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Know-how aus dem Taunus für Uganda | ABC-Z

In der Luft liegt der kühle, mineralische Geruch von Gips. Auf dem Schränkchen an der Tür stehen ein männlicher Torso, ein Unterschenkel, Füße aus Holz, in einem Regal liegen Werkzeug und Material: Hämmer, Spachtel, Feilen, Puder, Farbe, Schleifpapier. Das hier könnte auch ein Bildhaueratelier sein. Und so abwegig ist die Annahme nicht: Künstler von der Antike bis zu Dürer, Michelangelo und Rembrandt schufen ihre Werke basierend auf Studien des menschlichen Körpers.

Dieses Wissen um die Anatomie, um Funktion und Form von Gelenken, um den Verlauf von Muskeln und Sehnen wird auch an der Saalburgschule in Usingen vermittelt. Als einzige berufliche Schule in Hessen bildet sie Orthopädietechnik-Mechaniker aus. 30 Nachwuchskräfte lernen in der Landesfachschulklasse, künstliche Gliedmaßen und Schienen herzustellen, Bandagen und Gehhilfen anzupassen. Eine von ihnen ist die 22 Jahre alte Kea Müller. Die junge Frau mit den langen Locken steht im dritten Ausbildungsjahr kurz vor dem Abschluss.

Fachschülerin Kea Müller passt in einer Kundenserviceübung eine Sprunggelenksbandage an.Lucas Bäuml

Nach dem Abitur habe sie überlegt, was sie machen wolle, erzählt die Zweiundzwanzigjährige, während sie zusammen mit Lehrer Karsten Schulz durch die Werkstatt führt. Sie habe einen Beruf gesucht, in dem sie ihrem Interesse an der Biologie nachgehen, aber auch mit den Händen arbeiten könne. Nach einem Praktikum in der Orthopädietechnik habe festgestanden: „Das ist genau das Richtige für mich.“

Beim Gang durch die Ausbildungsräume fällt eine Reihe von Unterschenkelmodellen auf einem Metallschrank auf. Jeder Schaumstoffschenkel ist mit einem Aufkleber versehen: Auf einem steht Paul, auf dem nächsten Annika, dann Kea und so weiter. Alle Fachschüler hätten ihr eigenes Exemplar, um das Anpassen von Orthesen zu üben, sagt Müller.

3D-Modelle am Computer machen Gipsmodelle überflüssig

Orthesen, das sind Kunststoffschienen, die Gelenke oder andere Körperteile führen, korrigieren oder fixieren – etwa ein Korsett bei einer Rückgratverkrümmung oder eine Knieorthese nach einem Bänderriss. Kasten Schulz bringt den Unterschied zur Prothese auf eine eingängige Formel. „Bei einer Orthese ist noch alles dran, bei einer Prothese fehlt etwas.“

Der Lehrer für Orthopädietechnik hat ein Talent für solche saloppen, in hanseatischem Tonfall formulierten Sätze. Diese Fähigkeit, Dinge zu erklären und Menschen zu gewinnen, nutzt er auch als Gründer und Vorsitzender des Vereins Pro Uganda. Dessen Arbeit ist eng mit der orthopädietechnischen Expertise der Saalburgschule verbunden – aber dazu mehr, wenn der Rundgang durch die Saalburgschule beendet ist.

In einem Klassenraum geht es gerade um den „digitalen Workflow“. Lehrer Oliver Tepper, ein jugendlicher Typ mit gelber Dockarbeitermütze, vermisst mit einem Handscanner einen Fuß, um ein 3D-Modell am Computer zu erzeugen. Dieses Vorgehen macht die Gipsmodelle zunehmend überflüssig. Einen Raum weiter übt die Klasse von Horst Lohrey die Praxis im Sanitätsgeschäft: Wie ziehe ich eine Bandage über den Fuß des Kunden? Und wie fest muss sie sitzen, um zu schützen, aber nicht zu drücken?

Mit Unterschenkelmodellen aus Schaumstoff lernen die Schüler, Orthesen zu fertigen.
Mit Unterschenkelmodellen aus Schaumstoff lernen die Schüler, Orthesen zu fertigen.Lucas Bäuml

Lohrey gehört zu denen, die sich schon lange, seit mittlerweile gut zehn Jahren für Pro Uganda einsetzen. Die Verbindung von der Berufsschule im Taunus nach Ostafrika ist durch einen Zufall entstanden: Auf einer Reise nach Uganda lernte Schulz die Nöte dort kennen. Es gebe nicht unbedingt mehr amputierte oder behinderte Menschen als in Europa, sagt er. Das Problem sei, dass Hilfsmittel wie Orthesen oder Prothesen kaum verfügbar und für viele nicht bezahlbar seien. Kindern bleibe oft der Schulbesuch verwehrt, Erwachsene könnten nicht arbeiten und für ihre Familie sorgen.

