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GNTM 2025: So war Folge 20 | ABC-Z

Die 20. Episode der 20. Staffel GNTM beginnt vielversprechend. Nesthäkchen Moritz manifestiert seine inzwischen routinemäßig aufblitzende, inbrünstige Leidenschaft für den Karriereweg Model mit einem enthusiastischen „Heute ist der Tag, vor dem ich am meisten Angst hatte!“ Und das noch, bevor überhaupt die ersten Takte des Titelsongs ertönt sind. Moritz, Deutschlands frechster Arbeitsverweigerer, hatte seine ambitionierte Hingabefähigkeit bereits in der Vorwoche eindrücklich dokumentiert, als er Designerin Marina Hoermanseder mitteilte, er „sähe nicht“, warum er ihr einen Walk zeigen müsste. Verständlich. Warum sollte er? Bringen Taxifahrer etwa ihre Kunden von A nach B, wenn man sie damit beauftragt? Backen Konditoren etwa Torten, wenn man welche bestellt? Na? Eben!

Dennoch fragt sich der neutrale Zuschauer natürlich, welche phobierelevanten Aufgaben heute wohl auf die Modelazubi-Flotte warten, wenn in Moritz ein offenbar jahrelang hocheskaliertes, oppressives Trauma erweckt wird. Umstyling war ja schon. Unterwasser-Shooting? Fallschirmsprung? Casting bei Marina Hoermanseder? Natürlich nicht. Alles Peanuts für „Versuch’s mal mit Gemütlichkeit“-Modelbär Moritz, dessen Lieblingsdesignerin übrigens nicht Hoermanseder ist, sondern Chill Sander. Nein, der überraschende Super-GAU (größtes anzunehmendes Unbehagen) ist für Moritz die Ankunft der heutigen Challenge-Paten und Gastjuroren: der Dragqueens. Da kann man die Verwirrung selbstverständlich nachvollziehen. Alles voller Dragqueens, was soll das? Wir sind doch nicht in einer Berliner Kita!

Das von Katy Bähm, der deutschen RuPaul, angeführte Drag-Quintett aus Catherrine Leclery, Bambi Mercury, Yoncé Banks und Candy Crash löst in Moritz offenbar einen akuten Fragilitätsschub aus. Dabei stammt der fast 20-jährige Moritz sogar aus Berlin. Einer Stadt, in der man Dragqueens probabilistisch betrachtet häufiger über den Weg läuft als gut gelaunten Einheimischen. Glamourösen Erscheinungen wie Katy Bähm, die immer ein wenig aussieht wie die uneheliche Tochter von Lilo Wanders vor einem Auftritt auf ihrem Abiball im Pariser Lido, begegnet man in der Hauptstadt in jeder Pommesbude.

„Ich bin nicht so Fan von diesen ganzen, äh, Sachen!“

Dennoch löst die alljährliche Drag-Edition bei Moritz offenbar tief verwurzelte Beklemmungen aus. Bislang konnte Moritz allerdings jede Spontan-Indignation vor unwillkommenen Aufgaben stets professionell mit seiner angeborenen Lustlosigkeit überspielen. Für den Verlauf der Drag-Queen-Episode darf man sich also berechtigte Hoffnungen auf weitere Moritz-Klassiker wie „Auf Heels laufen? Nee, sehe ich nicht!“ machen. Nach dieser vorfreudigen Prognose zeigt sich allerdings mal wieder: Die Realität ist oftmals noch grotesk-ridiküler als jede Theorie. Passend zu dieser schönen Tradition gibt Moritz nämlich umgehend zu Protokoll: „Ich bin nicht so Fan von diesen ganzen, äh, Sachen!“

Josy und Daniela laufen gemeinsam mit Yoncé Banks (Mitte)ProSieben/Max Montgomery

Diese ganzen, äh, Sachen (also vor allem Dragqueens, High Heels und Varieté-Atmosphäre) kann aber selbst Moritz heute nicht per Negligenz-Anfall wegrelaxen. Dafür erhält er bei seiner Drag-Irritation wenigstens Schützenhilfe von Ego-Attitude-Zwilling Kevin, der ebenfalls unkaschiert mit den aktuellen Anforderungen hadert: „Ich habe bestimmt was Feminines in mir, das hat jeder Junge, aber ich habe nichts Feminines in mir!“ Dragqueens scheinen bei Kevin vor allem Lähmungserscheinungen im Sprachzentrum auszulösen. So formschön in Synapsen-Konflikt geraten, möchte auch Moritz noch kurz einen Satz beisteuern, für den der durchschnittliche Zuschauer erst mal sein Zentralnervensystem rebooten muss: „Es kann sein, dass es albern wird, aber vielleicht sieht es auch nicht gut aus!“ Gäbe es Sonderpunkte für kognitive Komplettverwirrung, Moritz hätte sich damit bereits ins Finale philosophiert.

