Kommentar zu rechtsextremen Umtrieben: Freiheit heißt nicht Freibrief – Bad Tölz-Wolfratshausen | ABC-Z

Die jüngsten Vorfälle im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen und der Region sind mehr als nur ein Weckruf – sie sind eine schallende Ohrfeige für unsere Gesellschaft. Nazi-Schmierereien, zerstörte Wahlplakate, ausländer- und islamfeindliche Flugblätter: Die Rechtsextremen werden dreister, lauter und sichtbarer. Sie wähnen sich im Aufwind und scheuen sich nicht mehr, ihr menschenverachtendes Gedankengut öffentlich zur Schau zu stellen. Und das in einem Land, auf das die ganze Welt aufgrund seiner Historie ganz besonders achtet.
Doch was hat diese Entfesselung ermöglicht? Die Antwort ist ebenso simpel wie erschreckend: Es geht uns zu gut. Wie der sprichwörtliche Esel, dem’s zu wohl wird und aufs Eis geht, sehen wir nicht dankbar, was wir alles haben, sondern möchten austesten, was sonst so geht. Wir knatschen und kritteln herum, weil wir nicht mehr alle Energien dafür brauchen, gegen Not und Mangel zu kämpfen. Dinge, die für unsere Eltern Wunschträume waren, auf die man lange hinarbeiten oder sparen musste, sind heute selbstverständlich. Auto? Check. Essen, nach dem uns der Sinn steht? Check. Urlaub? Check. Und in all dem Speck werden wir nicht nur immer anspruchsvoller und kritischer, sondern unzufriedener.
Dazu kommen die diffusen Ängste in einer Welt, die man kaum mehr begreift. Und die Flucht in soziale Medien, die einem vorgaukeln: Irgendwie geht’s allen besser. Nährboden für simple Parolen zu komplexen Themen, für Kraftmeierei und Fingerzeig auf andere als die Schuldigen.
In dieser Gemengelage haben wir die Grundpfeiler unseres Zusammenlebens vernachlässigt – Moral und Anstand als Kompass in der Freiheit. Denn Freiheit heißt nicht Freibrief für alles, schon gar nicht für Hetze und Menschenverachtung. Auch in der Freiheit gibt es Grenzen – nicht nur juristische, sondern vor allem gesellschaftliche, moralische. Doch die Meinungsfreiheit, dieses unfassbar hohe Gut unserer Demokratie, wird zunehmend missverstanden und missbraucht. Gewöhnungsfaktor inklusive.
Diese Grenzen des Anstands müssen wir wieder schärfen und einfordern. Unsere Gesellschaft hat es sich zu lange zu bequem gemacht. Wir haben zugelassen, dass der Diskurs verroht und die Grenzen des Sagbaren verschoben wurden. Dabei zeugt dieses Gebaren nur von Schwäche. So wie jene, die sich nun aus der Deckung des braunen Sumpfs trauen, weil sie vermeintlich weniger Gegenwind zu spüren glauben. Schwächer geht’s nicht. Wahre Stärke zeigen all jene, die ihnen die Stirn bieten. Es braucht vielleicht ein Dorf, um ein Kind zu erziehen, aber eine ganze Gesellschaft, um hetzerische und menschenfeindliche Auswüchse von Extremisten und Mitläufern einzufangen.
Es ist höchste Zeit, dass wir uns wieder auf Werte besinnen, dass wir agieren als Gesellschaft, die Grenzen zieht. Die klar sagt, bis hierhin und nicht weiter, wenn sich einer auf dünnem Eis bewegt. Die dem Nebenan beibringt, sich zu schämen, wenn dieser den Pfad der Tugend verlässt. Die tolerant ist, aber nicht gegenüber Intoleranz. Kundgebungen, Fahnen und Hashtags sind ein Anfang. Doch es braucht mehr. Es braucht jeden Einzelnen von uns, um gemeinsam dem braunen Schmodder klarzumachen: Schämt Euch. Hier ist kein Platz für Eure Ideologie. Nicht heute, nicht morgen, nie wieder.