Als Schulz das nächste Mal nach Uganda flog, hatte er einen Koffer mit Werkzeug und Ersatzteilen dabei. Für Stella, eine junge Mutter mit verkrüppeltem Bein, baute er die erste Prothese. Eigentlich sei die nur zum Stehen gedacht gewesen. „Aber Stella ist direkt damit losgelaufen“, sagt Schulz und muss lachen.

Karsten Schulz, Lehrer an der Saalburgschule und Gründer des Vereins Pro Uganda.
Karsten Schulz, Lehrer an der Saalburgschule und Gründer des Vereins Pro Uganda.Lucas Bäuml

Zurück in Deutschland erzählte er Kollegen und Schülern von seinen Erlebnissen – und die Dinge nahmen ihren Lauf. Auch im wörtlichen Sinne: 2015 fand an der Saalburgschule der erste Sponsorenlauf für Uganda statt, Angehörige und Freunde spendeten, Koffer mit nicht mehr benötigten Teilen wurden gepackt.

Seither reisen Fachleute aus dem Taunus regelmäßig nach Uganda, um dort Prothesen zu bauen und anzupassen, Nachwuchstechniker absolvieren teils mehrmonatige Praktika. In Mukono, einer Stadt nahe Kampala, wurde eine Werkstatt eröffnet, Einheimische wurden zu Orthopädietechnik-Mechanikern ausgebildet, gerade erst wurde ein neues, größeres Orthopädiezentrum eröffnet. So ist ein kleiner Campus entstanden mit Unterkünften für Patienten und Mitarbeiter.

Die Aktion „F.A.Z.-Leser helfen“ unterstützt den ehrenamtlichen Einsatz von Pro Uganda und bittet um Spenden, mit denen der Verein unter anderem ein Rehagebäude für Kinder errichten will.





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Im Februar will Kea Müller auch nach Mukono reisen, um mit ihren in der Schule und in der betrieblichen Ausbildung erworbenen Fähigkeiten zu helfen. Vorher muss sie noch ihre Prüfungen absolvieren. In der Abschlussarbeit geht es um Kundenbetreuung, also den Versorgungsverlauf vom Kostenvoranschlag bis zum Moment, in dem der Patient mit Prothese oder Orthese das Geschäft verlässt.

Für die Zweiundzwanzigjährige ist das nicht nur ein technischer und kaufmännischer Vorgang, sondern einer, bei dem es um Menschen geht. Man müsse die Bedürfnisse der Patienten erkennen und darauf eingehen, sagt Müller. „Ich muss ein Gefühl dafür haben, dass zum Beispiel ein Korsett für eine Frau ein intimes Thema ist.“

Diese menschliche Dimension ist es, die Müller neben der medizinischen und handwerklichen an ihrem Beruf liebt. Die Zeit in Uganda wird sie auch in dieser Hinsicht bereichern.

Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“

Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und die Frankfurter Allgemeine/Rhein-Main-Zeitung bitten um Spenden für die Arbeit der Vereine „Kinderhilfe Organtransplantation“ (KiO) und „Pro Uganda“.

Die Frankfurter KiO hilft Familien mit organkranken und transplantierten Kindern und Jugendlichen, wenn Kassen und andere Unterstützer ausfallen. „Pro Uganda“ aus Usingen baut in dem ostafrikanischen Land Prothesen für Menschen, die durch Unfälle oder Krankheiten Gliedmaßen verloren haben, und eröffnet ihnen so neue Lebenschancen.

Spenden für das Projekt „F.A.Z.-Leser helfen“ bitte auf die Konten:

Bei der Frankfurter Volksbank IBAN: DE94 5019 0000 0000 1157 11

Bei der Frankfurter Sparkasse IBAN: DE43 5005 0201 0000 9780 00

Spenden können steuerlich abgesetzt werden. Bei Zuwendungen bis 300 Euro genügt dafür der Überweisungsbeleg. Weitere Informationen zur Spendenaktion im Internet unter www.faz-leser-helfen.de.

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