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Konzertkritik: Oasis sind zurück – und zwar so was von! – Kultur | ABC-Z

„Hello, said it`s good to be back“, der Refrain ihres ersten Liedes, pünktlich um 20:15 Uhr am Freitagabend, es ist der natürliche Beginn eines übernatürlichen Abends, die Selbstverständlichkeit einer Band, die sich lange genug selbst nicht verstand.

Oasis sind zurück, sie starten tatsächlich ihre erste Tour seit 16 Jahren, im überdachten Principality Stadion im walisischen Cardiff, vor 60 000 Menschen, die sich bereits glücklich schätzten, überhaupt Tickets bekommen zu haben, und die nun hoffen, überglücklich gemacht zu werden. Sie nahmen den halbstarken Gallagher-Brüdern ihr vollmundiges Versprechen ab, wieder da zu sein, füreinander und für alle. Und sie werden, zu ihrer eigenen Überraschung, nicht enttäuscht.

Zur Erinnerung, falls jemand die Lücke im Lebenslauf der beiden Musiker nicht kennt: Liam, heute 52, und Noel Gallagher, 58, aus Manchester haben der Welt 1991 mit Gründung ihrer Band den Britpop geschenkt und 2009 mit ihrer Auflösung wieder genommen. Danach haben sie ihr eigenes Ding, aber immer noch gemeinsame Sache gemacht, nur ohne den jeweils anderen, sprich: Solo-Karrieren mit brauchbaren Songs, die live ergänzt werden mit den wunderbaren Klassikern aus der Oasis-Zeit. Alles gut. Aber nicht perfekt. Bis jetzt.

Das zweite Lied heißt Acquiesce, sie singen „Because we need each other / We believe in one another“, weil sie einander brauchen und an den anderen glauben. Die Brüder spielen (neben den anderen Musikern, die im Schatten stehen, und vor einer Leinwand, die nette, aber vergängliche Collagen und Muster zeigt, egal) zusammen einen Hit nach dem anderen. Alles ist altbekannt, und doch bekommt alles eine neue Bedeutung.

Oasis’ Comeback ist vom Aufwand her nicht zu vergleichen mit dem eines Boxers, der Monate lang trainieren muss, um in Form zu kommen. Sich an das gemeinsame Spielen der Songs zu erinnern, ist die einzige Vorbereitung für die Auftritte, und das mag für viele andere Bands eine rührende Angelegenheit sein. Für die Brüder ist es eine retraumatisierende. Der langen Pause ist eine brüderliche, in den größten Arenen der Welt ausgelebte Hassliebe vorausgegangen. Das kommt in den besten Familien vor und erst recht in gewöhnlichen. Aber wie die Pop-Geschichte zeigt, ist die Bandbreite von Hass und Liebe in einer Welt voller Ruhm und Ehre und Kunst und Konsum und Schuld und Bühne nochmal um einiges breiter als unter gewöhnlichen Umständen. Andere können sich diskret aus dem Weg gehen. Eine Band muss sich dafür schon öffentlich auflösen.

„Some might say“ und „Cigarettes and Alcohol“, lange vermisste Melodien, ein Elfmeter für jede durchschnittliche Party-Band. Aber Engländer und Elfmeter? Doch, doch, es funktioniert, Liams Stimme hält, Noels Gitarre sowieso, schön langsam fragt sich das Publikum, ob es diese lange Pause nur imaginiert hat.

Im August 2009 hat sich die Band getrennt, nachdem der Streit in einem Angriff Liams auf seinen Bruder gegipfelt war, bei dem eine Gitarre wie eine Axt geschwungen worden sein soll. Noel verließ die Band, die restlichen Konzerte der Tour wurden abgesagt, eine gemeinsame Rückkehr ausgeschlossen. Vergangenes Jahr dann die Ankündigung, es nochmal miteinander versuchen zu wollen. Die Preise von bis zu 355 Pfund für ein Stehplatzticket haben die besungene Arbeiterklasse verschreckt, aber es gab doch genügend, die genügend zahlen. Megalomanischer Manchesterkapitalismus.

