Klara Bühl bei der Frauenfußball-EM: Die Leiden der Alleinunterhalterin – Sport | ABC-Z

Man musste schon nach Klara Bühl suchen, um sie noch mal zu finden im Letzigrund-Stadion von Zürich. Einen dicken Pulli hatte sie sich übergezogen und sich unter der Kapuze versteckt, in einer kleinen Gruppe mit den anderen Offensivspielerinnen verließ sie so das Stadion. Draußen warteten Dunkelheit, Regen und eine gegen die Busscheiben trommelnde spanische Seleccion auf Bühl und ihre Mitspielerinnen. Man konnte es ihnen allen nicht verdenken, dass sie so schnell wie möglich wegwollten, um diesen Abend hinter sich lassen, der in einem alternativen Szenario auch der Abend der Deutschen hätte werden können. Oder gar: der Abend von Klara Bühl.
Es war auch ihr Spiel, dieses Halbfinale der Europameisterschaft, in dem Deutschland über weite Teile des Feldes unterlegen war – aber nicht in der Offensive. Immer wieder während der 120 Minuten spürte man den Respekt der spanischen Verteidigerinnen vor der Individualität auf den deutschen Außenpositionen, insbesondere auf der linken Seite. Die deutsche Abwehrreihe musste sich mit fünf Offensivspielerinnen beschäftigen, die spanische meist nur mit zwei, höchstens drei – und doch reichte das für eine bemerkenswerte, wenngleich ungekrönte Leistung.
:Berger ist überall, nur einmal nicht im Torwarteck
Ann-Katrin Berger spielt mit Hand und Fuß und wird doch überlistet, Sophia Kleinherne führt den Abwehrkampf heroisch an und Klara Bühl hätte sich ein Tor verdient gehabt. Die Einzelkritik.
Ein Abschluss am Tor vorbei im Eins-gegen-eins mit Cata Coll in der achten Minute; ein scharfer Torschuss nach einem Dribbling, gehalten von Coll, in der 63. Minute; ein Freistoß, der den Außenpfosten noch streifte, in der 85. Minute und schließlich der abgefälschte Distanzschuss in der vierten Minute der Nachspielzeit, den Coll gerade noch vor der Linie aus dem Tor fischte – so lautete die Zusammenfassung von Bühls Torchancen gegen Spanien. Es ist – mit Ausnahme von Carlotta Wamsers Nachschuss und Lea Schüllers Distanzversuch in der 118. Minute – auch die gesamte Offensivbilanz des deutschen Teams in dem Spiel. Sie steht stellvertretend für die gesamte EM.
Beeindruckende Statistiken hat Bühl in den fünf Partien sammeln können, sie gehört eindeutig zu den besten Spielerinnen des Turniers. 24 Mal hat sie geschossen, 18 Mal erfolgreich gedribbelt, mehr als jede andere Spielerin. 16 sogenannte Schlüsselpässe hat sie gespielt, die den Raum für Mitspielerinnen öffnen, nur Spaniens Alexia Putellas ist in dieser Kategorie besser. Die Statistik allerdings besagt auch, was aus all dem Aufwand wurde: Null Tore, eine Vorlage, so lautet Bühls unzureichende Bilanz, für die man eine einfache Antwort finden kann – und eine etwas komplexere.
Durch die taktische Umstellung müssen sich die Stürmerinnen ihre Chancen selbst organisieren
Die Qualität der Abschlüsse sticht ins Auge. Gegen Spanien suchte Bühl immer wieder die Gelegenheit, nach innen zu ziehen, an der spanischen Verteidigung vorbei. Die Herausforderung, die dann für Coll im Tor folgte, war allerdings zu klein: Ihre eine herausragende Parade entstand aus dem abgefälschten Schuss, für den Rest der Schüsse brauchte es nur den normalen EM-Standard einer Torhüterin. Bühl, genauso wie Jule Brand und Giovanna Hoffmann, war in ihrer Entscheidungsfindung oft zu langsam, sodass ihr der Ball versprang – oder dann im Abschluss zu ungenau. Sie selbst sprach nicht nach dem Spiel, wohl aber Hoffmann, die darin einen Unterschied zu Spanien erkannte: „Sie machen ihre eine Chance dann rein, ich steige einmal über den Ball und stehe einmal im Abseits in der ersten Halbzeit“, sagte die Stürmerin selbstkritisch.
Die Dreierreihe in der Offensive allerdings hatte es auch nicht leicht. Einerseits war viel defensives Engagement gefordert, weil in Carlotta Wamser und Franziska Kett zwei unerfahrene Außenverteidigerinnen gegen zwei der besten Angreiferinnen der Welt nicht alleine verteidigen konnten. Andererseits hatte das deutsche Dreiermittelfeld über weite Strecken der Partie kaum den Ball – und konnte auch keine Zuspiele auf die Außenpositionen geben. Bühls drei Gelegenheiten aus dem Spiel heraus entstanden nicht aus Spielzügen, nicht aus Passfolgen, sondern aus Einzelaktionen.
Die taktische Umstellung vor dem Viertelfinale, eine kreative offensive Mittelfeldspielerin im Sinne der Stabilität herauszunehmen, mag essenziell gewesen sein, um in zwei kampfbetonten Partien mithalten zu können. Sie machte aus der Offensive allerdings eine Art Do-it-yourself-Werkstatt, in der sich jede Stürmerin ihre Chancen selbst erbasteln musste – was der Mannschaft ihre mutige Identität nahm, die vor dem Turnier noch als ihr großer Stolz galt. Leidtragende dieser Entwicklung war unter anderem auch Stürmerin Lea Schüller, die von Zuspielen lebt und nicht von physischen Duellen. Ihre Qualitäten haben zu einer fabelhaften Trefferquote von 54 Toren in 79 Länderspielen geführt, wurden aber gegen Frankreich und Spanien nicht gebraucht.
Eine der wichtigsten Aufgaben für Bundestrainer Christian Wück wird in den kommenden zwei Jahren bis zur nächsten Weltmeisterschaft sein, einen Mittelweg zu finden. Bühl, Brand, Schüller, das sind weiterhin Trümpfe einer deutschen Elf, die gestalterischen Fußball spielen möchte. Bei einer zu defensiven Ausrichtung allerdings werden sie allein gelassen.
„Am Ende ist es der Mix und wie wir uns auf dem Feld am wohlsten fühlen“, sagte Bühl vor einigen Tagen auf einer Pressekonferenz, als es um die Ausrichtung der deutschen Mannschaft ging. Wer sich ihre Europameisterschaftsbilanz ansieht, der erkennt viel Positives in ihrem Dasein als Alleinunterhalterin. Sowie die Tatsache, dass sie sich in Dribblings und in Abschlusssituationen am wohlsten fühlt. Und nicht versteckt unter einem Kapuzenpulli.