Krankenhauskeime: Neues Antibiotikum – „Die Meisterchemiker unter den Gifttieren“ |ABC-Z
Der nur wenige Millimeter große Bücherskorpion jagt Hausstaubmilben, Staub- und Bücherläuse. Er setzt dabei ein Gift ein, das Forscher nun erstmals untersuchen konnten – und sie fanden Moleküle mit starker Wirkung gegen gefürchtete Krankenhauskeime.
Das Gift des Bücherskorpions enthält Moleküle, die antibiotisch gegen gefährliche Krankenhauskeime wirken. Darauf stießen Forscher, die erstmals das Gift umfassend charakterisierten, teilte die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung in Frankfurt am Main mit.
Die kürzlich im Fachjournal „iScience“ vorgestellten Ergebnisse könnten helfen, schwer zu behandelnde Infektionskrankheiten zu bekämpfen. Bis zu einem möglichen pharmakologischen Einsatz müssten jedoch zahlreiche Hürden überwunden werden.
Bücherskorpione, Chelifer cancroides, gehören zur Familie der Pseudoskorpione und jagen in Wohnungen Hausstaubmilben, Staub- und Bücherläuse sowie Schädlinge in Bienenstöcken. Obwohl sie mit weltweit etwa 3000 Arten eine vielfältige Gruppe der Spinnentiere darstellen, sind Pseudoskorpione – anders als Skorpione – wenig bekannt und als Gifttiere kaum erforscht. Ihren großen Verwandten sehen sie mit den im Vergleich zum Körper langen Scheren zwar ähnlich, auch wenn ihr Hinterleib nicht geteilt ist und über keinen Giftstachel verfügt.
Aufgrund ihrer geringen Größe von einem bis sieben Millimeter ließ sich ihr Gift, das sie ihrer Beute über Giftdrüsen an den Scheren injizieren, bislang nur schwer analysieren. Einem Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des LOEWE-Zentrums für Translationale Biodiversitätsgenomik sowie weiterer Institutionen sei es gelungen, alle bekannten Elemente einer neu entdeckten Giftstofffamilie des Bücherskorpions künstlich herzustellen und deren Aktivität zu untersuchen. Das Team bezeichnet sie als „Checacine“.
Dabei seien sie auf eine „überraschend stark ausgeprägte Wirksamkeit“ gegen einen bekannten Krankenhauskeim, den sogenannten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA), gestoßen. Dieser Keim sei gegen das Antibiotikum Methicillin resistent und verursache schwer behandelbare Infektionen beim Menschen, unter anderem nach operativen Eingriffen. Auch das Wachstum des für viele Lungen-, Wund- und Harnwegsinfektionen verantwortlichen Bakteriums Pseudomonas aeruginosa ließ sich mit den neuen Toxinen eindämmen.
Die Struktur und die Wirkung des Giftes müssten allerdings noch weiter erforscht werden, da die Daten auch zeigten, dass die Inhaltsstoffe beim Menschen Entzündungsreaktionen hervorrufen könnten, heißt es in der Mitteilung. „Tiergifte sind eine wahre Schatztruhe voller möglicher Wirkstoffkandidaten, doch nur ein kleiner Teil wurde bisher untersucht“, sagte dazu Studienleiter Tim Lüddecke, der die Nachwuchsgruppe „Animal Venomics“ am Fraunhofer-Institut und der Justus-Liebig-Universität Gießen leitet.
Sie hätten systembiologische und biotechnologische Methoden entwickelt, um gezielt die schwierig zu analysierenden, sehr kleinen Gifttiere zu erforschen. „Wir fokussieren uns dabei besonders auf Spinnentiere. Sie sind sozusagen die Meisterchemiker unter den Gifttieren: Ihre Gifte sind besonders komplex und pharmakologisch vielversprechend“, sagt Lüddecke. Die Ergebnisse zu den Checacinen würde zeigen, „wie sehr es sich lohnt, einen genauen Blick in das unbekannte Universum der Gifte kleiner Krabbeltiere zu werfen“.
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