Wirtschaft

Konjunktur in Deutschland: Krise, welche Krise? | ABC-Z

Der Softwarekonzern SAP will bis zu 10.000 Stellen abbauen, der Autozulieferer ZF 14.000, der Chiphersteller Infineon 1.400. Miele verlagert einen Teil seiner Waschmaschinenproduktion nach Polen. Daimler Trucks plant Kurzarbeit. Die schlechten Nachrichten aus der deutschen Wirtschaft häufen sich. Die Arbeitslosigkeit wächst, Unternehmen bieten kaum noch Jobs an. Aktuell sind so wenige offene Stellen gemeldet wie zuletzt im Juni 2021, als die Wirtschaft in der Pandemie unter den Ausgangssperren litt. Dass es heute ebenso wenige Jobangebote gibt wie in dieser Ausnahmesituation, ist alarmierend. Es bedeutet: Wer jetzt seine Arbeit verliert, wird es schwer haben, eine neue zu finden.

Und wie reagiert die Regierungskoalition? Sie kabbelt sich schier endlos über ihren Haushaltsplan für das Jahr 2025. Finanzminister Christian Lindner (FDP), die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und der Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch stritten in den vergangenen Tagen mit Inbrunst über eine Finanzierungslücke von fünf Milliarden Euro – eine Summe, die gerade einmal 1,04 Prozent aller Ausgaben im Bundeshaushalt entspricht. Am Dienstag meldete sich der Kanzler aus dem Urlaub zu Wort, um den Streit beizulegen. Ob er damit Erfolg hat, muss sich zeigen. Die Frage, wie man die Lücke stopft, ist sicher wichtig. Vor allem für die Koalition. Aber ist das wirklich die Diskussion, die das Land jetzt braucht?

Viele Firmen glauben nicht mehr an eine Zukunft in Deutschland

Es scheint noch nicht bei allen angekommen zu sein, dass Deutschland sich in einer ernsten Wirtschaftskrise befindet. Diese Krise mag ungewöhnlich sein – das Haus brennt nicht lichterloh, es ist eher ein Schwelbrand, der sich langsam ausbreitet. Den kann man eine Weile ignorieren, aber irgendwann schlagen die Flammen doch hoch. Warnzeichen gibt es reichlich: 37 Prozent der Industriebetriebe erwägen, ihre Produktion einzuschränken oder sie ins Ausland zu verlagern. Das ergab eine Umfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer. Vor zwei Jahren sagten das nur 21 Prozent der Betriebe, vor einem Jahr schon 32 Prozent.

Dass die Firmen zuletzt etwas mehr neue Aufträge registrierten, ändert wenig. Viele Unternehmen glauben nicht mehr an eine Zukunft in Deutschland, sie investieren kaum noch. Und die Verbraucher legen Geld für schlechte Zeiten zurück, statt zu konsumieren. Die Sparquote steigt. Im Frühjahr dachten viele Experten, die Wirtschaft werde sich bald erholen. Davon ist nichts zu sehen. Deutschland steckt in der Krise fest.

Es gibt viele Gründe dafür. So hängt die deutsche Wirtschaft mehr als die anderer Länder vom Welthandel ab. Weil Zölle und Subventionen den Markt verzerren, gerät das deutsche Exportmodell unter Druck. Dass Chinas Wirtschaft schwächelt und jetzt auch die Konjunktur in den USA an Kraft einbüßt, verringert die Exportchancen zusätzlich. Hinzu kommen Probleme made in Germany: Die Bürokratie erstickt die Unternehmen. Das Hin und Her in der Klimapolitik verunsichert Verbraucher und Industrie. Hohe Unternehmenssteuern belasten die Firmen (sie liegen einer Studie zufolge in Deutschland bei 29 Prozent, im EU-Durchschnitt sind es 19). Die Energiepreise bleiben absehbar höher als anderswo. Die Infrastruktur ist teils marode. Alles keine vorübergehenden Schwierigkeiten, sondern massive Hindernisse für die Wirtschaft – und damit für die Grundlage des Wohlstands.

Um sich aus der Misere zu befreien, braucht es eine enorme Reformanstrengung: rigoroser Bürokratieabbau, niedrigere Steuern, weniger Dirigismus, mehr Anreize zur Arbeit und dauerhaft höhere Investitionen in Straßen, Schulen und andere Bereiche der öffentlichen Infrastruktur. Teil der Lösung könnte ein Schuldentopf sein, der nur für Investitionen genutzt werden darf.

Doch all das setzt eines voraus: dass die Regierung die Wirtschaft zu ihrer Priorität macht. Zuletzt sah das nicht so aus. Die kürzlich von der Koalition verkündete “Wachstumsinitiative” reicht bei Weitem nicht aus. Sie besteht aus einem Sammelsurium kleinster Maßnahmen und vager Ankündigungen. So verspricht die Regierung, sie wolle Steuervereinfachungen “prüfen” und “zügig mit den Arbeiten an einem ersten Jahres-Bürokratieentlastungsgesetz beginnen”.

Und selbst um dieses Mini-Programm gibt es Zank. Ein Steuerrabatt für Zuwanderer? Mehr Druck auf Bürgergeldempfänger? Heftig umkämpft. Es bräuchte jetzt eine entschlossen handelnde Regierung. Doch die Ampelkoalition wirkt uneinig wie nie. Wachstum erzeugt sie nur bei der Liste der Themen, über die sie streitet.

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