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Krieg in der Ukraine: Russifizierung von Ruinen | ABC-Z

Die russische Besatzungsbehörde zerstört auf der Krim eine antike griechische Ausgrabungsstätte. Dort lässt sie historisierende Neubauten entstehen.

Keine Ruinen mehr: Die russischen Besatzungsbehörden lassen Chersones wie eine erhaltene frühbyzantinische Stadt wirken Foto: Sergei Malgavko/imago

Rückblick 2013: Die groben Steine am Strand waren etwas glitschig. Wer sich in die kühlen Wellen des Schwarzen Meeres werfen wollte, musste vorsichtig sein. Erfahrene Strandbesucher hatten entsprechendes Gummischuhwerk dabei. Die Vermieterin hatte die Stelle empfohlen: Dort sei das Wasser sauberer als an den anderen Stränden in Sewastopol. Und es gebe noch etwas zu sehen.

Damit meinte sie nicht die Schiffe der omnipräsenten russischen Schwarzmeerflotte, die in der Bucht auf dem Weg zum Strand schon vor der Annexion der Krim 2014 vor Anker lagen. Der seinerzeit amtierende prorussische Präsident der Ukraine, Wiktor Janukowitsch, hatte den Pachtvertrag für den Hafen bis 2042 verlängert.

Durch die Straßen flanierten die russischen Matrosen in Uniform. Der Taxifahrer hatte eine russische Trikolore auf dem Armaturenbrett angebracht. Und russische Touristen erzählten im Hotel, dass es das Land, in dem sie gerade Urlaub machten, gar nicht gäbe und seine Sprache keine Sprache sei, sondern ein Dorfdialekt.

Die Vermieterin meinte das Areal gleich neben dem Strand: die antike Ausgrabungsstätte Chersones. Zwischen Strand und einem Hügel, auf dem die orthodoxe Wladimirkathedrale aus dem 19. Jahrhundert stand, befinden sich auf 260 Hektar die Überreste einer antiken griechischen Stadt.

Hauptsächlich die Fundamente von Außenmauern, Reste einer dicken Festungsmauer und weiter hinten Säulen, die mal zu einem Tempel gehört haben. Das Schachbrettmuster des Straßennetzes war gut zu erkennen. Wenige Wochen zuvor war das Areal in die Liste des Unesco-Weltkulturerbes aufgenommen worden.

Die Ausgrabungsstätte sei praktisch zerstört

Elf Jahre später sieht es anders aus in der antiken Ausgrabungsstätte. Wie die Ukrajinska Prawda kürzlich berichtete, lassen die russischen Besatzungsbehörden umfangreiche Bauarbeiten durchführen. Die Ausgrabungsstätte sei praktisch zerstört. Auf Fotos sieht man Arbeiter und einen Kran am Rohbau eines palastartigen Gebäudes mit historisierender Fassade. Außerdem sind Tribünen eines modernen Amphitheaters auf die antiken Fundamente gebaut worden.

Gegründet wurde Chersones vor rund 2.500 Jahren von griechischen Siedlern als einer von mehreren Handelsplätzen am Nordufer des Schwarzen Meeres. Später gehörte es zum Römischen und Byzantinischen Reich und zur Republik Genua. Zerstört wurde die Stadt um 1400 bei einem mongolischen Angriff.

Bagger graben in Chersones Foto: Sergei Malgavko/imago

Nachdem Russland die Krim 1783 erobert hatte, wurden um 1820 die ersten Ruinen ausgegraben. Die ähnlich klingende Großstadt Cherson an der Mündung des Dnipro ist Ende des 18. Jahrhunderts gegründet worden.

Evelina Kravchenko schlägt Alarm. Sie ist die leitende Forscherin am Institut für Archäologie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Ihr zufolge ersetzen die Russen die ursprünglichen Sehenswürdigkeiten durch neue Gebäude und zerstören so ihre Authentizität.

Schäden irreversibel

„Der Schaden ist unglaublich und irreversibel. Der wichtigste Teil einer antiken Stätte zur wissenschaftlichen Forschung ist zerstört“, sagte sie der taz. Ob Chersones damit für das Welterbe verloren ist, müsste untersucht werden.

Kürzlich sprach Kravchenko darüber auch auf einer Tagung des Crimea Platform Expert Network in Kyjiw. „Die meisten der gefundenen Artefakte wurden in Museen nach Russland gebracht. Darunter sind Fresken, Geschirr, Haushaltsgegenstände und Ikonen.“ Anschließend habe der Bau des sogenannten archäologischen Parks „Neues Chersones“ an der Stelle der Überreste der Nekropole begonnen.

