Gesundheit

Krebs: Warum Übergewicht hinter so vielen Krebsfällen steckt |ABC-Z

Auf der japanischen Inselgruppe Okinawa werden die Menschen außergewöhnlich alt. Auf 100.000 Einwohner kommen mehr als 60 Hundertjährige – mehr als doppelt so viele wie hierzulande. Den Grund für das lange Leben verorten Experten unter anderem in ihrer Ernährung. Die Inselbewohner verspeisen vorzugsweise frisches Gemüse, allen voran die lokale lila Süßkartoffel, dazu Soja und Fisch – aber sparsamer als der Durchschnittsjapaner. Sie praktizieren die konfuzianische Regel des „Hara hachi bu“, das heißt nur so viel zu essen, bis der Magen zu 80 Prozent gefüllt ist.

Die Kalorienzufuhr liegt dann bei etwa 1800 bis 1900 Kilokalorien pro Tag. Übergewicht ist dort ein Fremdwort – und das wiederum ein Schlüssel zu langwährender Gesundheit.

Ganz anders in Deutschland: Hierzulande liegt nicht nur die Lebenserwartung rund 20 Jahre niedriger, auch mit der guten Ernährung hapert es zusehends, vor allem bei Männern. Waren laut Statistischem Bundesamt vor 20 Jahren noch 57,9 Prozent übergewichtig, sind es inzwischen 62,4 Prozent. Auch bei den Frauen ist der Anteil von 41,5 auf 42,5 Prozent gestiegen.

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Bauchspeicheldrüsenkrebs

Zu dieser Kategorie gehören Menschen häufig schon, wenn sie es sich nicht eingestehen mögen: So gilt eine Frau von 1,70 Meter Größe bereits ab 75 Kilogramm als übergewichtig, genauso wie ein 90 Kilogramm schwerer und 1,85 Meter großer Mann.

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Diese zusätzlichen Portionen Fett haben fatale Auswirkungen auf die Gesundheit. Nicht nur, dass das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck oder Typ-2-Diabetes zunimmt – also für das, was man gemeinhin als das „metabolische Syndrom“ bezeichnet. Mit jedem zusätzlichen Kilo steigt auch die Gefahr, an jenem Leiden zu erkranken, das die Deutschen am meisten fürchten: Krebs.

Übergewicht sei eine noch immer verkannte Gefahr, sagt Stephan Herzig. Der Krebsmediziner leitet das Institut für Diabetes und Krebs am Helmholtz-Zentrum München und kennt den Zusammenhang nur zu gut. „In Kombination mit Typ-2-Diabetes ist es ein fast genauso bedeutender Risikofaktor für Krebs wie das Rauchen“, warnt er.

30.000 Krebsfälle durch Übergewicht

Jedes Jahr erkranken bedingt durch Übergewicht etwa 30.000 Menschen in Deutschland an Krebs. „Das sind 30.000 vermeidbare Krebsfälle“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) Michael Baumann anlässlich der Nationalen Krebspräventivwoche 2023.

Sein Kollege Mathias Heikenwälder, der die Abteilung „Chronische Entzündungen und Krebs“ am DKFZ leitet, kann da nur beipflichten. „Etwa 35 Prozent aller Tumorerkrankungen gehen auf starkes Übergewicht, Bewegungsmangel und falsche Ernährung zurück“, sagt er.

Es sei oft eine graduelle Risikosteigerung. Bei Übergewicht, also einem Body-Mass-Index (BMI) zwischen 25 und 30, steige das Risiko für fast ein Dutzend Krebsarten etwa um das 1,5-Fache an, ab einem BMI von 30 – da beginnt die Fettleibigkeit – um das Zwei- bis Dreifache, so Herzig.

Dabei ist nicht das Gewicht per se das Problem. Gefährlich ist eine bestimmte Art des Fetts: das viszerale Fettgewebe. Es liegt schützend zwischen den inneren Organen wie Leber, Darm und Bauchspeicheldrüse. Doch wächst es – getrieben von einer zu zuckerreichen, zu fettigen Ernährung –, übernimmt es selbst die Funktion einer Drüse. Es setzt einen bedrohlichen Cocktail an Botenstoffen frei, der nicht nur das Wachstum von bestehenden Tumoren befeuert, sondern auch im Blut zirkulierenden Krebszellen die Möglichkeit gibt, sich niederzulassen und zu wachsen.

Entartete Zellen bleiben unentdeckt

Dazu gehören etwa freie Fettsäuren, die über die Blutbahn in die Leber gelangen. Sie lagern sich dort ein und lösen chronische Entzündungsprozesse aus. Auch Abwehrzellen, die sogenannten Fresszellen, die kranke Zellen und feindliche Erreger vernichten, sind dort zu finden. Durch die Masse an Fettzellen werden sie verstärkt aktiviert. „Es kommt zu einer niedrigschwelligen Entzündung im Körper“, erklärt der Endokrinologe und Diabetologe Matthias Blüher, der die Adipositas-Ambulanz für Erwachsene der Universitätsmedizin Leipzig leitet.

