Kontroverse um Klimaziel: Hat ein Minister die Öffentlichkeit getäuscht? – Bayern | ABC-Z
Nach irreführenden Aussagen von Bayerns stellvertretendem Ministerpräsidenten Hubert Aiwanger ist eine Kontroverse um das bayerische Klimagesetz entbrannt. Aiwanger hatte am Donnerstag auf eine Frage der SZ gesagt, dass die Koalition aus CSU und Freien Wählern das im Gesetz verankerte Ziel der CO₂-Neutralität bis spätestens 2040 „schon geändert“ habe – und zwar auf 2045. Das ist falsch. Der Landtag als gesetzgebendes Verfassungsorgan hat bislang weder über eine Änderung des Klimaschutzgesetzes beraten noch abgestimmt. Nach aktuell gültiger Rechtslage muss Bayern „spätestens bis zum Jahr 2040“ klimaneutral sein – also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als gespeichert oder abgeschieden werden können.
Doch nun wird durch Recherchen des Bayerischen Rundfunks (BR) bekannt, dass die Staatsregierung im vergangenen November den Beschluss gefasst hat, ihr ehrgeiziges Klimaziel zu kippen und auf 2045 zu verschieben. Der BR bezieht sich auf ein internes Beschlusspapier des Kabinetts und berichtet, dass eine Gesetzesänderung vorbereitet werde.
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Der Vorgang ist politisch brisant, aus mehreren Gründen. Offenbar unbeabsichtigt hat Wirtschafts- und Energieminister Aiwanger bislang unbekannte Pläne der Staatsregierung öffentlich gemacht und dabei durcheinander gebracht, dass ein interner Beschluss im Kabinett nicht mit einer Gesetzesänderung gleichzusetzen ist. Gesetze müssen im Parlament beraten und verabschiedet werden.
Deutlich brisanter ist allerdings die Rolle von Umweltminister Thorsten Glauber, der wie Aiwanger den Freien Wählern angehört. Einen Monat, nachdem das Kabinett sein Klimaziel beerdigt haben soll, sagte er im Landtag: „Das Hohe Haus, das Parlament, hat dieses Klimaschutzgesetz beschlossen, und das gilt. Bayerns Ziel, bis 2040 klimaneutral zu werden, steht.“ Glauber betonte am 12. Dezember: „Der Freistaat Bayern steht natürlich zu seinen Klimaschutzzielen.“
Täuschte der Minister Parlament und Öffentlichkeit also bewusst? Oder hatte er von dem Beschluss seiner eigenen Staatsregierung keine Kenntnis? Das Umweltministerium teilte am Freitag auf SZ-Anfrage nur mit, dass der Minister in seiner Rede betont habe, „wie wichtig ihm persönlich das Thema Klimaschutz ist“. Seine Äußerungen im Landtag bezogen sich „auf das aktuell geltende Recht und die damit aktuell geltenden Klimaziele in Bayern“. Eine Verschiebung auf 2045 sei aber „perspektivisch möglich“. Einen entsprechenden Gesetzentwurf gebe es im Ministerium nicht.
„Die Staatsregierung hält sich nicht an ihr eigenes Gesetz und verschleiert das vor der Bevölkerung“
Aus der Landtagsopposition kommt scharfe Kritik. „Die Staatsregierung hält sich nicht an ihr eigenes Gesetz und verschleiert das vor der Bevölkerung“, rügte Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze am Freitag auf X. „Anstatt alles zu tun, um Klimaschutzziele zu erreichen, stellt sie die Arbeit ein. Ihnen sind die Kinder und Enkel egal.“ Über die Rolle von Umweltminister Glauber sagte sie: „Falls er bei dem Kabinettsbeschluss dabei war, muss man sich die Frage stellen, ob Thorsten Glauber seine Rolle als Umweltminister überhaupt ernst nimmt.“ Der SPD-Abgeordnete und ehemalige Fraktionschef Florian von Brunn kritisierte: „Wie unseriös, dass sich Söder und Aiwanger heimlich von den Klimazielen verabschiedet haben.“
Die Debatte um Bayerns Klimapolitik ist nicht neu. Wirtschaftsminister Aiwanger hatte die ambitionierten Klimaziele des Freistaats bereits in der vergangenen Legislaturperiode in Zweifel gezogen. Doch nach der Landtagswahl im Herbst 2023 betonte die Koalition aus CSU und Freien Wählern in ihrem Koalitionsvertrag: „An unserem Ziel Klimaneutralität bis 2040 halten wir fest.“
Nur wenige Monate später schwenkte auch Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder auf Aiwangers Linie um. Ohne Atomkraft sei das gesetzlich verankerte Ziel nicht zu erreichen, sagte er im November 2024. Man habe alle Daten geprüft. „Keine Chance.“ Auch Söder nannte damals das von der Bundesregierung gefasste Klimaziel 2045 als neue Marke, allerdings mit Fragezeichen. Von einer Gesetzesänderung war keine Rede.
Das Klimagesetz wurde viele Jahre nach dem Atomausstieg beschlossen
Söder hatte das Klimagesetz 2021 unter der Überschrift „Klimaland Bayern“ vorangetrieben. Der Ausstieg aus der Atomkraft stand da schon seit einem Jahrzehnt fest. Das hinderte den Ministerpräsidenten aber nicht daran, überaus ambitionierte CO₂-Ziele ins Gesetz aufzunehmen: Demnach muss der Freistaat seinen CO₂-Ausstoß schon im Jahr 2030, also in fünf Jahren, um „mindestens 65 Prozent gesenkt“ haben im Vergleich zu 1990. Spätestens 2040 darf in Bayern gar kein CO₂ mehr in die Atmosphäre geblasen werden, wenn es nicht beispielsweise technisch abgeschieden werden kann.
Sämtliche Experten, auch innerhalb der Staatsregierung, hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass Bayern nicht genug unternehme, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen. 2025 müsste die Staatsregierung laut ihrem Klimagesetz „zusätzliche steuernde Maßnahmen“ auf den Weg bringen, um die Emissionen zu senken. Davon ist bislang nichts zu sehen.
Umweltverbände reagierten am Freitag empört auf die geplante Abkehr vom Klimaziel. Der Schritt schaffe „große Verunsicherung und klimapolitische Mutlosigkeit“, teilte Saskia Reinbeck mit, Klimaexpertin von Greenpeace Bayern. „Bayerns Klimaziel nur zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten wieder abschaffen zu wollen, ist angesichts der immer dramatischeren Beschleunigung der Erhitzung unseres Klimas absolut unverantwortlich.“
Martin Geilhufe, der Landesbeauftragte des Bundes Naturschutz, fragt sich, „wie lange Ministerpräsident Markus Söder und sein Stellvertreter der Öffentlichkeit diese gewichtige Entscheidung noch verheimlicht hätten?“ Er sprach von einem fatalen Zeichen. Allein das Hochwasser im vergangenen Juni habe in Bayern Milliardenkosten verursacht. Es benötige daher mehr Klimaschutz, nicht weniger. „Die Klimakrise macht keine Pause.“