Keine Lust auf eine Box

Zu seinem Glück trifft Moritz beim High-Heels-Training auf eine verständnisvolle Dragqueen. Obwohl der Name Bambi Mercury zwar automatisch die Assoziation einer Symbiose aus einem Reh und dem Sänger von Queen weckt, ist Bambi Mercury nicht bereit, sich konventionell klassifizieren zu lassen: „Ich habe keine Lust, mich in eine Box stecken zu lassen!“ Darum hat Bambi heute ein Outfit gewählt, in dem sie so aussieht wie Harald Glööckler, der einige Dalmatiner-Welpen roh verzehrt und das verbliebene Fell dann in ein Haute-Couture-Kleid weiterverarbeitet hat, an das versehentlich ein schwarzes Cello getackert wurde. Klingt extravagant, gibt aber in jedem Fall das in der Fashionbranche eher selten vergebene Zero-Waste-Zertifikat.

Sportliche Pose: Kandidat Jannik
Sportliche Pose: Kandidat JannikProSieben/Max Montgomery

Als das Training beginnt, werden die Kandidaten in Zweiergruppen aufgeteilt. Moritz hat Glück. Ihm wird der tiefenentspannte Pierre zugelost, der die Allüren von Moritz charmant wegignorieren kann. Weniger optimal läuft das Partner-Roulette für Kevin. Er tanzt mit Aaliyah, die deutlich weniger Verständnis für seinen Kampf gegen ausufernde Feminität aufbringt: „Er will immer der oberkörperfreie Macker sein und hat auch gesagt, wenn das meine Kumpels sehen!“ Ich bin keine Mental-Health-Expertin, aber wenn man Unbehagen davor verspürt, was wohl die eigenen Freunde sagen, wenn man berufsbedingt einen halben Tag auf High Heels verbringt, sollte man vielleicht weniger nach neuen Vermeidungsstrategien suchen, sondern lieber nach neuen Freunden.

„Kevin so: Keinen Bock!“

Als Kevin bemerkt, dass er zum High-Heels-Choreo-Training versehentlich auch noch in pinkem Jogger erschienen ist, zieht er sicherheitshalber postwendend sein Hemd aus. Die Heels-Phobie kann er mit diesem ultramännlichen Verlegenheitsmove allerdings nicht ablegen und umfährt für den Rest des Tages jeglichen Ansatz mit femininem Gefahrenpotential weiträumig. Sehr zum Leidwesen der trainingsbesessenen Aaliyah: „Ich wollte noch mal zehn Minuten üben, aber Kevin so: Keinen Bock! Und ich habe keinen Bock, ihm wie ein Hund hinterherzubetteln.“

Seinen letzten verzweifelten Versuch, den drohenden Drag-Queen-Auftritt abzuwenden, startet Kevin direkt am nächsten Morgen: „Ich habe die Nacht nicht geschlafen! Ich habe eine Blase am kleinen Zeh links, ich habe eine Blase an der Ferse rechts, diese Blasen schmerzen beim Laufen!“ Dafür, dass Kevin offenbar unter der panischen Angst leidet, seine Freunde könnten sein Auftreten als nicht ausreichend alphamännlich kategorisieren, spricht er auffallend ausführlich über Blasen.

Amüsieren sich ohne den Model-Nachwuchs: Catherrine Leclery, Bambi Mercury, Candy Crash, Heidi Klum, Katy Bähm und Yoncé Banks
Amüsieren sich ohne den Model-Nachwuchs: Catherrine Leclery, Bambi Mercury, Candy Crash, Heidi Klum, Katy Bähm und Yoncé BanksProSieben/Max Montgomery

Vor der Dragqueen-Challenge dürfen die Kandidaten als Motivations-Katalysator noch mal mit ihren Familien telefonieren. Die Mutter von Moritz nutzt die Gelegenheit, ihren Sohn daran zu erinnern, was er am besten kann: „Schalte deinen Kopf aus!“ Leider hält der Spoiler-Beauftragte von Pro 7 die Zeitfenster für diskursoffene Heimtelefonie stets sehr kurz, sodass wir auf weitere Bonmots verzichten müssen. Mist. Ein beschwichtigendes „Tanzen ist wie Pickel, gut ausdrücken ist wichtig!“ hätte ich gerne noch mitgenommen.