Werden dem Körper dann auch weiterhin zu viele Kalorien zugeführt, wird „das Immunsystem durch die chronische Entzündung im Körper daueraktiviert und gestresst. Dies schwächt die Abwehr von Krankheitserregern und führt dazu, dass beschädigte oder entartete Zellen unentdeckt bleiben.“

Zudem produziert das Körperfett selbst Hormone, etwa das Sättigungshormon Leptin. Es unterdrückt im Gehirn das Hungergefühl. So soll das Verlangen nach mehr Nahrung gestoppt werden. Je größer die Fettdepots, umso mehr Leptin geben sie ins Blut frei. Irgendwann geschieht das, was man auch bei Rauchern oder anderen Süchtigen kennt: Die zugehörigen Rezeptoren im Gehirn werden überschwemmt und unempfindlich. „Die appetitsenkende Wirkung des Leptins bleibt folglich aus. Es kann kein Sättigungsgefühl mehr entstehen“, beschreibt Blüher die Effekte. Was allerdings nicht gestoppt wird, ist eine weitere Wirkung des Hormons: Es fördert das Zellwachstum und macht mögliche Tumore noch aggressiver.

Hormone treiben den Teufelskreis an

Der Teufelskreis wird vor allem bei Frauen durch ein weiteres Hormon angetrieben: Östrogen. Zwei Drittel aller Brustkrebsarten gehen auf das Geschlechtshormon zurück. Seine Produktion versiegt im Laufe der Wechseljahre, während geringe Mengen des männlichen Geschlechtshormons Testosteron weiterhin gebildet werden. Die Hormonumstellung sorgt ohnehin dafür, dass mehr Bauchfett angelegt wird. Dort aber wird das Testosteron wieder zu Östrogen umgewandelt. Über seine wachstumsfördernde Wirkung trägt es maßgeblich zur Entwicklung von Brustkrebs bei.

Und schließlich ist da noch ein weitgehend unbekanntes Hormon. Es heißt Adiponectin und hat eigentlich eine wachstums- und entzündungshemmende Wirkung auf Tumorzellen. Je mehr Fettgewebe angelegt wird, desto weniger Hormon wird gebildet. Der geringe Adiponectin-Spiegel wiederum begünstigt die Entstehung von Typ-2-Diabetes – und wirft einen weiteren Kreislauf an: Das dauerhafte Zuviel an Blutzucker sorgt dafür, dass permanent das blutzuckersenkende Hormon Insulin ausgeschüttet wird – und der Körper verlernt, darauf zu reagieren.

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Dennoch schüttet die Bauchspeicheldrüse weiter Insulin aus. Und genau wie das Sättigungshormon hat auch Insulin eine wachstumsfördernde Wirkung auf Krebszellen. „Mit einem solchen Schub treten Tumore früher auf, als sie es sonst getan hätten“, sagt Stephan Herzig. Der Krebs kommt dann nicht erst mit 75 Jahren, sondern immer häufiger bereits mit 35 oder 40 auf und ist insgesamt aggressiver.

Bei Darmkrebs und Brustkrebs ist dieser Trend am stärksten zu beobachten. So erkranken und sterben inzwischen zunehmend jüngere Menschen an Darmkrebs, und die Zahl der Frauen, die Brustkrebs entwickeln, ist seit den 1980er-Jahren um das Doppelte gestiegen.

Eine gefährliche Nachbarschaft

Das Beispiel des Brustkrebses zeigt aber auch, dass nicht nur das innere Bauchfett als Drüse, sondern auch direkt benachbarte Fettzellen den Tumoren eine willkommene Hilfestellung bieten. Brustkrebs entsteht in den Drüsenläppchen sowie im Milchgang der Brustdrüsen. Tumorzellen und Fettzellen liegen dort direkt beieinander. „Es findet ein direkter Energietransfer in die Brustdrüsenzellen statt, in Form von Bausteinen wie etwa Fettsäuren“, sagt Herzig. Auch das fördert das energieaufwändige Tumorwachstum.

Ein weiterer Treiber für das Tumorwachstum könnte ersten Hinweisen zufolge bei sehr fettreicher Ernährung seinen Ursprung im Darm haben. Chinesische Forscher hatten dies bei Untersuchungen an Mäusen und Brustkrebsgewebe von Frauen mit einem BMI von über 24 festgestellt (in China gilt der Wert als Grenze zu starkem Übergewicht). Demnach begünstigt eine sehr fettreiche Ernährung bestimmte Bakterien im Darm.

So stellen die sogenannten Desulfovibrio-Bakterien die Aminosäure Leucin her: Sie ist bei Gesunden wichtig für den Erhalt und den Aufbau von Muskelgewebe. In zu großer Menge aber schade sie dem Abwehrsystem und könne so das Brusttumorwachstum begünstigen, schreiben die Autoren.

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Ähnliches gilt für den Prostatakrebs bei Männern. US-Forscher fanden bereits vor einigen Jahren heraus, dass Fettleibigkeit auch das Risiko für einen aggressiven Prostatakrebs erhöht. Eine britische Forschergruppe machte zudem fünf Bakterienarten im Darm aus, die offenbar ebenfalls mit einem aggressiven Wachstum des Prostatakarzinoms zusammenhängen.

Übergewicht ist also längst mehr als nur ein Phänomen, das dem gängigen Schönheitsideal widerspricht. Laut World Obesity Federation könnten die Kosten für das deutsche Gesundheitssystem bis zum Jahr 2035 von derzeit etwa 34,5 Milliarden US-Dollar auf fast 41 Milliarden Dollar steigen. Denn „Dicksein“ ist erblich. „Risiken, die durch die ungesunde Ernährungsweise der Eltern bedingt sind, werden an die Kinder weitergegeben“, warnt Herzig. Die Folge: Den Kindern wird die Neigung zu Übergewicht bereits in die Wiege gelegt.

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