Klaus Doldinger: Er wollte nie aufhören, etwas Neues zu probieren | ABC-Z

Als ich vor einigen Jahren mit Klaus Doldinger und seinem
Sohn Nicolas an der Doldinger-Autobiografie Made In Germany – Mein Leben für
die Musik gearbeitet habe, wurde natürlich auch das Zustandekommen seiner in
Deutschland wohl berühmtesten Melodie noch einmal genau geschildert. Auch wenn sie, so unverkennbar sie auch sein mag, im Schaffenswerk des Musikers Doldinger dann doch eher eine Episode war. Aber eine wichtige. Und natürlich: Die Geschichte muss noch einmal erzählt werden, nun, da Doldinger sie unwiderruflich nicht mehr selbst erzählen kann.
Klaus
Doldinger hatte bereits ein kleines Orchesterwerk für die ARD zur Einführung
des Farbfernsehens geschrieben, das sogenannte Farbcaption-Jingle, als im
Frühjahr 1970 der Autor und Dramaturg Gunther Witte bei ihm angerufen und
gefragt hat, ob Doldinger eine kleine Auftragsarbeit übernehmen könne. Im Auftrag des Fernsehproduzenten Günter Rohrbach habe
Witte eine neue Krimiserie für die ARD entwickelt, deren Name Tatort sein
sollte; die erste Folge sei bereits gelaufen. Der heute berühmte Vorspann mit
dem flüchtenden Mann stand fest und wurde zur Inspiration angeliefert. Das
Musikstück, das Doldinger dann geschrieben hat, sei im Wesentlichen ein
Soundtrack zu dieser Mini-Sequenz gewesen, berichtete er mir dann viel später. Er sei bei der
Komposition der Prämisse gefolgt, dass eine ganz simple Melodie meist wirkungsvoller
sei als eine künstlerisch anspruchsvolle. Das fertige Stück spielte Doldinger
in seinem Heimstudio ein, am Schlagzeug saß der damals noch unbekannte Udo
Lindenberg. So komponierte Klaus Doldinger einen Klassiker: indem er es nicht
darauf anlegte, einen Klassiker zu komponieren.
Das war typisch für ihn, sein Selbstverständnis als Musiker
beschrieb Doldinger in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau einmal so:
“Hauptsache, wir können spielen und die Band ist gut.” Vielleicht liegt in
diesem Kernsatz und der Bescheidenheit, die daraus spricht, ja tatsächlich das
Erfolgsgeheimnis eines Mannes, dem eine der auch international bedeutendsten
Karrieren der deutschen Musikgeschichte gelungen ist. Für den Glamour der
Branche hat er sich nie sonderlich interessiert. Klaus Doldinger war zuerst
Musiker, seine Profession übte er mit Akribie, Leidenschaft und
Bodenständigkeit aus.
Das Saxofon war Doldingers eigentliche Stimme. Er
schien sich auf dem Instrument mitunter lieber ausdrücken zu wollen als in
jeder anderen Kommunikationsform. Besuchern in seinem Haus in Icking bei
München spielte er spontan improvisierte Passagen vor, mit diesem
schelmenhaften Grinsen, das typisch für Doldinger war. Bei diesen Gelegenheiten
konnte man erleben, wie er durch seine Musik sprach und in ihr lebte. Er war
auch ein ausgezeichneter Pianist und Klarinettist, aber das Saxofon erkannte
Doldinger durch sein klangliches Volumen und die Flüssigkeit, mit der sich
Tonabfolgen spielen lassen, als das ideale Instrument für die
Jazz-Improvisationen, die er am meisten liebte. Durch seinen unverkennbaren Ton
hat er das Saxofon in diesen Improvisationen zu einem Lead-Instrument gemacht,
dem in Doldingers Musik eine Rolle zukam wie dem Gesang im Pop.
So wurden ausufernde Jams, Improvisationen zum Markenzeichen
seiner später grenzüberschreitenden Fusion-Band Passport, kaum ein Stück wurde
zweimal gleich gespielt. Unvergessen die Aufführung des Passport-Stücks Uranus
in der TV-Sendung Beat Club. Sieben Minuten entfesselte Energie, in
übereinander montierten Aufnahmen scheint Doldinger gleichzeitig Tenor- und
Sopransaxofon sowie Synthesizer zu spielen. Sein geliebtes Sopransax jagte
Doldinger bei solchen Gelegenheiten durch alle möglichen Effekte, bis es beinahe
klang wie eine E-Gitarre; später spielte er überwiegend Tenor.
Seine erste Begegnung mit Jazz ließ ihn nie wieder los
Geboren wurde Klaus Doldinger 1936 in Berlin. Die Familie
zog nach Wien und nach dem Zweiten Weltkrieg nach Oberbayern, wo ein
Bruder des Vaters wohnte. Durch einen Zufall lauschte Doldinger einer Jazz-Band
aus amerikanischen GIs, die dort in einer Kneipe probte. Seine erste Begegnung
mit Jazz ließ ihn nie wieder los, sie wurde, so schilderte er es selbst, zur
maßgeblichen Erfahrung seines Lebens. Bald zog die Familie weiter nach Düsseldorf. Dort hörte Doldinger später nachts unter der
Bettdecke heimlich Besatzerradio und vertiefte im Hinterzimmer eines
Schallplattenladens seine Jazzkenntnisse. Er studierte dann am
Robert-Schumann-Konservatorium (heute Robert Schumann Hochschule Düsseldorf)
Klavier und Klarinette, sein erstes Saxofon kaufte er einem Zirkusclown ab.
Der von Doldinger geliebte Jazz war bei seinem autoritären
Vater und am Konservatorium verpönt. Für Doldinger hingegen war Musik
grundsätzlich grenzüberschreitend, die damals übliche Trennung zwischen U- und
E-Musik lehnte er ab. Auch durch diese offene Haltung wurde Doldinger zu einem
zentralen Vorkämpfer und Wegbereiter der deutschen Jazz-Revolution.





















