Kommentar zu Geisel-Freilassung: Eine gute Nachricht, die viel zu spät kommt | ABC-Z
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Dass wieder israelische Geiseln dem Hamas-Terror entkommen, wäre schon viel früher möglich gewesen, meint Jan-Christoph Kitzler. Der Deal dafür lag seit Monaten auf dem Tisch. Und eine Perspektive für Gaza gibt es noch immer nicht.
Natürlich sind das gute Nachrichten: Nach langen Monaten sind endlich wieder Geiseln freigekommen, drei junge Frauen, die die Terroristen der Hamas am 7. Oktober 2023 verschleppt hatten – und deren Zustand man sich gar nicht vorstellen mag. Sie waren über 15 Monate in der Hölle: In täglicher Angst, durch ihre Bewacher zu sterben – oder bei einem israelischen Luftangriff.
Insgesamt 33 Geiseln sollen in den nächsten sechs Wochen freikommen. Im Austausch für rund 1.900 palästinensische Gefangene, die in israelischen Gefängnissen sitzen. Israelische Truppen ziehen sich nun aus Teilen des Gazastreifens zurück, mehr Hilfsgüter sollen hineinkommen.
Der Deal wäre viel früher möglich gewesen
Doch so sehr das alles gut ist – weil es Leiden verringert -, so sehr muss man diesen Deal kritisieren. Denn er kommt viel zu spät. Schon im letzten Mai lag die Übereinkunft mehr oder weniger so auf dem Tisch, das hat der scheidende US-Präsident Joe Biden gesagt. Das heißt: Rund acht Monate Leiden hätte es nicht gebraucht. Leiden der Geiseln und Leiden der Bevölkerung in Gaza. Acht Monate der Zerstörung, mit Tausenden Toten.
Noch bitterer wird es, wenn man sich fragt, was in diesen acht Monaten militärisch erreicht wurde. Die Hamas ist immer noch da. Sie konnte neue Kämpfer rekrutieren und kontrolliert einen Teil der Hilfslieferungen, die nach Gaza kommen. Fortschritte haben diese langen Monate nicht gebracht.
Noch immer keine Perspektive für Gaza
Und damit ist noch gar nicht die Frage beantwortet, wie es eigentlich im Gazastreifen weitergehen soll? Yoav Galant, der von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entlassene ehemalige israelische Verteidigungsminister, hatte schon ziemlich genau vor einem Jahr gesagt: Gaza braucht eine politische Perspektive, um die militärischen Erfolge zu sichern.
Doch die gibt es bis heute nicht – Benjamin Netanjahu sagt bisher vor allem, was er in Gaza nicht will. Wahrscheinlich kann er nicht mehr sagen. Ein Krieg in Gaza ohne Ende ermöglicht es ihm schließlich auch, die Frage nach eigenem Versagen weiterhin nicht zu beantworten.
Netanjahu steht unter massivem Druck
Theoretisch gibt es nun mit dem Geisel-Deal immerhin Hoffnung: Schon bald sollen Verhandlungen darüber beginnen, wie aus der Waffenruhe ein dauerhafter Waffenstillstand werden kann. Wer den Gazastreifen künftig regieren wird und wer das flächendeckend zerstörte Gebiet wieder aufbaut. Kurz gesagt: Es geht um Sicherheit für Israel und um Lebensperspektiven für 2,1 Millionen Menschen in den Trümmern von Gaza.
Die Chancen, dass es hier Fortschritte gibt, sind aber leider gering – und das liegt auch an den Brandstiftern in der israelischen Regierung. Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner haben ihre ganz eigenen Pläne: Sie sprechen sich offen für eine jüdische Wiederbesiedlung Gazas aus und für eine Vertreibung von Palästinensern.
Und sie haben Macht: So, wie sie schon im letzten Mai mit dafür gesorgt haben, dass es keinen Deal gibt, so könnten sie jetzt dafür sorgen, dass der Krieg in Gaza nur eine kurze Pause macht. Die Drohung an Netanjahu ist ganz offen: Endet der Krieg in Gaza, zerbricht die Koalition.
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