Klimapolitik der Bundesregierung: So macht sich die Regierung heimlich vom Klimaschutz frei | ABC-Z

Politik sollte verständlich sein. Das klingt wie ein
Allgemeinplatz – aber er ist leider nicht selbstverständlich. Denn Regierungen nutzt es oft, wenn Programme, die politische
Probleme lösen sollen, kompliziert sind. Dann lassen sich Tricksereien oder gar Rückschritte viel besser verstecken. Gegen das, was nur wenige Leute
verstehen, werden schließlich auch nur wenige protestieren.
Besonders auffällig ist das in der Klimapolitik. Das Thema steht
zwar bei vielen Menschen gerade nicht mehr ganz oben auf der Prioritätenliste.
Aber der Klimaschutz schafft es bei Umfragen immer noch auf einen der oberen Plätze, eine
große Mehrheit sorgt sich weiter vor den Klimaveränderungen. Völlig ignorieren kann
diese Regierung das Problem daher noch nicht und auch die Klimaschutzziele
nicht schreddern – selbst wenn Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) das
bekanntermaßen am liebsten tun würde. Offiziell steht die CDU weiter zum
Klimaschutz. Und auch die SPD, selbst wenn ihr Finanzminister Lars Klingbeil
(SPD) die Gaskunden entlastet – und nicht diejenigen, die Wind- und Sonnenenergie beziehen.
Womit wir bei Kleingedrucktem wären, bei den Bereichen der
Politik, die nur noch wenige Leute verstehen. Genau dort verändert Klingbeil gerade stillschweigend die Regeln so, dass der klimapolitische
Handlungsdruck für die Regierung künftig massiv sinken wird. Klingbeil
neutralisiert still und leise das wichtigste Mittel, das die Regierung zum
klimapolitischen Handeln zwingt: den finanziellen Druck. Er hilft damit vor
allem den Ministerinnen und Ministern, denen Klimaschutz schnuppe ist, denn er
entlastet sie dort, wo sie wirklich empfindlich sind: beim Geld.
Die Regierung setzt sich Ziele – um sie dann wieder zu kassieren
Jetzt wird es kurz ein bisschen technisch. (Aber genau
das soll es nach Willen der Regierung ja sein, damit ihre Trickserei möglichst
wenig auffällt.) Um der Öffentlichkeit zu demonstrieren, dass sie es ernst
meinen, sich gleichzeitig aber nicht zum sofortigen Handeln zu zwingen,
setzen sich Regierungen gern ferne Ziele. Weil sie die aber häufiger mal nicht
erreichen und die schweren Lasten gern in die Zukunft verlagern, haben sie
sich zusätzliche Druckmittel ausgedacht: finanzielle Strafen. In der
europäischen – und damit auch deutschen – Klimapolitik funktioniert das so:
Für jedes Land und für jeden Sektor in der EU gibt es CO₂-Reduktionsziele. Die
sind in vollem Wissen und mit der Zustimmung der Regierungen beschlossen
worden. (Das nur als Hinweis für diejenigen, die jetzt argwöhnen, dass die EU wieder mal übergriffig war.)
Die Folge dieser Strategie sieht so aus: Für alle Emissionen
gibt es sogenannte Emissionszertifikate. Erreicht beispielsweise der deutsche
Verkehrssektor seine Klimaziele nicht, muss Deutschland Zertifikate von anderen
Ländern kaufen, die besser sind und deswegen welche übrig haben. Der
Mechanismus ist flexibel: Wer das Ziel in einem Jahr nicht schafft, kann im
nächsten ehrgeiziger sein. Wer gut vorlegt, darf im Folgejahr trödeln. Wer
allerdings dauerhaft unter den Zielen liegt, muss Zertifikate kaufen. Diese
Kosten, so die Idee, sollen die schludrigen Regierungen antreiben und die
betroffenen Ministerien noch mal besonders.
In Deutschland gab es einmal ein nationales Klimagesetz,
das ähnlich konstruiert war. Auch hier mussten einzelne Minister Rechenschaft
ablegen. Die deutsche Klimapolitik passte also zu den Regeln der EU. Nur
ärgerte das die Ampel zu sehr, die Schlagzeilen waren unangenehm, und so
schliff sie das deutsche Gesetz. Sie stellte von der “sektorspezifischen” auf
eine “sektorübergreifende und mehrjährige” Gesamtrechnung um. Im Klartext: SPD,
Grüne und FDP nahmen den Druck vom Verkehrs-, dem Wirtschafts- und dem
Wohnungsbauministerium, jedes Jahr wirksame Vorschläge zum CO₂-Sparen zu
machen. Entscheidend für die deutschen Klimaziele ist seither nur noch die Summe
der Gesamtemissionen, und auch die jährliche Reduktion ist nicht mehr wichtig.
