Belohnungsaufschub: In manchen Ländern ist die Fähigkeit ausgeprägter als in Deutschland – Wissen | ABC-Z

Versuchungen locken ständig und überall. Das Smartphone mit seinen Zeitfress-Apps piept oder torpediert durch bloße Präsenz die Fähigkeit, sich für ein paar Minuten zu konzentrieren. Im Kühlschrank warten Schokolade, fettige Leckereien und alkoholische Getränke auf ihren Verzehr. Und das Sofa legt stummen Protest gegen eine Runde Sport ein. Dem unmittelbaren Reiz zu widerstehen, verspräche deut lich größere Belohnungen: Zufriedenheit, Erfolg, Gesundheit und Zeit, die sich dann mit reinem Gewissen vertrödeln ließe. Allein, der Geist ist schwach. Sich unmittelbare Belohnungen zugunsten künftiger, größerer Prämien zu versagen, kostet Kraft, die nicht jedem in gleichem Umfang gegeben ist. Und wie sich nun zeigt, scheint die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub im Schnitt zwischen Kulturen zu unterscheiden, wie Forscher um Dorota Węziak-Białowolska im Journal of Research in Personality berichten.
Die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub gilt als Schlüssel für eine erfolgreiche Biografie. Wer Verlockungen zugunsten späterer Belohnungen widerstehen kann, lebt im Durchschnitt gesünder, erzielt höhere Bildungsabschlüsse, macht eher Karriere und ist insgesamt zufriedener. Diese Zusammenhänge sind vielfach belegt, seit der Psychologe Walter Mischel in seinen Marshmallow-Tests Kinder vor die Wahl stellte, sofort Süßigkeiten zu essen oder nach einer Wartezeit mehrere davon zu bekommen, und schließlich ihren Lebensweg begleitete.
Frühere Studien deuteten bereits auf kulturelle Unterschiede hin, was das Team um Węziak-Białowolska von der Warschauer Kozminski University nun in einem großen Datensatz untersucht hat. Die Forscher werteten Daten der Global Flourishing Study (GFS) aus, für die 202 898 Teilnehmer aus 22 Ländern Auskunft gegeben hatten. Unter anderem stammten die Probanden aus Argentinien, Ägypten, Indien, Indonesien, Nigeria, Polen, den USA und auch Deutschland. Die Fähigkeit zum Belohnungsaufschub wurde per Selbsteinschätzung abgefragt und auf einer Skala von null bis zehn quantifiziert.
Die höchsten Durchschnittswerte – mehr als acht – stammten aus Ländern wie den Philippinen, Indonesien, Mexiko und Kenia. Deutschland landete mit einem Wert von unter sieben im Mittelfeld, wie auch Schweden, Polen und Großbritannien. Grund für die Unterschiede könnte sein, so die Forscher, dass Länder mit hohen Werten eher kollektivistische Gesellschaften seien, in denen mehr Wert auf Gehorsam und Gemeinschaft gelegt wird als in den mehr individualistischen Kulturen des Westens. Auch eine größere Religiosität spielte eine Rolle.
Zudem fahndeten die Forscher nach Kindheitserfahrungen, die mit der Fähigkeit zum Belohnungsaufschub korrelierten. Der stärkste Zusammenhang zeigte sich mit guter Gesundheit sowie mit regelmäßigen Besuchen religiöser Zeremonien. Ein deutlicher Zusammenhang bestand auch mit einem guten Verhältnis zum Vater, das in dieser Hinsicht wichtiger war als das zur Mutter. Aller Unterschiede zum Trotz bleibt eine Sache gleich: Es kostet Kraft und Vertrauen, auf die Praline vor der Nase zugunsten der ganzen Packung am Horizont zu verzichten.