Koalitionsvertrag: “Weniger Pathos, weniger Selfiemodus” | ABC-Z

Union und SPD haben den Entwurf ihres Koalitionsvertrags vorgestellt. Nur wenig Lob und viel Skepsis angesichts der Absichten von Schwarz-Rot klingt in den Reaktionen deutscher Zeitungen an. Was einige Leitartikler als Fähigkeit der Mitte zum Kompromiss rühmen, halten andere Kommentatoren für wenig ambitionierte Pläne einer durch das Wahlergebnis erzwungenen und gar nicht mehr so großen Koalition.
Die Volksstimme aus Magdeburg konstatiert “Startbedingungen zum Verzweifeln” für die künftige Regierung und verweist auf Umfragen, denen zufolge 60 Prozent der Deutschen dem CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz die Kanzlerschaft nicht zutrauen. Immerhin aber sei der Koalitionsvertrag “schwarz mit roten Punkten”. Die Handschrift der Unionsparteien zeige sich überdeutlich: “So wurde erfolgreich eine höhere Belastung für Spitzenverdiener abgeblockt. Es soll eine härtere Migrationspolitik geben mit Zurückweisungen an den Grenzen und einer verlängerten Frist für Einbürgerungen von drei auf fünf Jahre. Das Bürgergeld wird zur Grundsicherung mit verschärften Regeln.” Als Erfolg für die SPD nennt die Volksstimme die gesetzliche Festschreibung des Rentenniveaus bei 48 Prozent.
Die Südwest Presse aus Ulm sieht weiterhin ein Umsetzungsproblem in Deutschland: “Strittige, aber enorm wichtige Reformfelder packt das Bündnis erst mal nicht an, sondern setzt auf Kommissionen, die Reformvorschläge machen sollen.” Die Grundlagen für einen wirklichen Erfolg lege der Koalitionsvertrag nur in Ansätzen: “Trotzdem wäre es zu früh, die Regierung bereits als gescheitert zu betrachten. Ihre Reputation ist schon jetzt so schlecht, sie kann eigentlich nur gewinnen.”
Die Neue Osnabrücker Zeitung vermisst “eine gemeinsame Idee, eine einigende Vorstellung von der groben Richtung”. Sie kritisiert die Überschrift des Koalitionsvertrags “Verantwortung für Deutschland” als ein “Nicht-Motto” und fragt: “Ob das reicht für einen Politikwechsel, der das Land wieder erfolgreicher macht und das Vertrauen der Menschen zurückgewinnt?”
“Man sollte den Vertrag nicht sofort klein reden”, beschwichtigt die Augsburger Allgemeine. Das Papier von Union und SPD sei ein Dokument des Pragmatismus, ein Konsens des derzeit Machbaren: “Die Mitte findet die Kraft zum Kompromiss – das ist die eigentliche Botschaft dieses Vertrages. Und dieses Signal sollte, ja es muss jetzt helfen, den Höhenflug antidemokratischer Kräfte wie die AfD zu stoppen.”
Die Rheinpfalz aus Ludwigshafen findet positiv, dass es gelungen sei, “eine Koalition zu schmieden, die weniger Pathos, weniger Selfiemodus mitbringt als Rot, Grün und Gelb. Dafür eine gesunde Mischung aus Realismus und Verständnis für große Herausforderungen.” Merz und Klingbeil stünden für seriöse Realpolitik, die Großvorhaben der Zukunft mit den Bedürfnissen der Gegenwart abgleichen wird. Beide seien bisher nicht mit dem Entwurf von Traumschlössern aufgefallen: “Die Zeiten sind auch zu ernst für Schöndenkereien.”
Die Stuttgarter Nachrichten monieren, dass der Ehrgeiz von Schwarz und Rot sich in erstaunlich engen Grenzen halte. Merz habe vor globalem Publikum “Führung” in Europa versprochen, aber: “Einen Weg, auf dem die Bundeswehr innerhalb weniger Jahre die für die Landesverteidigung notwendige Personalreserve aufbauen kann, weist dieser Koalitionsvertrag allenfalls ungefähr.” Der wahrscheinlich künftige Bundeskanzler bleibe vage, wie deutsche Führung für Europas Sicherheit aussehen soll.
Das Handelsblatt lobt, dass die Verhandler von Union und SPD den Ernst der Lage verstanden hätten: “Das Paket für die Wirtschaft stimmt”, wie zum Beispiel sinkende Energiepreise und Bürokratieabbau. Ein “wirklicher Big Bang” sei die Abschaffung des deutschen Lieferkettengesetzes. Auch dass die Arbeitszeiterfassung entschärft werde, gefällt der Wirtschaftszeitung aus Düsseldorf.
Anderer Ansicht ist nd. Der Tag aus Berlin: “Tatsächlich bieten sie (Union und SPD) nur die alte falsche Formel an: Was der Wirtschaft hilft, hilft Deutschland und damit auch den Menschen. Als hätten die nicht oft genug die Erfahrung gemacht, dass Unternehmensgewinne sprudeln, während ihre Einkommen stagnieren.” In der Ankündigung, man werde sich nicht mehr alles leisten können, klingen nach Meinung von nd. Der Tag bereits die kommenden Verteilungskonflikte an. Auch die angekündigte Migrationspolitik stößt dort auf Ablehnung: “Mit dem Versprechen, die sogenannte irreguläre Migration weitgehend zu beenden, bestätigt die Große Koalition auch noch die schlimmste Propagandalüge der AfD, an den Problemen seien vor allem die Flüchtlinge schuld.”
Die Hessische/Niedersächsische Allgemeine aus Kassel verlangt ein Ende des Schönredens und fordert Taten: “Die Menschen haben genug von Ankündigungen und Erklärungen, warum alles so kompliziert ist. Sie lechzen danach, dass sich etwas ändert.” Der Wahlkampf habe über alle Parteigrenzen klargemacht, dass sich die Bürger nach persönlicher Freiheit, Vereinfachungen und Verlässlichkeit bei vielen Themen wie Klima, Rente und Migration sehnen: “Daher sind die 146 Seiten nur ein Anfang.”