Kommt nach der US-Wahl 2024 ein Bürgerkrieg? | ABC-Z
Die meisten Wissenschaftler, die diese Gruppen erforschen, kommen aus städtischen Zusammenhängen und aus der Oberschicht. Ihre Eltern waren Juristen, Ärzte oder Professoren. Ich bin in einer Gegend aufgewachsen, in der der Strom noch fast jeden Tag ausfiel. Und ich denke, dass mir das Aufwachsen in einer ländlichen, konservativen, evangelikalen Umgebung geholfen hat, zu verstehen, warum Menschen glauben, was sie glauben, und dass vieles davon aufrichtige Überzeugungen sind und nicht nur politische Rhetorik. Außerdem sind es ideologische Strömungen, die es schon lange gibt. Es geht nicht nur um die Milizen, und es ist nichts Neues, sondern spiegelt Themen und auch Sorgen, mit denen sich viele Menschen immer wieder beschäftigen.
Was haben Sie herausgefunden über diese Gruppen, und warum spielt Nostalgie eine so große Rolle?
Das Wichtigste ist, zu verstehen, dass nicht alle Milizgruppen und Milizmitglieder gleich sind, sie haben viele unterschiedliche Motivationen. Und größtenteils ist offener Rassismus nicht eine ihrer Hauptmotivationen für das, was sie tun. Viele ihrer Handlungen wiederholen die strukturellen rassistischen Muster, deren sich die meisten von ihnen kaum bewusst sind, und viele von ihnen glauben wirklich, dass Amerika etwas Besonderes ist, das sie beschützen müssen. Dafür trainieren sie bei Schießübungen und Treffen als „Miliz“.
Schätzungen zufolge gehören etwa 50.000 bis 60.000 Menschen in Amerika zu „Milizen“. Wenn Sie mit Menschen sprechen, die sich diesen Gruppen anschließen, gibt es ein gemeinsames Profil?
Es sind überwiegend weiße Männer, normalerweise aus der unteren Mittelschicht oder der Arbeiterklasse, die meisten zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, obwohl es in diesen Gruppen auch eine beträchtliche Altersvariation gibt.
Sie beschreiben in Ihren Forschungen, für die Sie Hunderte Stunden mit unterschiedlichen „Milizen“ verbracht und Tiefeninterviews mit Mitgliedern geführt haben, eine Sehnsucht „nach einer einfacheren Zeit“. Das ist auch eine von Weißen dominierte Zeit.
Viele der Menschen, mit denen ich spreche, verstehen das nicht unbedingt oder geben zumindest vor, es nicht zu bedenken, es sei denn, man bringt es explizit ins Gespräch hinein. Sie konzentrieren sich auf die Vorstellung von einer schlanken, im Alltag unsichtbaren Regierung, niedrigeren Steuern, der Vorstellung, dass eine Familie mit einem Gehalt ein Zuhause unterhalten und den amerikanischen Traum vollständig umsetzen kann. Wenn man sie konfrontiert und sagt: „Ihnen ist klar, dass die Fünfzigerjahre tatsächlich nicht so wunderbar waren, weder für Frauen noch für jemanden, der nicht weiß war“, dann kratzen sie sich am Kopf und sagen: „Oh ja, außer diesem Teil.“ Und so stellen sie sich eine gerechtere Gesellschaft vor, die dennoch an Teilen der Vergangenheit festhält, ohne unbedingt zu verstehen, welche Veränderungen notwendig waren, um uns von dieser historischen, imaginären Vision dahin zu bringen, wo wir heute sind.
Also nicht jeder, der Schießübungen macht, und nicht jede Gruppe, die sich als „Miliz“ bezeichnet, will auch bewaffnet kämpfen oder die Regierung stürzen?
Genau. Es gibt regional sehr unterschiedliche Gruppen. Manche sind sehr auf ihr unmittelbares Umfeld fokussiert.
Für mich sind die Proud Boys nicht wirklich eine Miliz, weil sie nicht in der gleichen Weise Priorität auf Schusswaffen legen wie andere Milizgruppen. Sie sind eher wie eine Straßengang, die in einigen Fällen mit Milizen in Berührung kommt. Diese drei gewaltbereiten, rechten Gruppen sind diejenigen, die nach dem 6. Januar am meisten in der öffentlichen Vorstellung präsent sind. Aber sie sind eigentlich nicht repräsentativ für die überwiegende Mehrheit der Milizgruppen. Die meisten sind klein, sind mit ihrer unmittelbaren Gemeinschaft verbunden, kennen Milizgruppen in ihren umliegenden Gemeinschaften, machen aber wirklich keinerlei Anstrengungen, eine nationale, von oben nach unten organisierte Struktur zu haben. Sie haben keine Websites, sie rekrutieren nicht unbedingt auf traditionelle Weise, und sie konzentrieren sich wirklich auf das, was sie als unmittelbare Bedürfnisse ihrer Gemeinschaft wahrnehmen.
Sie haben vor dem Kongress zur Gewaltbereitschaft dieser Gruppen ausgesagt. Einige sagen, es sei übertrieben, sich um Gewaltausbrüche nach der Wahl zu sorgen. Andere warnen, es könnte Gewalt geben, wenn Trump verliert – manch einer hat das Wort Bürgerkrieg benutzt.
