Konfliktforschung und Gefahrenabwehr als Studienfächer: Interesse stark gestiegen | ABC-Z

Scott Gilmore studiert Hybride Gefahrenabwehr – rund 20 Jahre nach seinem Berufseinstieg im Rettungsdienst. Er habe sich für das Studium entschieden, weil ihn die weltpolitische Lage besorge, sagt er. Gleichzeitig wolle er die zunehmende Akademisierung seines Berufszweiges mitgehen, fokussiere sich dabei aber auf Einsatzstrukturen und Einsatzführung. Seit rund sieben Jahren arbeitet er als Rettungsdienstleiter. Ein Land müsse auf Konflikte und Notlagen vorbereitet sein – heute mehr denn je. „In den letzten 30 Jahren war uns Katastrophenschutz und Zivilschutz einfach nichts wert“, sagt Gilmore. „Wir wollen nicht, dass etwas Schlimmes passiert, aber wenn es schlimm kommt, wären wir als die Menschen, die in diesem Feld arbeiten, gerne handlungsfähig. Und das sind wir nur, wenn wir uns vorbereiten.“
Für Gilmore ist sein Studium an der Hochschule Fresenius in Idstein ein Teil dieser Vorbereitung. Die Studenten lernen hier jedes Semester rund um einen sogenannten POH-Fall – problemorientiertes Handeln. „Das sind alles fiktive Szenarien, die aber natürlich schon auf einer wahren Begebenheit fußen“, so Gilmore. Im Lauf des Semesters würden diese Szenarien stetig erweitert und durch neue Situationen ergänzt.
Gilmore sagt, er und seine Kommilitonen gingen politisch neutral an Szenarien heran, Parteizugehörigkeiten und persönliche Meinungen seien nicht relevant. Es gehe um die nüchterne Betrachtung einer Situation und der möglichen Reaktionen – auch im Fall eines Krieges. „Wir wissen alle für uns, dass wir an der Tatsache, dass so etwas passieren kann, nichts ändern können und setzen uns dementsprechend auch nicht damit auseinander“, sagt Gilmore. Ganz im Sinne einer hierarchischen Arbeitsteilung befassten sich die Studenten mit den Aufgaben, die vor ihnen lägen. Der Rettungsdienstleiter hält es für hilfreich, dass er als Reservist der Bundeswehr hierarchische Strukturen gut kenne. Aber auch seine Kommilitonen fühlten sich in einer klaren Rangordnung wohl.
An einem strikten Stundenplan ist Jannis Kupfer weniger gelegen. Der 25 Jahre alte Darmstädter belegt das Fach Internationale Studien/Friedens- und Konfliktforschung (ISFK) in Darmstadt und Frankfurt. Der Studiengang zeichne sich dadurch aus, dass es eine Vielzahl an Kursen zur Auswahl gebe – zum Entstehen von Konflikten im Allgemeinen, ihrer Beilegung, aber auch zu aktuellen Kriegen und Krisen. Die Studenten könnten so eigene Themenschwerpunkte setzen. „Es gibt beispielsweise Kurse, die sich explizit mit der Machtpolitik Russlands, dem Russland-Ukraine-Krieg oder dem Nahen Osten auseinandersetzen“, sagt Kupfer.
Zahl der Bewerber um 20 Prozent gestiegen
Die Zeitenwende, die der damalige Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) 2022 nach Beginn des Großangriffs auf die Ukraine konstatierte, zeigt sich auch im großen Interesse an Studiengängen wie ISFK. Im vergangenen Wintersemester lag die Bewerberzahl für den Kooperations-Masterstudiengang der Universitäten Frankfurt und Darmstadt mit 355 um rund 20 Prozent über jener des Vorjahres. Stärker gefragt ist inzwischen auch das Masterprogramm Friedens- und Konfliktforschung der Uni Marburg. Zuletzt hätten sich mehr als 300 Bachelor-Absolventen auf rund 30 Studienplätze beworben, teilt die Fachschaft mit. Das Studium der Friedens- und Konfliktforschung könne eine Basis sein, um Konflikte besser zu verstehen, sie früher zu erkennen und womöglich zu lösen, sagt Kupfer.
Sara Nanni, sicherheitspolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag und ISFK-Absolventin, nutzt das Wissen aus ihrem Studium in ihrer täglichen Arbeit im Verteidigungsausschuss. Vor allem habe sie an der Uni eine „Herangehensweise an Krieg und Frieden“, auch unabhängig von einzelnen Konflikten, gelernt. Ein Studiengang wie ISFK müsse es Studierenden aber auch ermöglichen, persönlich durchdringen, was Gewalt für die Gesellschaft bedeute, sagt Nanni.
Seit 2022 wird auch wieder häufiger über den Sinn von Zivilklauseln diskutiert, mit denen sich Unis darauf festlegen, in Forschung und Lehre ausschließlich friedliche Ziele zu verfolgen. Aktuell haben laut der Initiative „Hochschulen für den Frieden“ 73 deutsche Hochschulen eine solche Selbstverpflichtung abgegeben. Gerade Universitäten mit technischem Schwerpunkt haben oft genau ausformulierte Zivilklauseln.
Das ergebe Sinn, sagt ISFK-Student Kupfer. Denn Technik könne einfacher militärisch genutzt werden als geisteswissenschaftliche Forschung. Für Gefahrenabwehr-Student Gilmore ist klar, dass Universitäten die Möglichkeit haben sollten, den Streitkräften ihre Forschungsergebnisse zur Verfügung zu stellen – „weil Entwicklung nur aus Forschung entspringen kann“. Nanni, die die Zivilklausel der Universität Frankfurt mit initiiert hat, legt Wert darauf, dass in der Diskussion über Zivilklauseln differenziert werde. „Jede Universität und vielleicht sogar jeder Fachbereich sollte selbst entscheiden können, ob sie Rüstungsforschung ermöglichen will“, sagt sie. „Aber dann weiß ich auch als forschende Person, woran ich bin.“