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Koalition aus Union und SPD: Vorwärts in die Vergangenheit | ABC-Z

S eit der Bundestagswahl und erst recht mit dem Koalitionsvertrag haben sich die Anzeichen verdichtet, dass der außen-, energie- und militärpolitischen Zeitenwende, die Ex-Kanzler Olaf Scholz zu Beginn des Ukraine­kriegs ausgerufen hat, unter der künftigen CDU/CSU-SPD-Koalition eine wirtschafts-, finanz- und sozialpolitische Zeitenwende folgen wird. Geht es nach den Wortführern im Land, besteht die Hauptaufgabe der neuen Bundesregierung in einem Dreiklang: eine Führungsrolle in Europa spielen, den USA unter Präsident Donald Trump besser Paroli bieten, Russland unter Präsident Wladimir Putin von einem militärischen Angriff abhalten.

Dafür soll die Volkswirtschaft durch Deregulierung im Sinne der Unternehmen revitalisiert, der Rüstungshaushalt drastisch erhöht und Migration nach Deutschland gestoppt werden. Und es wurde – unter ausdrücklicher Berufung auf die Provokationen Trumps sowie mit Blick auf dessen Bemühungen um eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine – eine Aufweichung der Schuldenbremse sowie ein kreditfinanziertes Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Infrastrukturinvestitionen beschlossen. 100 Milliarden Euro sollen in den Klima- und Transformationsfonds fließen; Verteidigungsausgaben, die 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, sind gänzlich von der Kreditsperre im Grundgesetz ausgenommen.

Eine solche Privilegierung der Rüstung gegenüber anderen Staatsausgaben gibt es sonst nur in faschistischen und Militärdiktaturen. Sie stellt eine verfassungspolitische Militarisierung der Gesellschaft dar und wird auf Pump finanziert, was Antimilitarist(inn)en von „Kriegskrediten“ sprechen lässt.

Es handelt sich im Grunde um eine Fortsetzung des Kurses der Ampelkoalition mit ähnlichen Mitteln, jetzt allerdings mit mehr finanziellen Möglichkeiten. Überwiegend bedient werden materielle Interessen der Unionsklientel: die „Vollendung der Mütterrente“, eine erhöhte Pendlerpauschale, die Zurücknahme der gekürzten umweltschädlichen Agrardieselrückvergütung, die Reduzierung der Umsatzsteuer der Gastronomie auf Speisen dauerhaft von 19 auf 7 Prozent. Letzteres kommt hauptsächlich Restaurantbesitzern, vor allem der Systemgastronomie (Fast-Food-­Ketten) und Besserverdienenden zugute.

Und jetzt sind sich Union und SPD noch nicht einmal einig darüber, ob der im Koalitionsvertrag vereinbarte Anstieg des Mindestlohns auf 15 Euro und die Senkung der Einkommensteuer für kleine und mittlere Einkommen tatsächlich kommen. Für die SPD galt beides als gesetzt, für die Union offenbar nicht. Niedrigere Steuern seien nur möglich, „wenn es der öffentliche Haushalt hergibt“, sagte der mutmaßlich nächste Bundeskanzler Friedrich Merz am Wochenende.

Christoph Butterwegge

ist Politik­wissenschaftler und Armuts­forscher, von 1998 bis 2016 war er Professor an der Universität zu Köln. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher, darunter letztes Jahr „Deutschland im Krisenmodus. Infektion, Invasion und Inflation als gesellschaft­liche Herausforderung“ und „Umverteilung des Reichtums“.

Hatte sich die Ampel noch als „Fortschritts­koalition“ bezeichnet, machen CDU/CSU und SPD im Grunde keinen Hehl aus ihrer gemeinsamen Formierung zu einer Rückschrittskoalition. Aufbruchstimmung wird nicht einmal mehr simuliert. Die neue CDU/CSU-SPD-Regierung will alle Sozialleistungen hinsichtlich ihrer Effizienz, finanziellen Nachhaltigkeit, volkswirtschaftlichen Wirkung und gesellschaftlichen Resilienz evaluieren. Schon im Vorgriff darauf hat sie vereinbart, das Bürgergeldsystem zu einer „neuen Grundsicherung“ für Arbeitsuchende umzugestalten, die eine Rolle rückwärts hin zu Hartz IV darstellt. Von den wenigen Verbesserungen und Erleichterungen für Arbeitsuchende, die mit der Bürgergeldreform verbunden waren, werden die meisten wieder abgeschafft.

Zwang zum McJob

Genannt sei nur die Karenzzeit für Vermögen, ursprünglich von der Großen Koalition während der Covid-19-Pandemie im März 2020 eingeführt, um in Not geratenen Facharbeiter(inne)n und Selbstständigen den Hartz-IV-Zugang zu erleichtern. Ähnliches gilt für Wohnkosten: Wenn das Jobcenter die Miete oder die Heizkosten von Arbeitsuchenden für „unverhältnismäßig hoch“ hält, entfällt die Karenzzeit dafür. Selbst viele Menschen, die nie Angst vor Armut hatten, mussten wegen der Energiepreisexplosion und der Inflation jeden Cent dreimal umdrehen.

Umso unverständlicher ist, dass die genannten Regelungen nicht mehr notwendig sein sollen. Weil die schwarz-rote Koalition unter Merz den Vermittlungsvorrang wieder einführen will, kann es kurz vor dem Abitur stehenden Kindern einer Familie im Grundsicherungsbezug künftig erneut passieren, dass sie vom Jobcenter aus dem Gymnasium heraus in einen McJob gezwungen werden. Mitwirkungspflichten und Sanktionen sollen „im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern“ verschärft und die Leistungen bei wiederholter Verweigerung der Arbeitsaufnahme vollständig entzogen werden. Das trifft keine „Drückeberger“, sondern eher Menschen, die aus Angst keine Schreiben ihres Jobcenters mehr öffnen.

Die „migrationspolitische Wende“ (Alexander Dobrindt), von der Unionsfraktion nur mit Stimmen der AfD per mehrheitsfähigem Fünfpunkteplan und ihrem knapp gescheiterten „Zustrombegrenzungsgesetz“ proklamiert, findet ebenso wie die gegenüber Menschen im Transferleistungsbezug an den Tag gelegte „rohe Bürgerlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) ihre Fortsetzung. Geflüchtete will man an den Staatsgrenzen zurückweisen, ohne ihr Asylgesuch noch auf seine Berechtigung zu prüfen. Dies soll „in Abstimmung“ mit den Nachbarstaaten erfolgen, jeder Koalitionspartner versteht unter dieser von der SPD verlangten Einschränkung jedoch etwas anderes.

Trotz der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands wird Abschied vom Flüchtlingsschutz genommen und bloß noch „die qualifizierte Einwanderung in unseren Arbeitsmarkt“ aus ökonomischem Eigeninteresse akzeptiert. Asyl- und Arbeitsuchende, die staatliche Unterstützung brauchen, um leben zu können, stoßen bei der schwarz-roten Koalition dagegen auf soziale Eiseskälte.

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