Nun, es hängt davon ab, wie wir „übertrieben“ definieren. Denn die überwiegende Mehrheit der Milizmitglieder hat eher eine defensive Einstellung. Sie wollen nicht gegen die Regierung zu den Waffen greifen. Sie glauben, dass sie bewaffnet sein müssen, falls die Regierung tyrannisch wird. Was uns jedoch Sorgen macht, sind die Außenseiter dieser Bewegung, die Menschen, die rechtsnationalistisch denken und aggressiv sind. Sie glauben, dass es wirklich ihre Aufgabe ist, unsere Gesellschaft zu korrigieren. Diese Extremisten könnten die befürchtete „Tyrannei“ eben herbeireden, wenn ihnen ein Wahlergebnis nicht passt. Ich selbst mache mir weniger Sorgen über einen weiteren großen Aufstand wie am 6. Januar, sondern eher über verstreute Gewalt auf einer kleineren Skala. Einzelpersonen oder kleine Gruppen könnten Menschen in der Nähe der Wahllokale einschüchtern oder möglicherweise Wahlhelfer oder Gebäude angreifen, die mit der Wahl verbunden sind. Es ist nicht unmöglich, dass einige dieser extremeren Individuen Gewalt ausüben werden, möglicherweise sogar vor der Wahl, wenn sie glauben, dass die Wahl nicht ordnungsgemäß durchgeführt wird.
Es könnte sein, dass Menschen, die bei den Wahlen arbeiten, oder demokratische Politiker oder sogar republikanische Politiker, von denen die gewaltbereiten Gruppen denken, dass sie ihre Mission irgendwie verraten haben, angegriffen werden. Ich denke nicht, dass es weit verbreitet sein wird, aber wir können es punktuell nicht ausschließen.
Wie schätzen Sie Bedrohung durch die extremeren Gruppen wie die Proud Boys oder die Three Percenters ein?
Was die Gruppen betrifft, die seit dem 6. Januar im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen, die Three Percenters und die Oath Keepers, so sind sie im Moment de facto tot. Etliche der Menschen, zu denen ich Kontakt hatte, haben sich zum Beispiel von den Gruppen distanziert. Es gibt einige kleine Gruppen, die den Namen der Oath Keepers beibehalten haben, aber sie sind nicht wirklich funktional. Auch die Proud Boys haben einige Rückschläge erlitten, und einige ihrer Führungspersonen wurden ja auch für den 6. Januar strafrechtlich belangt. Aber wir sehen Anzeichen dafür, dass sie auf lokaler Ebene versuchen, wieder aufzutreten und an Dynamik zu gewinnen. Sie sind zum Beispiel in Springfield in Ohio marschiert, als Donald Trump und J. D. Vance dort über haitianische Bürger hergezogen haben. Ich denke nicht, dass es die Massen sind, die gewalttätig würden, falls Trump verliert, aber wir könnten Gewalt an den extremen Rändern sehen, zu denen die Proud Boys sicher gehören.
Zurück zu diesen „Wahlbeobachtern“. Die Republikaner behaupten, dass es möglicherweise bis zu 100.000 von ihrer Seite aus geben könnte. Manche könnten auch Menschen einschüchtern, aus den extremeren Ecken dieses „Miliz“-Umfeldes kommen, wie Sie erwähnt haben. Wie groß ist diese Bedrohung?
Das ist eins dieser Dinge, die wirklich unmöglich zu quantifizieren sind. Diese Schätzungen stammen von sehr kleinen Fallstudien und werden dann auf nationaler Ebene extrapoliert, was nicht unbedingt das ist, was wir tatsächlich sehen. Es ist eine dieser Sachen, bei der ich wünschte, ich hätte eine Kristallkugel, weil diese Dinge sehr, sehr volatil sind und sehr auf die Nachrichtenzyklen reagieren.
Es gibt sicherlich Bestrebungen, Menschen zu formellen und informellen Wahlbeobachtern zu machen. Aber wir sehen auch auf der demokratischen Seite Bemühungen, zum Beispiel Veteranen auszubilden, um echte Wahlbeobachter zu sein und das auf eine legitime und friedliche Weise zu tun. Aber von dem, was ich beobachte, denke ich nicht, dass wir gewaltsame Störungen in dem Ausmaß sehen werden, vor dem einige Leute im Moment Angst haben. Natürlich können plötzliche Ereignisse die Stimmung ändern. Wenn es in den nächsten Wochen zu einem weiteren Attentatsversuch oder zu etwas Dramatischem kommt, könnte sich das ändern, aber das ist im Moment nicht das, was ich erwarte.
Wenn wir uns dagegen vorstellen, dass Trump nicht verliert, falls er also gewinnt, welche Rolle würden die „Milizen“ Ihrer Meinung nach spielen?
In gewisser Weise denke ich, dass es schlimmer wäre, wenn er gewinnt, weil wir wissen, dass er eine Geschichte hat, in der er die Proud Boys offen anspricht. Ich glaube schon seit Langem, dass er im Grunde versucht hat, eine private Miliz zu schaffen, die ihm gehorcht, weit über die Proud Boys hinaus. Ich habe Angst, dass er sie anspricht und legitimiert in Bezug auf Immigration und andere Themen. Allgemein gesprochen möchte ich glauben, dass wir einige Lektionen aus der jüngsten Geschichte gelernt haben, aber es braucht nur ein paar Leute in Machtpositionen, die andere nicht zur Rechenschaft ziehen, und schon haben wir ernsthafte Bedrohungen für die Demokratie.