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Schroeder zu Brandmauer-Studie: “Nicht die CDU stimmt am häufigsten mit der AfD” | ABC-Z


Schroeder zu Brandmauer-Studie

“Nicht die CDU stimmt am häufigsten mit der AfD”

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Im neuen Bundestag ist die AfD so stark wie nie. 152 Abgeordnete stellt die in Teilen rechtsextreme Partei. Wie sieht es mit der Brandmauer aus? Professor Wolfgang Schröder hat sie auf kommunaler Ebene untersucht – mit teils überraschenden Ergebnissen.

ntv.de: Herr Schroeder, wir diskutieren gerade wieder über eine drohende Normalisierung der AfD. Aber ist der Zug nicht abgefahren? Sie sitzt in 14 Landesparlamenten, im Europaparlament und im Bundestag und ist im Trendbarometer von RTL und ntv stärkste Kraft.

Wolfgang Schroeder ist Professor für das politische System der Bundesrepublik an der Universität Kassel. Seit 2016 ist er Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Wolfgang Schroeder ist Professor für das politische System der Bundesrepublik an der Universität Kassel. Seit 2016 ist er Fellow am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Wolfgang Schroeder: Da geht es um zwei verschiedene Ebenen. Offensichtlich hat sich diese Partei empirisch etabliert und ist zu einem Machtfaktor geworden. Insofern könnte man sie als normale Partei bezeichnen. Dagegen steht aber die normative Ebene. In drei Ländern betrachtet der Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem. Vor dem Hintergrund unserer demokratischen Verfassung, den Lehren aus der Weimarer Republik, kann eine Partei nicht zugleich extremistisch und als normale Partei behandelt werden. Die besondere Verantwortung, die wir haben, endet nicht.

Im Januar nahm die Union eine Mehrheit mit der AfD in Kauf. CDU-Chef Friedrich Merz sagt, das sei keine Zusammenarbeit gewesen. Hatte er recht?

Wir unterscheiden zwischen indirekter und direkter Zusammenarbeit. Eine direkte Zusammenarbeit war das nicht. Aber eine indirekte schon. Dadurch wird aus unserer Sicht zudem eine weiter gefasstere direkte Kooperation wahrscheinlicher. Man kann das nicht klar voneinander trennen.

Sie haben am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung den Zustand der Brandmauer in den Stadträten kreisfreier Städte und in Kreistagen, untersucht. Warum ist es wichtig, dorthin zu schauen, wo doch die Gesetze in Landtagen und im Bundestag gemacht werden?

Historisch gesehen ist der Rechtsextremismus nicht als erstes im Berliner Reichstag stark geworden, sondern in den Kommunen. Der Ausgangspunkt für verfassungsfeindliche Bewegungen liegt dort. Die kommunalen Parlamente sind in unserem Verständnis nicht einfach funktionale Abstimmungsarenen, sondern auch Lernwerkstätten, Schulen der Demokratie. Wir haben etwa 200.000 Mandatsträger, davon sind nur rund 3000 in Landtagen oder im Bundestag.

Trotzdem geht es auf kommunaler Ebene um pragmatische Entscheidungen. Es gibt keine sozialdemokratische oder christdemokratische Straßenbeleuchtung, zitieren Sie in Ihrer Studie den Politologen Eschenburg. Warum braucht man da eine Brandmauer?

Man wird die Brandmauer genau deswegen nicht zu 100 Prozent einhalten können. Da muss man die Kirche im Dorf lassen. Aber das genannte Zitat stammt von 1957 und trifft heute nur noch bedingt zu. Auch hinter Sachentscheidungen stehen Gesellschaftsbilder. Es macht beispielsweise einen Unterschied, welche Baustoffe ich benutze oder welche Verkehrspräferenzen ich benutze und wer welche Gebühren zahlt. Damit zeige ich, wie wichtig mir Ökologie, nachhaltige Mobilität und soziale Gerechtigkeit sind. Wir haben also nicht einfach pure Sach- oder Effizienzzwänge. Das wissen die Abgeordneten auch und verhalten sich entsprechend.