Vor der russischen Okkupation hatten dort noch Ausgrabungsarbeiten stattgefunden. Bei den Bauarbeiten seien anschließend in Unkenntnis der geologischen Situation auch schwere Baumaschinen eingesetzt worden. „Irgendwie haben sie dort eine alte Quelle ausgegraben, sodass alles überflutet wurde.“ Sie zeigte Fotos von Baggern und Bulldozern auf dem Areal sowie betonierte Wege, Parkplätze und neue Gebäude. Es sieht aus wie ein russisches Disneyland.

Das Vorgehen ist kein Einzelfall. „Es erinnert an die Zerstörung des Khan-Palastes in Bachtschysaray“, so Kravchenko. Der Khan-Palast gehört seit 2003 zum Unesco-Weltkulturerbe. Die ältesten Gebäudeteile stammen aus dem 16. Jahrhundert. Der Palast war als Stammsitz der Monarchen des Krim-Khanats das politische, religiöse und kulturelle Zentrum der Krimtataren – bis die Halbinsel 1783 zum ersten Mal von Russland okkupiert wurde.

Nach der Krimannexion 2014 ließ die russische Besatzungsverwaltung an dem geschützten Gebäudekomplex umfangreiche Bauarbeiten ausführen. Kritik daran kam im vergangenen Jahr auch von der Gesellschaft für bedrohte Völker. „Im Schatten des Krieges zerstören die russischen Besatzer mutwillig Kulturdenkmäler der indigenen Krimtataren. Damit wollen sie die falsche Behauptung unterstreichen, die Krim hätte schon immer zu Russland gehört“, so Osteuropaexpertin Sarah Reinke.

Den russischen Umgang mit dem kulturellen Erbe beobachtet auch der Wissenschaftler Jan Claas Behrends. Der Historiker ist Professor an der Europauniversität Viadrina in Frankfurt (Oder). „Denkmalschutz hat für Russland ohnehin keinen hohen Stellenwert mehr“, sagt er. Zivilgesellschaftlicher oder wissenschaftlicher Protest sei nicht möglich. Auf der Krim sei der Umgang mit dem historischen Erbe Teil der Strategie zur Russifizierung der besetzten Halbinsel.

„Man versucht, sich die Krim zu schaffen, die man haben will“

„Man versucht sich die Krim zu schaffen, die man haben will und die dem eigenen Geschichtsbild entspricht“, sagt Behrends. Und dazu gehöre die Legende von der Kontinuität der Kiewer Rus bis zum heutigen Russland. Für Wladimir Putin ist die Geschichte des mittelalterlichen Großreichs ein Beweis dafür, dass Russen und Ukrainer immer schon zusammengehörten – heute unter russischer Führung, versteht sich.

In einer Rede vor der russischen Föderationsversammlung im Jahr der Annexion begründete Putin den russischen Anspruch auf die Krim mit der Taufe Wladimirs I. in der Kathedrale von Chersones. Der einstige Großfürst von Kyjiw hatte die Christianisierung der Rus initiiert und somit maßgeblich zur Entstehung der russisch-orthodoxen Kirche beigetragen. Für eine Statue in Moskau wurde der Grundstein der Kathedrale aus Chersones entfernt.

Kulturgüter werden allerdings nicht erst zerstört, wenn sie Russland in die Hände gefallen sind. Nach Angaben des Kulturministeriums der Ukraine sind seit dem 24. Februar 2022 bisher 902 Kulturstätten durch Kriegshandlungen beschädigt oder zerstört worden. Die Unesco hat bis zum 11. Juli Schäden an 431 Stätten verifiziert – 138 religiöse Stätten, 214 Gebäude von historischem und/oder künstlerischem Interesse, 31 Museen, 32 Denkmäler, 15 Bibliotheken und ein Archiv.

Erstaunlich still in der Sache sind bisher die offiziellen Hüter des Unesco-Welterbes. Über die geschützten Stätten soll eigentlich der Internationale Rat für Denkmalpflege (Icomos) mit Sitz in Paris wachen. In anderen Ländern wird schon mal eine harsche Stellungnahme veröffentlicht oder mit der Streichung von der prestigeträchtigen Liste gedroht, wenn es jemand wagt, auch nur in der Umgebung zu bauen. Doch in Sachen Krim herrscht Stille. Mehrfach gestellte Anfragen der taz beantwortete Icomos nicht.

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