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Krieg in der Ukraine: Selenskyj drängt auf radikalen Aufrüstungsplan – Experten verdeutlichen, ob er Chancen hat | ABC-Z

Der ukrainische Präsident Selenkyj hat in Kiew einen Fünf-Punkte-Plan für ein Ende des Krieges präsentiert. Was der bringen kann, erklären Experten.

Lange wurde darauf gewartet: Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nun seinen „Siegesplan“ im ukrainischen Parlament vorgestellt. Damit wurde die Strategie auch erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentiert. In der vergangenen Woche hatte Selenskyj bereits bei Staatsbesuchen in Berlin, London, Paris und Rom dafür geworben.

Bei dem Plan gehe es darum, „unser Land und unsere Positionen zu stärken“, betonte Selenskyj. Eine Abtretung ukrainischer Gebiete an Russland schloss er erneut aus. „Russland muss den Krieg gegen die Ukraine verlieren“ und dazu gebracht werden, „an einem Friedensgipfel teilzunehmen und bereit zu sein, den Krieg zu beenden“.

An diesem Donnerstag will der ukrainische Präsident seinen Plan beim EU-Gipfel in Brüssel erläutern. Zusammengefasst hat er fünf zentrale Punkte, die die Voraussetzungen für einen Sieg definieren, aber auch aufzeigen sollen, wie die Sicherheit der Ukraine danach gewährleistet werden kann.

1. Einladung in die Nato

Einer zentraler Aspekt sei die Einladung der Nato für einen Beitritt der Ukraine, „und zwar jetzt“, sagte Selenskyj. Die Bewerbung hierfür läuft seit September 2022. Russland habe mit seinem Krieg die europäische Sicherheit untergraben können, weil die Ukraine nicht Mitglied des westlichen Militärbündnisses sei, betonte der Präsident.

„Wir sind uns darüber im Klaren, dass die Nato-Mitgliedschaft eine Frage der Zukunft und nicht der Gegenwart ist“, sagte Selenskyj. Er fügte aber hinzu, dass eine sofortige Einladung Wladimir Putin zeigen würde, dass „seine geopolitischen Berechnungen falsch sind“. Die Ukraine sei ein demokratischer Staat, der bewiesen habe, dass sie „unsere gemeinsame Lebensweise schützen kann“.

  • Christian Mölling ist Außen- und Sicherheitsexperte und Direktor des Programms „Europas Zukunft“ der Bertelsmann Stiftung. 

Christian Mölling, Direktor des Programms „Europas Zukunft“ der Bertelsmann Stiftung, hält eine Einladung in die Nato für durchaus möglich. Dem Tagesspiegel sagte der Politikwissenschaftler: „In den vergangenen Tagen wurde gemunkelt, dass die Amerikaner tatsächlich mit Joe Bidens Besuch in Deutschland die Einladung der Ukraine in die Nato mitbringen könnten.“ 

Hinzu komme, dass die Einladung zwar ausgesprochen werde, der Prozess bis zur Aufnahme sich aber ziehen könnte, da alle 31 Mitglieder zustimmen müssten.

Möglich wären stattdessen bilaterale Sicherheitsgarantien, die so stark militärisch hinterlegt sind, dass sie sehr nahe an eine Nato-Mitgliedschaft kämen. Wenn nicht, dann müssten die Europäer mit dem Risiko leben, dass es zu einem weiteren Krieg kommen könnte, so Mölling. „Wichtig ist, dass die Europäer verstehen, dass sie das nicht für die Ukraine tun, sondern für ihre eigene Sicherheit.“

2. Kämpfe auf russisches Gebiet drängen

Selenskyj und seine militärischen Berater wollen den Krieg auf russisches Territorium verlagern, wie etwa bei dem Anfang August begonnenen grenzüberschreitenden Angriff auf die Stadt Kursk. Das soll die Schaffung möglicher „Pufferzonen“ auf ukrainischem Gebiet verhindern.

Um das zu erreichen, rief Selenskyj die Verbündeten seines Landes erneut dazu auf, „die Beschränkungen für den Einsatz von Langstreckenwaffen“ bei Angriffen auf die russisch besetzten Gebiete sowie Ziele in Russland aufzuheben.

Hier verhalten sich die USA und Deutschland noch zögerlich, obwohl die Ukraine völkerrechtlich dazu berechtigt wäre. Zugleich hat der Kreml den Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium mehrfach als „rote Linie“ bezeichnet und mit einer weiteren Eskalation gedroht.

