Koalitionsvertrag : Jetzt wird lichtvoll, wer die Verlierer sind | ABC-Z

Vieles im Koalitionsvertrag ist vage formuliert – und alles steht
unter Finanzierungsvorbehalt, wie SPD und Union betonen. Schon bei der Vorstellung des 144 Seiten
langen Dokuments stellte sich deshalb die Frage: Was wird die neue Regierung wirklich umsetzen? Knapp eine Woche später ist klarer, wo die
Prioritäten der künftigen Koalition liegen und wer die Verlierer sind: Der
Fokus ist auf die Entlastung der Unternehmen gerichtet, viele Beschäftigte drohen dagegen – anders als versprochen – weitgehend leer auszugehen.
Zwar heißt es im Koalitionsvertrag, man werde die
Einkommenssteuer für kleinere und mittlere Einkommen zur Mitte der Wahlperiode senken.
Dass es tatsächlich zu spürbaren Entlastungen für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
kommt, ist aber zweifelhaft. Allein schon wegen der angespannten
Haushaltslage – und erst recht nach den jüngsten Aussagen von Friedrich Merz. Glaubt
man dem designierten Kanzler, ist keineswegs klar, dass die im Vertrag angekündigte Steuersenkung kommt. Fix sei sie nicht, sagte Merz der Bild am Sonntag.
Für Menschen mit besonders geringen Einkommen droht ein weiterer Rückschlag: Auch eine baldige Erhöhung des Mindestlohns auf 15 Euro ist keineswegs
sicher. Rund sechs Millionen Menschen in Deutschland würden Schätzungen zufolge
davon profitieren. Zwar beharrt die SPD darauf, dass die Erhöhung wie versprochen kommt. Im Koalitionsvertrag
heißt es jedoch, dass die Mindestlohnkommission weiter zuständig ist. Und sie
betonte am Montag ihre Unabhängigkeit. Dass der Mindestlohn zeitnah auf 15 Euro steigt, ist also nicht ausgemacht.
Es ist nachvollziehbar, dass in der aktuellen Situation Entlastungen
für die Wirtschaft Vorrang haben. Die Pläne für die Senkung der
Körperschaftsteuer sind im Koalitionsvertrag deutlich konkreter formuliert. Die Union und SPD wollen sofort bessere Abschreibungsregeln für
Unternehmenbeschließen, um Investitionsanreize zu erhöhen. Aus gutem
Grund: Seit Jahren steckt die deutsche Wirtschaft in der Rezession fest. Eine Trendwende würde nicht nur dabei helfen, Arbeitsplätze
zu sichern. Wächst die Wirtschaft, steigen die Steuereinnahmen.
Entlastungen an anderer Stelle ließen sich dann einfacher finanzieren.
Es ginge auch anders
Allerdings wäre eine Einkommenssteuerreform auch schon
früher möglich – wenn Union und SPD auf einige kostspielige Geschenke
verzichten würden. Die Ausweitung der Mütterrente kostet fast fünf Milliarden jährlich,
hat der Ökonom Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) berechnet.
Die niedrigere Mehrwertsteuer für die Gastronomie bedeutet demnach mehr als vier
Milliarden Euro Mindereinnahmen. Dazu kommen unter anderem eine bisher nicht konkretisierte
Kaufförderung für Elektroautos, Dieselsubventionen für
Landwirte, die Erhöhung der Pendlerpauschale. Würden Union und SPD auf all das
verzichten, ließen sich zusammengenommen wohl zwischen zehn und 15 Milliarden Euro einsparen.
Eine Einkommensteuersenkung für Teile der Bevölkerung wäre
finanzierbar. Nur hat sie schlicht keine Priorität.
Es leuchtet ein, dass angesichts der aktuellen Schwäche der
deutschen Wirtschaft und der geplanten Sonderschulden für Verteidigung und
Infrastruktur nicht alle sofort entlastet werden können. Keine Frage, auch
Einschnitte sind notwendig. Warum jedoch Steuergeschenke für Landwirte und
Restaurantbetreiber drin sind, Entlastungen für Geringverdiener und die
Mittelschicht auf absehbare Zeit aber nicht, ist nicht nachvollziehbar. Sollte es dabei bleiben, wäre das ein fatales Signal an jene Menschen, die Vertrauen in die Politik verloren haben.
Besonders Geringverdiener haben unter der Inflation in den vergangenen Jahren gelitten, da sie einen größeren Anteil ihres Gehalts für Lebensmittel, Energiekosten und Miete aufwenden müssen als Menschen mit einem höheren Einkommen. Auch die Wirtschaft würde davon profitieren, wenn die Beschäftigten am Ende des Monats mehr Geld übrig hätten und mehr kaufen könnten. Gerade jetzt, wo das deutsche Exportmodell durch die Zollpolitik
von Donald Trump so stark unter Druck gerät wie lang nicht, wäre es sinnvoll, die Nachfrage im Inland auf diese Weise zu stärken.