In gut 80 Prozent der Entscheidungen in Kreis- oder Stadträten, die sie untersucht haben, gab es keine Kooperation mit der AfD. Haben wir da also allenfalls Risse in der Brandmauer?

So eine überwältigende Ablehnung von Beschlüssen einer anderen Partei ist bemerkenswert. Gerade dann, wenn man annimmt, dass auf kommunaler Ebene die Bereitschaft zum Kompromiss sehr groß ist. In den Medien entstand mitunter der Eindruck, es gebe auf kommunaler Ebene gar keine Brandmauer mehr. Doch sie existiert sehr wohl. Sie ist aber durch deutliche Risse gekennzeichnet. Ein Selbstläufer ist sie also nicht und wie lange sie als programmatische Grundorientierung hält, wissen wir auch nicht.

Überraschend an Ihrer Studie ist, dass es keinen großen Unterschied zwischen Ost und West gibt.

Für uns war das auch überraschend. Auch uns erscheinen die Berichte plausibel, dass es auf kommunaler Ebene einen größeren Zwang zur Kooperation gibt. Wenn man tiefer geht, sieht man aber sehr wohl Differenzen. Die finden sich zwischen Stadt und Land im Osten. Auf dem Land hat es deutlich mehr Zusammenarbeit mit der AfD gegeben als in den Städten.

Wie erklären Sie das?

Der Schlüssel könnten kulturalistisch aufgeladene Sichtweisen sein. Auf dem Land haben viele den Eindruck, dass das, was die Zeit von ihnen verlangt, nicht ihr Ding ist. Die Bereitschaft zum Kompromiss und die Offenheit für Vielfalt wird weniger eingeübt. Ein Grund dafür ist die geringer ausgeprägte organisierte Welt der Vereine, Verbände und Parteien. Im Westen ist das noch anders, da gibt es noch mehr Beteiligung in den Vereinen und Parteien. Im ostdeutschen ländlichen Raum sind die oft gar nicht mehr präsent, übrigens auch immer weniger in den Gemeinderäten. Ein wichtiger Grund dafür könnte analog zu einigen soziologischen Studien auch der Männerüberschuss in diesen Regionen sein.

Warum?

Gut ausgebildete junge Männer und Frauen haben ländliche Gebiete in Ostdeutschland verlassen. Zurück blieben die weniger Ausgebildeten und die Älteren. Das hat Folgen für die Lebensqualität und das Lebensgefühl.

Die spannende Frage ist, wer mit der AfD kooperiert. Ihr überraschender Befund: Es ist gar nicht nur und auch nicht in erster Linie die CDU.

Richtig. Nicht die CDU stimmt am häufigsten mit der AfD, sondern fraktionslose Abgeordnete oder kleinere Parteien. Es gibt noch einige Gruppierungen, die noch rechts von der AfD stehen. Das schlägt am stärksten zu Buche. Erst nach dieser Gruppe folgen CDU und FDP, die je in 38 Prozent der dokumentierten Fälle mit der AfD stimmten. In etwa 30 Prozent der Fälle stimmten aber auch SPD und Grüne mit der AfD, in gut 20 Prozent selbst die Linke.

Wie passt das zusammen?

Dazu können wir noch nichts sagen. Wir haben erst einmal nur das Abstimmungsverhalten empirisch ausgewertet. Wer warum mit der AfD abgestimmt hat, wollen wir in einem zweiten Schritt untersuchen.

Einen Hinweis geben die Themen, bei denen die anderen Parteien mit der AfD stimmten. Der größte Block betrifft da in West wie Ost die „Kreisadministration“.

Da geht es meist um technische Dinge, etwa Sitzungstermine. die gemacht werden müssen. Dabei entscheiden Abgeordnete dann mal eher gemeinsam mit der AfD, weil es in der Sache keine Debatte gibt.

Das bedeutet ja auch, dass die Bereitschaft zur Zusammenarbeit bei relevanteren Fragen geringer ist, als es die 20 Prozent nahelegen.

Das muss man sagen, ja. Sobald es um Fragen geht, die nicht mehr sachlich-fachlich ohne jeden Schnörkel zu bewältigen sind, ist der Dissens groß.

Mit Wolfgang Schroeder sprach Volker Petersen

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