Hätten sie Interviews zur anstehenden Tour gegeben, hätte Noel die Pläne mit seiner mürrischen Lust an der Provokation und Liam mit seinem kindischen Zwang dazu gewiss als das größte Comeback seit Jesus bezeichnet.

Die Stimmung in Cardiff gleicht tagsüber eher einem Finale als einem Anfang. Trikots, Anglerhüte, Bierwesten. Den ganzen Freitag schon trinken sich die angereisten Fans in der walisischen Hauptstadt ein, im Namen der Brüder, Selbstzerstörung durch Fremdeinwirkung. Kurz zuvor hat die britische Regierung ihren Zehn-Jahres-Plan für die Sanierung des nationalen Gesundheitsdienstes vorgelegt, aber vielleicht hätte sie damit noch diesen speziellen Sommer abwarten sollen. Die zwölf Konzerte allein im Vereinigten Königreich mit Hunderttausenden bechernden Oasis-Fans könnte die statistische Grundlage signifikant beeinflussen.

„Whatever“ und „Rock’n’Roll Star“, die Seligkeit im Stadion wird fast kitschig, zumindest auf den Rängen. Auf den Toiletten pissen die Besoffenen, denen die Schlange zu lang ist, in die Waschbecken. Keine Zeit verschwenden. Schon genug verschwendet.

16 Jahre sind lang, viel ist passiert, auch da draußen. 2009 war Barack Obama gerade US-Präsident geworden, Großbritannien war noch in der EU, das Land hatte noch eine Queen. Manchester City war noch kein erfolgreicher Verein, und Thomas Tuchel, heute englischer Nationaltrainer, wurde in jenem Sommer Trainer von Mainz 05 und hat noch Zucker gegessen.

Noel Gallagher hat kürzlich das Glastonbury-Festival als zu woke geschimpft

Was auch zur Wahrheit gehört: Die Welt stand damals am Beginn eines gesellschaftlichen Wandels hin zu einer sanfteren, anständigeren, achtsameren, diverseren, zuckerfreieren Welt. Es mag Zufall sein, dass jetzt die breitbeinigen, hemdsärmeligen, großmäuligen Berufsbeleidiger wieder ins Licht poltern, aber es passt zum allgemeinen Zurückdrehen der Uhren. Noel Gallagher hat kürzlich das Glastonbury-Festival als zu woke geschimpft. Gefühl aber hat er noch.

Er singt einen längeren Part in der Mitte des Sets, „Talk tonight“ und „Half the world away“. Seligkeit im Publikum, Tränen, „Little by Little“, Verbrüderungen. Weinen nach Bier, das rate ich dir.

Von „lautstarken, mittelalten Männern“, die „ein mittleres bis hohes Maß an Trunkenheit“ zeigten, sprach die Stadtverwaltung von Edinburgh bei einem Sicherheitsmeeting für bevorstehende Konzerte. Und auf den ersten Blick sieht man da auch diese rohen Männer auf den Rängen. Aber spätestens „Stand by me“ kocht sie weich. In ihren glasigen Augen spiegelt sich nicht mehr nur die Leber, sondern auch das Leben. Eine ganze Generation schaut da in den Rückspiegel, es läuft der individuelle und dabei doch kollektive Coming-of-Age-Film, rückwärts. Die Anwesenden mögen nicht Regisseure ihrer Biographien gewesen sein, aber den Soundtrack immerhin haben sie selbst bestimmt. Die Erinnerung kommt zurück, an die Tage, als „Wonderwall“ noch dem Britpop gehörte und nicht der Musikgeschichte, als „Don`t look back in Anger“ nur im Radio gespielt wurde und noch nicht auf Hochzeiten, als „Live Forever“ noch ein Hit war und keine Hymne, als „Champagne Supernova“ nur spät auf Partys aufgelegt wurde und nicht zu spät auf Beerdigungen: „But you and I, we live and die, the world`s still spinning round we don`t know why“.

Es ist das letzte Lied, danach gibt es eine flüchtige, umjubelte Umarmung der Brudis, und die große Frage, ob der Abend selbst erinnerungswürdig bleiben wird, findet ihre Antwort. Jessas.

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