Dumm für die Regierung Merz-Klingbeil ist nur: Das EU-Recht
gilt trotz der freundlichen Vorarbeit der Ampel weiter. Womit die
Trickserei des Finanzministers ins Spiel kommt. Der hat sich Folgendes
einfallen lassen. Erreicht Deutschland die Klimaziele künftig nicht (was wahrscheinlich ist), soll der Kauf der Emissionszertifikate nicht aus dem Haushalt,
sondern aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) bezahlt werden.
Das ist ein
Sondertopf, in den die Einnahmen aus Emissionshandel und CO₂-Preis fließen –
und zusätzlich 100 Milliarden Euro aus einem Sondervermögen, das die
Merz-Bundesregierung im Bundestag mithilfe der Grünen noch vor dem offiziellen
Start der Amtszeit beschlossen hat. Dieser Fonds soll die Umstellung auf eine
klimaneutrale Gesellschaft finanzieren. Nur kann durch Klingbeils Handeln nun
in Zukunft genau das Gegenteil passieren. Der KTF wird dazu benutzt, bei einem
Versagen der deutschen Klimapolitik Emissionszertifikate im Ausland zu kaufen.
Das Geld finanziert also nicht die Klimapolitik, sondern genau das Gegenteil: die
Schlamperei.
Für die kommenden zwei Jahre stehen im KTF zwar noch null Euro
– solange werden aller Voraussicht nach noch keine Zertifikate nötig sein
(auch weil die Wirtschaft so schwächelt). Doch perspektivisch wird die Zahl
steigen, jedenfalls wenn diese Regierung beim Klimaschutz nicht besser wird. Und danach sieht es aus.
Klingbeil schreddert hart errungene Fortschritte
Es ist schon irre: Kurz nachdem das Bundesverfassungsgericht
2021 mit einem wegweisenden Urteil mehr Klimaschutz von der Merkel-Regierung gefordert hatte, setzte die damalige Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) ein ehrgeiziges
Klimagesetz durch. Das schliff ausgerechnet die Ampel unter Federführung
von Olaf Scholz (SPD) – und macht so der Merz-Regierung das Schludern leichter. Und
jetzt hilft Finanzminister Klingbeil den künftigen Regierungen, indem er auch
noch den europäischen Druck senkt. Er schreddert damit mal eben hart errungene
Fortschritte, für die andere (auch europäische Sozialdemokraten) lange gerungen
haben. Der Bundestag könnte dem zwar noch widersprechen, angesichts der aktuellen Mehrheitsverhältnisse aber dürfte das eher unwahrscheinlich sein.
Bisher war ich der Meinung, dass es dieser Regierung erlaubt
sein muss, viel mehr Geld auszugeben, als es die Schuldenbremse eigentlich zulässt
– weil wir in einer historisch einmaligen Situation sind. Jetzt und heute
entscheidet sich, ob wir den Kampf gegen die Klimakrise gewinnen und das Land
schnell genug klimaneutral umbauen. Jetzt und heute brauchen wir mehr Geld,
weil in die Infrastruktur investiert werden muss und in die Transformation.
Deswegen war es auch richtig, dass die Grünen der Regierung zu einer
Zweidrittelmehrheit verhalfen und die schwarz-rote Koalition so insgesamt 500
Milliarden Euro bekam. Deswegen ist auch der 100-Milliarden-Zuschuss in den KTF sinnvoll.
Nur gibt diese Regierung dieses Geld für halbseidene Geschichten aus – kauft
sich also mit Mitteln aus dem Klimafonds davon frei, wirklich Klimaschutz zu
machen. Das ist nicht nur schlechte Haushaltspolitik. Es ist schlicht und
einfach schäbig.
Es hintergeht die Grünen, die der schwarz-roten Koalition
einen großen Vertrauensvorschuss gegönnt haben. (Manche sagen inzwischen: die
fürchterlich naiv waren). Es betrügt all die, die daran geglaubt haben, dass
diese Regierung – bei allen ihren Fehlern – wenigstens seriös investiert. Und
am schlimmsten: Diese Regierung vergeht sich an den nächsten Generationen. Die
müssen nämlich nicht nur mit Folgen der Klimakrise leben, sondern – wenn es
weiter so schiefläuft –, auch noch den riesigen neuen Schuldenberg der Herren
Klingbeil, Merz und Söder abbezahlen.
Es mag praktisch für Regierungen sein, komplizierte
Schmuddeleien im Hintergrund auszutüfteln – weil das nur wenige Leute verstehen.
Langfristig aber steigert es den Frust auf die Politik massiv.