Kritik an Klinik-Reform in München: “Ein Schlag ins Gesicht” | ABC-Z
München – Künftig soll es nur noch zwei leistungsstarke städtische Krankenhäuser geben: Bogenhausen im Norden und Harlaching im Süden. Schwabing und Neuperlach sollen nur noch eine “Basisnotfallversorgung” der Stufe 1 leisten. Das heißt: Es gibt dort dann zwar noch eine Chirurgie, Innere Medizin und auch eine Intensivstation mit mindestens sechs Betten.
Aufsichtsrat stimmt zu
Aber wer zum Beispiel einen Herzinfarkt hatte, wer eine Krebsbehandlung braucht, wer einen Schlaganfall erlitt, muss in ein anderes Krankenhaus. In Neuperlach sollen noch eine Geriatrie und ein Zentrum zur Entwöhnung von der Beatmung bleiben. Und in Schwabing bleibleiben ebenfalls eine Geriatrie und ein großes Eltern-Kind-Zentrum. Diese Pläne hat Götz Brodermann, der Chef des städtischen Klinikkonzerns München Klinik, am Dienstag vorgestellt. Ziel sei, Expertisen zu bündeln, betonte er. Der Aufsichtsrat hat den Plänen zugestimmt.
Einen Tag danach wird Kritik laut. Zum Beispiel vom Perlacher Bezirksausschuss-Chef Thomas Kauer (CSU). Das Erste, was ihn stört: Trotz “zahlreicher Nachfragen” habe er die Infos nur aus der Zeitung erhalten. Und weiter: “Ich betrachte die Pläne als einen Schlag ins Gesicht einer Viertelmillion Bürger, die im Münchner Osten leben.”
Kauer fürchtet eine Versorgungslücke. Was ihn noch wundert: Erst 2021 hat die München Klinik in Neuperlach ein neues Zentrallabor eröffnet – für 43 Millionen Euro. Auch in die Modernisierung wurde Geld gesteckt. Seit 2018 präsentiere sich die Klinik Neuperlach in einem “modernen und freundlichen Erscheinungsbild”, heißt es auf der Website.
Bis zu 300 Millionen soll eine Sanierung der Neuperlacher Klinik kosten
Gleichzeitig waren jetzt aber wohl auch bauliche Mängel ausschlaggebend für die Verkleinerung. Das Haus sei in die Jahre gekommen, sagte Klinik-Chef Brodermann bei der Pressekonferenz. Wie die AZ von zwei gut informierten Quellen erfahren hat, würde die Sanierung des Neuperlacher Krankenhauses wohl zwischen 250 bis 300 Millionen Euro kosten. Für das Rathaus soll das eine große Überraschung gewesen sein.
Auch die Grünen-Landtagsabgeordnete Sanne Kurz, die für den Münchner Osten zuständig ist, wundert sich. Sie hat im Bayerischen Krankenhausplan, den der Freistaat erstellt, entdeckt, dass die Geburtsklinik in Neuperlach die Lizenz verliert. Allerdings: Der Stadtrat hat über das Medizinkonzept noch gar nicht abgestimmt. “Der Stadtteil ist so groß wie Ingolstadt. Viele armutsgefährdete Menschen leben dort. Da sollte es eher mehr Gesundheitsversorgung geben als weniger”, findet Kurz.
Bei einem Herzinfarkt kommt es auf jede Minute an
Der CSU-Stadtrat Hans Theiss, der als Kardiologe arbeitet, ist ebenfalls besorgt. Aus seiner Sicht ist die Notfallversorgung – besonders im Münchner Norden gefährdet. Vergangenes Jahr zeigte eine Studie auf, dass sich die Engpässe in den Notaufnahmen verschärfen – und dass es immer länger dauert, bis ein Patient eingeliefert wird: Die Zeit vom Notruf bis zum Erreichen der Klinik betrug 2021 57 Minuten. 2015 ging es neun Minuten schneller.
“Bei einem Herzinfarkt kommt es auf jede Minute an”, sagt Theiss. Er fürchtet, dass es bald deutlich länger dauern könnte, bis Infarkt-Patienten, die zum Beispiel in Freimann leben, ein Krankenhaus erreichen. Zumindest stehe das Schwabinger Krankenhaus für sie dann nicht mehr zur Verfügung.
Auch bei ihm hätten sich “große Fragezeichen” ergeben, wie die Notfallversorgung in München mit dem neuen Konzept sichergestellt werden soll, sagt Linken-Chef Stefan Jagel, der allerdings das neue Konzept insgesamt positiv aufgenommen hat.
Die Pläne für Neuperlach sieht der CSUler Theiss ebenfalls kritisch: “Das Krankenhaus wird faktisch geschlossen.” Schließlich bleibe in Neuperlach im Wesentlichen nur die Geriatrie. Auch Theiss weiß: Im Münchner Osten leben viele Menschen mit wenig Geld, die das Krankenhaus mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen müssten. Von Neuperlach bis Harlaching dauert das eine Stunde.
“Das Konzept entspricht den Anforderungen der Zeit”
Die langen Fahrtwege sieht auch Benjamin Pulz als ein Problem. Er ist als Gewerkschaftssekretär bei Verdi für Gesundheitsberufe zuständig. Er bewertet das neue Medizinkonzept zwar grundsätzlich positiv: “Es entspricht den Anforderungen der Zeit.” Schließlich zwinge die Krankenhausreform des Bundes zum Handeln. Und schließlich könne es ein Vorteil sein, an zwei Häusern Expertise zu bündeln. Doch: “Jetzt hängt es von der Umsetzung ab.”
Pulz sieht die Stadt in der Pflicht, die Anbindung nach Harlaching zu verbessern. Dort halten bisher Bus und Tram. Doch von der Haltestelle aus sind es zehn Minuten zu Fuß. Richtig findet Pulz zwar, dass das neue Konzept die ambulante Versorgung stärken will. Es sollen unter anderem ein Allgemeinmediziner und ein Chirurg an jeder Notaufnahme angesiedelt werden.
Aber: Die Stadt müsse auch gut kommunizieren, wo und wie die Münchnerinnen und Münchner diese Ärzte erreichen. Und schließlich müsse die München Klinik viel mit den eigenen Mitarbeitern besprechen, was auf sie zukommt, wenn ihr Arbeitsplatz verlegt wird. “Man muss aufpassen, dass man da keine Leute verliert”, sagt er.