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FC Barcelona: Hansi Flicks Mannschaft liebt die Aufholjagden – Sport | ABC-Z

Hansi Flick, und das war womöglich die Nachricht des Abends, leidet schon auch. Es ist eine Nachricht, weil man sich da im Moment leicht vertun könnte. Am Sonntagabend aber, da gab er das in Barcelona exakt so zu Protokoll: „Für mich ist das nicht immer Fun“, sagte er. „Manchmal leide ich. Eine Menge“. Doch Flick lächelte, weil es ein Leid ist, das so oft in Glück gemündet ist. Fast immer sogar. Und in jedem Fall jetzt, da Real Madrid zum vierten Mal in der laufenden Saison besiegt war und es einer gewissen Anstrengung bedurfte, das totale Triumphgeheul zu vermeiden.

Mit 4:3 wurde Real Madrid geschlagen; und durch den vierten Sieg im vierten Clásico der langsam dahinscheidenden Saison ist Flicks Team der 28. Titel in der spanischen Liga jetzt nur noch theoretisch zu nehmen. „Nein“, sagte Flick, er fühle sich noch nicht als Meister. Und er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit und einer derart festen Stimme, dass man – anders als bei seinen anderen Einlassungen des Abends – nicht einmal ansatzweise heraushören konnte, wie vergrippt er eigentlich war. Eine Klimaanlage hatte ihn nach dem Aus in der Champions League kalt und böse erwischt. Doch was macht so eine Erkältung schon, wenn sein FC Barcelona seinen Rang als aufregendstes Team Europas gegen den Erzrivalen verteidigt. Und dabei unterstreicht, dass es einen Kulturwandel anführt.

Denn Flicks Barcelonas hat den Anhängern des Klubs, den Culés, die Angst vor dem Rückstand genommen. „Wie der teuflische Kurtz in ‚Herz der Finsternis‘ von (Joseph) Conrad navigiert Flicks Barça besser gegen den Strom eines blutigen Flusses“, schrieb El Periódico de Catalunya am Montag.

Wie oft ist der FC Barcelona früher in seine Einzelteile zerfallen? Ein 0:2, es mündete im Zweifel in ein 0:3 oder ein 0:4, und schließlich in einen Defätismus, der diesen Klub auch immer begleitet hat. Passé. Niemand mehr schaltet in Barcelona vor Wut den Fernseher aus, wenn Flicks Barça spielt; man könnte etwas verpassen. Im Zweifel ein Spiel, das sich weit schwerer rekonstruieren ließe als die Partitur von Miles Davis’ „Bitches Brew“ mit all den Improvisationen, vermeintlichen Misstönen und Synkopen.

„¡Madrid, cabrón, saluda al campeón!“, hallte es danach von den Rängen des Estadi Olímpic

Am Sonntag wurde aus dem 0:2, das Kylian Mbappé binnen weniger als 15 Minuten herausgeschossen hatte, noch ein 4:3-Erfolg. „¡Madrid, cabrón, saluda al campeón!“, hallte es danach von den Rängen des Estadi Olímpic Lluís Companys auf dem Stadtberg Montjuïc, „Madrid, du Drecksack, grüß den Meister!“ Das Gefeixe auf den Rängen, es wäre in der eigentlichen Heimstatt des Klubs nicht anders, aber größer, lauter, intensiver gewesen. Es ist fast doppelt so groß. Aber das Camp Nou ist im Umbau begriffen. Wenn es so wird, wie Flicks Team schon ist, wird es großartig werden.

Wobei: Es ließe sich gar nicht mal so wenig mäkeln. Aufholjagden ergeben sich nicht einfach so, sondern weil man sich dazu gezwungen sieht. Wer nicht in Rückstand gerät, weil er mitunter fahrlässig verteidigt wie Barcelona es tut, der hat nichts aufzuholen, so einfach ist das doch. Und wäre diese Mannschaft nicht so jung, dass sich der erst 27-jährige Dani Olmo wie ein Methusalem fühlt, „wie auf einem Spielplatz“ –, so würde sie womöglich nicht so besinnungslos angreifen, als trüge sie ein „Carpe Diem!“ auf den Lippen.

