen wurde”.
In die Sonne schauen folgt über hundert Jahre hinweg jungen Frauen und Mädchen auf einem Bauernhof in der Altmark. Deutsches Kaiserreich, Zweiter Weltkrieg, die DDR der Achtzigerjahre, die Gegenwart – jede Epoche hat ihr eigenes Licht, eine eigene sinnliche Stofflichkeit und Textur. Mit ihrer fließenden, assoziativen Montage gelingt es Mascha Schilinski, die Schicksale ihrer Heldinnen zu verbinden, als würden sie quer durch die Zeiten aufeinander blicken, als werde das, was der einen widerfährt, von der anderen aufgenommen, weitergeatmet und durchlebt. Der Film lief direkt zu Beginn des Festivals und erzeugte sofort einen Buzz, die internationale Presse überschlug sich angesichts der Bilder, die den Betrachter in Epochen und Lebensgefühle hineinziehen. Als wir während des Festivals gemeinsam durch den Palais des Festivals laufen, wird Schilinski von einer deutschen Besucherin um ein gemeinsames Foto gebeten, sie sei bei der Premiere gewesen, die Bilder ließen sie nicht mehr los. Eine Amerikanerin sagt, der Film habe sie fassungslos gemacht, auch sie möchte ein Foto mit der Filmemacherin. Durch den Palais bewegt sich Mascha Schilinski in einer Mini-Karawane. Pressebetreuer, Agentin, ihr Lebensgefährte, der Kameramann Fabian Gamper (er hat In die Sonne schauen fotografiert), trägt den fast fünf Monate alten Sohn im Tragetuch. Sie selbst schiebt den Kinderwagen, an dem die Akkreditierung des Kleinen hängt. “In Cannes gibt es auch Akkreditierungen für Hunde”, sagt Schilinski, “die nehmen das hier sehr ernst.”
In ihrem Film hallen frühere Erlebnisse und Erinnerungen in den Räumen des Bauernhofes nach. In dem großen Premierenkino in Cannes, wo Weltkarrieren beginnen oder enden können, ist die Kinogeschichte gespeichert. “Ich habe gedacht, was für ein geschichtsträchtiger Ort, wie viel hier schon passiert ist, wie viele Hoffnungen, Enttäuschungen, wie viel Begeisterung diese Wände aufgesogen haben.”
In ihrer Dankesrede hatte sie junge Filmemacher und vor allem Filmemacherinnen ermutigt, für ihre Visionen zu kämpfen, ihren Weg trotz aller Widerstände zu gehen. Welche Widerstände schlugen ihr entgegen? “Wir haben diesen Film immer wieder verteidigen müssen, weil er keiner klassischen Dramaturgie folgt”, sagt sie “Ich musste mir ziemlich oft Sätze anhören wie: So kann man doch keinen Film machen. Oder: Das wird doch nichts, lass es lieber gleich bleiben.”
Acht Jahre sind seit Schilinskis erstem Film Die Tochter mit Helena Zengel vergangen. Ihre Entschlossenheit, ihr Ding durchzuziehen, hat sie zum wichtigsten Filmfestival der Welt gebracht. Und doch sei das auch alles seltsam: “Alle Filmliebhaber schauen nach Cannes, der Film wird gefeiert, und man selbst sitzt am Frühstückstisch und ist trotzdem noch man selbst.”