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Windacher Grundschullehrerin setzt neue Impulse in der Leseförderung – Starnberg | ABC-Z

„Da ist doch nur ein Buch drin.“ Diese Antwort bekam Grundschullehrerin Helen Herrmannsdörfer vor zwei Jahren,  als sie nach den Weihnachtsferien  fragte, warum ihre Schüler das Buchgeschenk nicht einmal aus dem Geschenkpapier ausgewickelt hätten. Denn nur fünf Kinder ihrer Klasse hatten es überhaupt ausgepackt. Die Frage, ob jemand darin gelesen habe, traute sie sich erst gar nicht zu stellen. Dabei hatte sie aktuelle Lektüren ausgewählt, mit denen sie den Kindern eine Freude machen wollte. Aber auch an der Grundschule im ländlichen Windach, wo sie unterrichtet, schwindet bei den Kindern die Lust am Lesenlernen.

Statistiken bestätigen diese Erfahrung: Laut Stiftung Lesen verlässt jedes vierte Kind die Grundschule, ohne richtig lesen zu können. Für Herrmannsdörfer, die von sich selbst sagt, sie sei ein „Büchernerd“,  war dieses Erlebnis ein Schock. Das Thema Lesen ist für die Grundschullehrerin, die seit 21 Jahren unterrichtet, ein wichtiges. Schon als Schülerin las sie sich jede Woche durch einen Stapel Bücher aus der Bücherei. Die 48-jährige Pädagogin stammt aus einer Lehrerfamilie, ist mit einem Grundschullehrer verheiratet und Mutter von zwei Kindern.

Herrmannsdörfer ist zudem als Kinderbuchbloggerin tätig ist und schreibt für die Zeitung Eselsohr. Natürlich ist sie auch die Lesebeauftragte ihrer Schule im Landkreis Starnberg mit knapp 400 Buben und Mädchen. Dort bietet sie an eine eigene Schulbibliothek, regelmäßige Buchtipps für Kinder und einen Podcast, den sie mit ihrer Lese-AG erarbeitet. Regelmäßig veranstaltet sie Lesungen mit den Isarautoren, auch weil der Kontakt zu Autorinnen und Autoren ein motivierendes Erlebnis für die Kinder sei.

Herrmannsdörfer ist es wichtig, dass alle lesen lernen. „Die Situation ist dramatisch“, sagt sie. Die Motivation der Kinder sei gering. Dass Kinder am Ende der Grundschulzeit nicht richtig lesen können, hat sie selbst schon festgestellt. Herrmannsdörfer suchte nach der missglückten Weihnachtsüberraschung nach neuen Ansätzen. „Ich habe online Fortbildungen in ganz Deutschland gemacht“, erzählt  sie. Umfassend informierte sie sich über Leseförderung, trat Verbänden bei, las Fachliteratur.

Unterhaltsam das Lesen fördern, das verfolgt Helen Herrmannsdörfer mit dem von ihr konzipierten Würfelspiel.
Unterhaltsam das Lesen fördern, das verfolgt Helen Herrmannsdörfer mit dem von ihr konzipierten Würfelspiel. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Dann begann sie ein eigenes Konzept namens „Vielfältige Leseförderung“, basierend auf das Programm Filby (Fachintegrierte Leseförderung Bayern),  zu entwickeln und nahm die Kinder dabei mit. Sie probierte ihre Ideen aus, ein Lautlese-Konzept: Es wird nicht leise und hauptsächlich nicht alleine gelesen. Ihr Programm nennt sie vielfältig, weil sowohl schwache als auch starke Leser gefördert werden sollen, es für alle Texte geeignet ist und lustige Spielideen dabei sind.

Der Trick: „Die Kinder vergessen, dass sie lesen.“

Die Maxime: Spaß verknüpft das Lesen zu etwas Positivem. Dabei fängt die Lehrerin mit der gängigen Methode „Tandem-Lesen“ an. Die Paarungen werden nach einer von der Universität Regensburg erstellten Methode zusammengestellt. Das Tandem aus „Trainer und Sportler“ soll nicht zu große Unterschiede in den Fähigkeiten haben, dabei lesen sie die Texte gemeinsam laut. Beim Chorlesen werden kleinere Gruppen zusammengefasst, später liest die ganze Klasse. Dabei liest die Lehrerin laut vor, die Kinder lesen leise mit. „Das simultane Lesen und Hören schafft die Basis, dass die Kinder den Text verstehen“, sagt Herrmannsdörfer. Das verschaffe den Kindern Erfolgserlebnisse. Denn wenn der Text ganz gelesen und verstanden werde, könnten sie mitreden.

Weitere Hilfsmittel ihres Programms „Vielfältige Leseförderung“.
Weitere Hilfsmittel ihres Programms „Vielfältige Leseförderung“. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Einen ganz wichtigen Baustein bilden die Lesespiele, die Herrmannsdörfer entwickelt hat. Beim Lesespiel mit dem Würfel bekommen die Kinder Anweisungen wie „Lesen wie ein Frosch!“ oder „Langsam lesen!“. Der Renner dabei ist: „Mit hoher Stimme lesen!“ Witze im Dialog lesen und Emotionen mit der Stimme zu transportieren,  auch das wird geübt. Dabei ist es wichtig, dass es ein Lesespiel bleibt und Texte nicht auswendig vorgetragen werden. Und schlussendlich gibt es noch das Lesetheater, das auch innerhalb der Klassen vorgetragen werden kann. „Die Kinder vergessen, dass sie lesen“, sagt Herrmannsdörfer.

Mit ihrem Programm „Vielfältige Leseförderung“ landete Herrmannsdörfer nun auf Anhieb unter den zehn Nominierten in der Kategorie „Herausragendes individuelles Engagement“ für den Deutschen Lesepreis 2026, der im Februar  in fünf Kategorien vergeben wird. Das Konzept hat sie schon den Lesebeauftragen aus Oberbayern vorgestellt, außerdem gibt sie auf Anfrage Fortbildungen an Schulen. Sie rät Lehrenden davon ab, schwache Leser vor der Klasse alleine laut vorlesen zu lassen. Besser sei es, an jedem Schultag zehn bis fünfzehn Minuten für das Lesen zu nutzen. Ihr Programm ist für Lehrende an Grundschulen konzipiert.

Eltern können und sollen auch dazu beitragen, dass aus Lesefrust wieder Leselust wird. Vorlesen steht dabei an erster Stelle. Sie empfiehlt auch Bücherreihen wie „Erst ich ein Stück, dann du“, bei denen Erwachsene und Kinder abwechselnd lesen. Bei Buchgeschenken sollten es für schwache Leser keine dicken Bücher sein, auch Comics sind in Ordnung. Sachbücher werden in ihrer Bibliothek ebenfalls gerne ausgeliehen.

Bücher wieder als etwas Besonderes zu inszenieren und beispielsweise Lesungen zu besuchen, helfe auch, dass Interesse der Kinder zu wecken. Herrmannsdörfer weist auf Ausstellungen wie die Münchner Bücherschau und Angebote der Büchereien hin. Mit ihrer Klasse durfte sie neulich zur Vorstellung des fünften Bandes der Isar-Detektive das Maximilianeum in München besuchen. „Das war beeindruckend“, sagt sie.

Weitere Informationen unter: https://www.daskunterbuntesofa.dehttps://www.stiftunglesen.de/

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