Manchmal geht das schief. Denn wer mit Feuer spielt, der verbrennt sich schon mal, bestens zu sehen am Dienstag vergangener Woche, in Mailand, in der Champions League, wo Barcelona ein 0:2 drehte und dann doch mit 4:3 verlor. Nur: Die ganze Chose wäre dann nicht einmal halb so mitreißend anzusehen. „Fußball ist nun mal ein Fehlersport“, sagte Flick und lächelte. Womöglich, weil er insgeheim spürt oder ahnt oder gar weiß, dass Barcelona, die Stadt also, gelernt hat, Fehler zu verzeihen.

„Nächstes Jahr werden wir versuchen, einige Dinge besser zu machen“, sagte Flick.

Was ja, andererseits, nicht heißt, dass ihm nicht daran gelegen wäre, die Fehler zu minimieren. In den vergangenen Monaten hätten sie nicht einmal ansatzweise inhaltlich trainieren können, weil alle drei Tage ein Spiel war und es allenfalls darum gehen konnte, sich in Regeneration zu üben. „Nächstes Jahr werden wir versuchen, einige Dinge besser zu machen“, sagte Flick.

Denn er wusste, dass es auch gegen Real Madrid hätte schiefgehen können. Nicht nur wegen des frühen Rückstands, sondern weil Real, wieder durch Mbappé (70.), noch einmal herankam, nachdem Eric García (19.), Lamine Yamal (32.) und der Doppelpacker Raphinha (34./45.) zur Pause einen Zwischenstand von 4:2 herausgeschossen hatten. Mbappé weist nach seinem Hattrick 39 Tore auf, es ist die torreichste Debütsaison eines Madrider Spielers seit Iván „Bam Bam“ Zamorano; der Chilene kam 1992/93 auf 37 Treffer, mehr als Cristiano Ronaldo, van Nistelrooy, Ronaldo, Suker, Hugo Sánchez, Di Stefano oder Puskas. Am Sonntag schaffte Mbappé ein anderes Kunststück: der erste Hattrick-Schütze Madrids seit 1943 zu sein, der ein Spiel verliert.

Das gehörte auch zum Faszinosum: Mbappé hätte sein Konto sogar noch ausbauen können, auch er hatte eine der Großchancen, die das Spiel bereicherten. So wie der aberkannte Elfmeter und annullierte Treffer, darunter das vermeintlich 5:3 in den Schlusssekunden. Denn das hat dieses Barça auch: grandiose Solisten wie Pedri und den wiedererstarkten Frenkie de Jong, Ferran Torres mit seinen drei Assists, und vor allen Lamine Yamal, der nicht nur wegen seines wundervollen Schlenzers zum Ausgleich herausragte. „Das ist kein Kid“, schmunzelte Flick, als er auf den 17-Jährigen angesprochen wurde.

Yamal selbst redet so, aber zugleich erstaunlich erwachsen: „Ich wusste schon heute Morgen, dass ich treffen würde“, sagte er, und ließ erkennen, dass er die Enttäuschung über das Champions-League-Aus verwunden hatte. „Meiner Mutter habe ich gesagt, dass es jedes Jahr eine Champions League gibt, und dass wir weiter um sie kämpfen werden.“ Vorerst ist der Pokal- und Supercupsieger Barcelona so gut wie Meister, sollte Real Madrid am Mittwoch gegen Real Mallorca patzen, täte es nicht einmal mehr Not, am Donnerstag beim Nachbarn Espanyol Barcelona zu gewinnen. Aber mit Blick auf die kommende Saison tut Europa offensichtlich gut daran, sich anzuschnallen.

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