Krampuslauf in Bad Tölz: Schaurige Gestalten im Lichterglanz – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z
Windböen fegen am Samstagabend über die Buden des Tölzer Christkindlmarktes. Es regnet in Glühwein- und Jägerteetassen, ach was, es schüttet regelrecht. So stark, dass sogar die duftenden Schwaden am Flammbrotstand nach unten gedrückt werden. Die Leute haben sich trotzdem nicht abhalten lassen. Sie stehen mit Schirmen, Mützen und Kapuzen dicht an dicht, es ist kein Durchkommen mehr. Die Blasmusik auf der Bühne spielt „Halleluja“. Durch die Menschenmauer kann man einen Blick in den Durchgang zum Bürgergarten erhaschen. Da stehen sie. Die Spannung der Leute ist mit Händen zu greifen, Kinder drücken sich an ihre Eltern. Alles drängt nach vorne, die Handys gezückt. Um 17.45 Uhr bricht ein höllischer Lärm los: dumpfe Glocken, Rasseln, Schellen. Die Krampusse kommen zum Lauf durch den Christkindlmarkt.
Über der Menschenmenge sieht man Hörner, dazwischen den Schein von Fackeln. Kinder schreien, junge Mädchen kreischen, der Regen prasselt. Vom „Freut euch ihr Christen“ der Blasmusik hört man nur noch Fetzen. Langsam bewegt sich der Zug auf der rechten Seite abwärts Richtung Marienbrunnen, die Zuschauer haben ein Spalier gebildet. Voran der Nikolaus gemessenen Schrittes, dahinter die wilde Horde. Archaische Gestalten, ganz in Fellen oder Leder. An den Glockengurten hängen kleine Tierschädel, einer trägt einen ausgestopften Vogel vor sich her. Die Gesichter sind grausige Fratzen mit Zähnen und Hauern, manche strecken die hölzerne Zunge heraus.
Auch die Bärbele aus dem Allgäu sind gekommen: Hexen mit merkwürdig toten Gesichtern aus Moos oder Flechten. Es sind dunkle Gestalten, halb Mensch halb Tier, wie manifeste Albträume aus Kindertagen. Erinnerungen werden wach, das Gefühl, dass man den Besuch von Nikolaus und seinem buckligen Gehilfen mit der roten Filzzunge überstehen muss, ehe das Christkind mit den Geschenken kommt und die Tage wieder länger werden.
Die Krampusse in der Marktstraße mit ihren kunstvoll geschnitzten Larven hüpfen und tänzeln im Takt der Schellen, fegen an den Zuschauerreihen entlang, brechen sich Bahn mitten in die Menge, kommen ganz nah. Sie suchen Körperkontakt, stibitzen Kappen, jagen vorwitzige Buben, die versuchen, die Reisigzweige aus den Kraxen zu klauen, streichen über Kinderköpfe. Schrecklich anzusehen, aber harmlos. Brave Krampusse. „Wenn die auf dich zu roasen, musst sie einfach wegschubsen“, rät ein junger Mann.
Zum sechsten Mal findet der Krampuslauf heuer in Bad Tölz statt, der sich zu einem Besuchermagnet entwickelt hat. Sieben Gruppen sind in diesem Jahr angemeldet – aus Oberbayern, dem Salzburger Land, Berchtesgaden, Tirol oder dem Allgäu. Die kleine Sofia sieht ein bisschen verschreckt aus, als die wilden Kerle an ihr vorbeigezogen sind. Nein, gefürchtet habe sie sich nicht, erklärt die Achtjährige tapfer. „Die waren ja ganz nett.“ Eine von den Hexen habe ihr sogar eine Tüte Gummibärchen geschenkt. Ähnlich sieht das ihr großer Bruder Alexander. „Ich hab keine Angst“, betont der Zwölfjährige.“ Er habe sich einfach in den hinteren Reihen versteckt, „damit ich keine Schläge bekomme.“
Als die Krampusse auf ihrer Runde wieder die Marktstraße heraufkommen, ist die Stimmung gelöster. „Sie kemman“, ruft eine junge Frau, als von unten die Glocken zu hören sind. Es dauert, weil der Nikolaus erst noch Selfies machen muss. Ein begehrtes Motiv ist einer der Hattinger Tuifl aus Tirol: Rot glühende Augen, gedrehte Hörner, kalkweißes Gesicht, spitze Stiftenzähne. „Des ist der Beste“, sagt ein Mann. Ein Fürst der Finsternis, irgendwo zwischen Hieronymus Bosch und Fantasy.
Es riecht nach nassem Fell, wenn die Krampusse Auge in Auge heran kommen. Nach gut einer Stunde ist der Spuk vorbei, viele Leute stellen sich bei den Glühweinständen unter und lassen das bildgewaltige Spektakel noch nachwirken. Die Krampusse sind so spurlos verschwunden, wie sie gekommen sind. Vermutlich sind sie wieder zurück in ihren Wäldern, Höhlen und Schluchten. Oder doch in den großen Reisebus gestiegen, der oben an der Marktstraße steht?