Aber auch andere Kandidaten stehen diese Woche vor ungewohnten Herausforderungen. Zoe etwa fühlt sich wie auf einem Kindergeburtstag: „Man muss super viel Ballons auf einem Bein haben!“ Meine Hoffnung, es würde sich vielleicht um diese süßen Ballon-Hündchen handeln, zerschlägt sich leider nach einer schnellen Rückfrage bei meinem auf 556-Euro-Basis engagierten Transkriptions-Assistenten direkt. Zoe hatte wohl doch „Man muss super viel Balance auf einem Bein haben!“ Schade. Die Enttäuschung ist aber schnell vergessen, denn Zoe entschädigt mit einem weiteren anatomisch-choreographischen Kleinod: „Wir haben so viel mit Füßen, Händen und Armen zusammen gemacht, da war so in meinem Kopf, ey, was machst du?“ Das wäre auch ein guter Titel für ihre Memoiren: „Ey, was machst du?“

Keine Ballons, sondern Balance

Bevor die Dragqueen-Showacts beginnen, erfahren die sofort partiell schockierten Kandidaten kurzfristig, dass ihre Transformation zu einer echten Teilzeitdiva mit High Heels noch lange nicht abgeschlossen ist. Es folgen noch exaltierte Outfits, lange, künstliche Nägel, Perücken und Eingriffe in der Vulvengegend. Besonders Jannik hat Respekt vor der Showmaniküre: „Ich hoffe, dass ich mir mit den Nägeln beim Tanzen kein Auge aussteche!“ Aber auch Berufsverweigerer Moritz leidet unter Langnägel-Melancholie: „Ich habe versucht, auf Toilette zu gehen, aber mit den Nägeln geht nichts!“ Man merkt, er hat sich zur Vorbereitung auf GNTM nicht ausreichend mit gängigen Realityformaten beschäftigt. Sonst wäre ihm der Leitsatz von „Dschungelcamp“-Legende Dr. Bob geläufig: „Bei Schlangen bitte keine hektischen Bewegungen, einfach langsam mit dem Handrücken wegschieben!“

Kevin dagegen könnte selbst die korrekte Verwendung des Handrückens nicht retten: „Mein Outfit war eine Wurstpelle, mindestens vier Nummern zu klein!“ Jetzt könnte man sagen, mindestens vier Nummern zu klein, das passt doch, denn vier Nummern zu klein ist ja auch sein Weltbild. Das spürt man auch bei der Ankündigung zur Beulenvermeidung im Schrittbereich der Drag-Outfits: „Ihr werdet jetzt noch getuckert!“ Eine repräsentative Schnellumfrage zeigt: Keiner aus dem Ensemble weiß, was „tucking“ bedeutet. Besonders hart trifft es aber wieder Kevin. Er versteht nur „Tucke“ und bekommt sofort Schnappatmung im Intimbereich seiner rosa Jogginghose.

„Eigentlich müsste ich dich nach Hause schicken!“

Entsprechend mittelmäßig fällt dann auch sein Bühnenauftritt aus. Heidi Klum urteilt gnadenlos: „Du warst der Schlechteste der Männer. Eigentlich müsste ich dich nach Hause schicken!“ Kevin hat aber noch ein paar Gender-Bonuspunkte zum Einlösen in der Hinterhand und profitiert von Klums Affinität zu seinem durchdefinierten Oberkörper: „Weil das hier aber für Männer schwieriger ist als wie für die Girls, gebe ich dir noch eine Chance!“ Was für ein Tag für Kevin. Von High Heels traumatisiert, als Schlechtester abgekanzelt und dann noch in ein klumtypisches Grammatik-Fiasko reingezogen. Das fühlt sich noch schlimmer an als wie Blasen an den Füßen.

Weniger Glück und vor allem keine Y-Chromosomen haben dagegen Eva und Katharina. Beide müssen überraschend gehen. Dabei hat Eva zwei der letzten Topjobs bekommen, und Katharina lief als eines der ganz wenigen Mädchen auf der Fashion Week. Dennoch haben einige bisher joblos dastehende Kandidatinnen wie etwa Aaliyah die beiden wohl überholt. Die Klum-Faustregel „Ein Model ohne Job ist kein Model“ gilt offenbar nur selektiv.

Insgesamt ein nahezu groteskes Entscheidungsszenario. Eines der Models mit den meisten Jobs, inklusive mehrerer Fashion Week Bookings, wird von einem Modelwettbewerb ausgeschlossen, weil sie nicht so gut als Dragqueen getanzt hat. Das ist ein bisschen so, als würde man Florian Wirtz aus der Fußballnationalmannschaft werfen, weil er nicht so gut Spargelsuppe kochen kann. Wie Heidi Klum diesen Bewertungstiefschlag kompensieren möchte, das verrate ich dann kommende Woche. Bis dann.

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