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Leichtathletik-Gentests: Wo Präsident Sebastian Coe sich verrennt | ABC-Z

Wenn Sebastian Coe, Präsident des internationalen Leichtathletikverbands, über die Einführung verpflichtender Gentests spricht, fällt ein Argument immer wieder: die „Integrität des Frauensports“, die es zu schützen gelte. Doch was Coe als Bestreben bezeichnet, für Chancengleichheit im Sport zu sorgen, ist in Wahrheit der Versuch, komplexe Fragen mit einfachen Mitteln zu lösen.

Die Idee, das biologische Geschlecht von Frauen zu überprüfen, ist alt. Bereits in den Dreißigerjahren hat World Athletics (damals IAAF) Kontrollen eingeführt, um die Teilnahmeberechtigung von Athletinnen zu kontrollieren. Jahrzehnte später wurde die Praxis schrittweise zurückgenommen – mit der Einsicht, dass sich Geschlecht nicht allein auf Chromosomen reduzieren lässt. Damals wie heute ging es um die Frage: Wann ist eine Frau eine Frau?

Die Biologie kennt Zwischentöne

Betroffen sind vor allem Athletinnen mit „differences of sex development“ (DSD), die nicht den gängigen Vorstellungen von weiblicher Biologie entsprechen. Dabei ist das tatsächliche Ausmaß des „Problems“ überschaubar: Nur ein kleiner Bruchteil der Athletinnen fällt unter die DSD-Kategorie. Die Dominanz einzelner Sportlerinnen – wie Caster Semenya – hat das Bild verzerrt. Und selbst wenn man von einem gewissen Leistungsvorteil ausgeht: Auch Training, Ressourcen und Förderung machen einen Unterschied – und sind ebenfalls nicht „fair“ verteilt.

Gentests führen zu einer pro­blematischen Abgrenzung zwischen „natürlich“ und „unnatürlich“, zwischen „weiblich“ und „nicht weiblich genug“. Vor allem aber beruhen sie auf einem Verständnis, das der Realität menschlicher Körper nicht gerecht wird. Biologie kennt Zwischentöne, die sich nicht in die binäre Ordnung von „männlich“ und „weiblich“ pressen lassen.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Vielleicht muss man akzeptieren, dass absolute Chancengleichheit im Sport eine Illusion ist. Schon heute entscheiden genetische Voraussetzungen, Talent und Körpergröße über Sieg oder Niederlage. Einige Marathonläufer etwa kommen aus Höhenlagen und haben natürliche Vorteile in der Sauerstoffaufnahme. Sie dürfen trotzdem antreten. Warum also soll ausgerechnet das Geschlecht in starre Kategorien gezwungen werden?

Fairness im Sport bedeutet nicht, Unterschiede auszuradieren. Sie bedeutet, mit ihnen verantwortungsvoll umzugehen. Gentests sind kein Zeichen für Fortschritt, sondern ein Rückschritt zu einer Praxis, die in der Vergangenheit massives Leid verursacht hat – und später selbst von den Verantwortlichen als Fehler bezeichnet wurde.

Wie geht der Sport mit Diversität um? Ist er bereit, individuelle Unterschiede zu akzeptieren? Statt wieder auf genetische Normierung zu setzen, braucht es ein Verständnis von Fairness, das Vielfalt zulässt. Das ist mühsam, aber dafür menschlich.

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