3. Stationierung eines nicht-nuklearen Waffenarsenals

Außerdem schlägt Selenskyj die Stationierung eines nicht-nuklearen Waffenarsenal in der Ukraine vor. Ein solches „Abschreckungspaket“ soll das Land vor künftigen Aggressionen schützen. Details wollte er nicht nennen, habe diese aber den Staats- und Regierungschefs der USA, Großbritanniens, Deutschlands, Frankreichs und Italiens ausführlich dargelegt.

Hierbei geht es, so vermutet Mölling, einerseits um weitere Unterstützung in Form von Waffen und Kampfjets, aber letztlich auch um Bodentruppen. 

„Wenn die Europäer oder gerade auch Amerikaner nur ein kleines Kontingent in der Ukraine stationieren würden, dann würde das die Sicherheitsgarantie nochmal deutlich unterstreichen. Hier geht vor allem um das Signal an Putin, dass es ernst ist und er sich verkalkuliert hat.“

4. Ukraine bietet Partnern Rohstoffe

Im Gegenzug bietet der ukrainische Präsident seinen Partnern Zugriff auf ukrainische Rohstoffe seines Landes an, zum Beispiel Uran, Titan, Lithium und Grafit. Die Ukraine verfüge über wertvolle Rohstoffe „im Wert von Billionen US-Dollar“, sagte er.

Die Frage sei, ob diese Ressourcen im globalen Wettbewerb an Russland und dessen Verbündete fielen oder bei der Ukraine und – wie er sagte – der demokratischen Welt verblieben. 

Wie der „Kyiv Independent“ berichtet, bietet Kiew der EU und den USA ein spezielles Abkommen über gemeinsame Investitionen und die Nutzung dieser Ressourcen an.

5. … und Sicherheit

Im fünften Punkt geht es um die Sicherheitsarchitektur der Ukraine nach dem Krieg. Hier möchte Selenskyj, dass seine „große und erfahrene Streitmacht“ die Nato und die Sicherheit Europas stärken.

„Wenn die Partner zustimmen, können wir uns vorstellen, nach dem Krieg bestimmte in Europa stationierte US-Militärkontingente durch ukrainische Einheiten zu ersetzen“, sagte der ukrainische Präsident.

Hier treffe Selenskyj gleich zwei wunde Punkte der Europäer, sagt Sicherheitsexperte Christian Mölling. „Die Amerikaner werden über kurz oder lang gehen oder sich weniger bei uns engagieren. Zugleich haben die Ukrainer eine enorme Kampferfahrung, kennen die russischen Streitkräfte enorm gut. Russland ist letztlich aktuell der größte Problemfall der Nato. Insofern ist das tatsächlich ein interessantes Angebot und schlau gewählt.“

Chance für stabile Friedensordnung?

Auch Andreas Umland, Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen, hält Selenskyjs Vorstoß für nützlich.

Zum einen lege er dar, was vor dem Hintergrund des allgemeinen Völkerrechts und der ukrainischen Zugehörigkeit zu Europa notwendig sei: „Wer ein Interesse am Erhalt der grundlegenden Prinzipien internationaler und europäischer Sicherheit hat, müsste diesen Plan vollständig unterstützen.“

  • Andreas Umland ist Analyst am Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien des Schwedischen Instituts für Internationale Beziehungen.

Zum anderen könnte auf diese Weise ein „nachhaltiger Frieden in Europa mittels Wiederherstellung ukrainischer territorialer Integrität und Stärkung nationaler Souveränität möglich gemacht werden“.

Die früheren scheinbar deeskalierenden und „erstaunlich expansionstoleranten“ Politikansätze des Westens bewirkten bisher nach Umlands Ansicht stets das Gegenteil – sie hätten eine eskalierende Wirkung gehabt.

„Sie führten 2022 schließlich zur Ausweitung des bis dahin achtjährigen russisch-ukrainischen Krieges zum größten Krieg Europas seit 1945“, betont Umland. „Der in Selenskyjs ,Siegesplan‘ vorgeschlagene radikale Politikwechsel ist vor dem Hintergrund der fehlgeschlagenen Befriedungspolitik der vergangenen 30 Jahre gegenüber Russland ein adäquates Programm zur Schaffung einer stabilen Friedensordnung in Europa.“

Von Viktoria Bräuner und Christian Böhme

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