Kirchseeoner Vorschläge zur Verkehrsberuhigung: Mit Tempo 30 über die B304 – Ebersberg | ABC-Z
Kirchseeon ist ein „Straßendorf“. So schreibt es Bürgermeister Jan Paeplow (CSU) in einem Brief an Politikerinnen und Politiker von Bund und Land. Paeplow sucht Unterstützer für das Projekt, die Gemeinde von der großen Bundesstraße zu befreien. Das Thema sorgt seit Jahren für Streit in der Gemeinde, doch in einer Sache ist man sich einig: Kirchseeon möchte kein Straßendorf mehr sein.
Der langgezogene Ort schmiegt sich an die B304, wie andere Gemeinden um einen Fluss. Doch, um im Bild zu bleiben, der Fluss wird der Gemeinde zu wild. Täglich rauschen circa 20 000 Fahrzeuge durch den Ort. Emissionen und vor allem der Lärm belasten die Anwohner. „Wenn man sich neben der Straße zu unterhalten versucht, versteht man kaum sein eigenes Wort“, sagt etwa Bettina Moder von den Grünen. Paeplow spricht von einer „gesundheitsgefährdenden Situation“ für die Einwohnerinnen und Einwohner Kirchseeons.
:Bundesstraße wird zur Baustelle
Rund einen Monat lang wird die Fahrbahn der B304 zwischen Kirchseeon und der Einmündung nördlich von Grafing erneuert. Dafür muss die Strecke zeitweise komplett gesperrt werden.
Die Geschichte der Umgehungsstraße ist lang und verstrickt. Verschiedene Varianten waren im Gespräch: eine Südumgehung, eine Nordumgehung oder eine Tunnelunterführung. Ein Tunnel wäre teuer und aufwendig. Gegen Nord- und Südumgehung gibt es Bedenken wegen des Naturschutzes, auch innerhalb der Gemeinde. Vor gut zehn Jahren stimmten die Bürger über die Südumgehung ab. Das Ergebnis war denkbar knapp: Nur 50,44 Prozent der Wählerinnen und Wähler waren für die Ortsumfahrung. Auf das Votum folgten Proteste gegen die geplante Südumgehung.
Um den Prozess in Gang zu bekommen, müsste man eine höhere Bedarfseinstufung im Bundesverkehrswegeplan (BVWP) erwirken als bisher beschlossen. 2016 wurde der BVWP bis 2030 festgesetzt. Kirchseeons Anliegen scheiterte an der Uneinigkeit in der Gemeinde und an falschen Zahlen, meint man im Gemeinderat. Die Umgehung von Kirchseeon ist im BVWP 2030 bloß als „Weiterer Bedarf“ eingestuft. Hoffnung auf Maßnahmen kann mit sich damit nicht machen, darüber ist man sich im Gemeinderat im Klaren.
Im Alleingang zu Volker Wissing
Bürgermeister Jan Paeplow möchte den Stein jetzt wieder ins Rollen bringen, wie er am Montag im Gemeinderat erklärt. „Wir müssen uns einfach mit dem Thema befassen und eine Lösung finden“, sagt er. Der BVWP 2030 ist in trockenen Tüchern. Paeplow möchte deswegen die Umgehungsstraße im BVWP 2040 unterbringen. Dafür hat er fleißig Mails geschrieben: an Ministerien, Politikerinnen und Politiker in Ebersberg, München und Berlin – sogar beim Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) persönlich hat er es versucht. Die Kirchseeoner Gemeinderätinnen und Gemeinderäte sind davon nicht alle begeistert. „Wir hätten uns gewünscht, dass du uns darüber informierst“, sagt etwa Barbara Bittner von der SPD.
Denn mit dem alten Thema kommen auch die alte Uneinigkeiten zurück. Manche Umgehungsvarianten haben nach wie vor viele Gegner in der Gemeinde. Die Grünen möchten dem Vorhaben nicht zustimmen, solange nicht klar ist, um welche Variante es geht. Aus Sicht der Fraktion kommt nur eine Tunnelunterführung oder eine landkreisweite Lösung in Frage. Es brauche einen Weg, hinter dem alle Bürgerinnen und Bürger stehen können, sagt Fraktionssprecherin Natalie Katholing. „Eine Umgehungsstraße ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, erklärt sie die Skepsis der Grünen.
Auch die anderen Fraktionen tun sich schwer mit einer Festlegung auf die Südtrasse für die Umgehungsstraße. Die Erinnerung an die Proteste vor zehn Jahren scheint in Kirchseeon alle umzutreiben. Peter Kohl von der CSU und Barbara Bittner von der SPD wollen von der heiklen Ortsfestlegung deshalb lieber Abstand nehmen. „Wir dürfen die Gemeinde nicht wieder spalten“, meint Katholing weiter.
Am Ende einigt man sich auf einen Beschluss, dem die meisten Gemeinderatsmitglieder zustimmen können. Eine Ortsumgehung soll im BVWP 2040 mit Einsatz aller möglichen Maßnahmen angeregt werden. Ob Nord-, Süd- oder Tunnelvariante kann man auch noch später klären.
Das heißt aber auch: In den kommenden Jahren kommt das große Projekt der Umgehungsstraße sicher nicht voran. Bis in etwa 2040 scheinen die Kirchseeoner mit dem Problem leben zu müssen. Doch im Gemeinderat macht man sich auch über schnellere Lösungen Gedanken.
Drei mittelschnelle Lösungen für das Kirchseeoner Verkehrschaos
Um Lärm und Emissionen in absehbarer Zukunft zu mindern, hat man sich mit zwei Verkehrsplanungsbüros zusammengesetzt. Dabei herausgekommen sind drei Vorschläge, wie man die Verkehrssituation in Kirchseeon noch vor 2040 beeinflussen kann.
Zunächst einmal plant man, die Kreuzung Münchener Straße/B304 in einen Kreisverkehr zu verwandeln – natürlich breit genug, damit auch weiter große Fahrzeuge die B304 passieren können. Der Kreisverkehr soll die Wartezeiten an den Zufahrten verringern, den Verkehr verstetigen und so das Lärm- und Schadstoffaufkommen reduzieren, erklärt Jennifer Haugk vom Planungsbüro Bockermann Fritze. Auch die Fußgängerunterführung soll umgebaut und barrierefrei werden. „Der Blitzer an der Stelle würde sich damit auch erübrigen“, sagt Paeplow und lacht.
Daneben empfiehlt man Tempo 30 innerorts. Auch das soll sich positiv auf die Belastung der Anwohnerinnen und Anwohner auswirken. Beide Vorschläge finden beim Gemeinderat viel Zustimmung, wobei über Tempo 30 auch einige mit den Zähnen knirschen. Bürgermeister Paeplow würde die Begrenzung nachts lieber aussetzen. „Ich würde jeden einladen, mal nachts mit 30 Stundenkilometer von Eglharting nach Kirchseeon zu fahren. Das ist brutal“, sagt auch Peter Kohl von der CSU.
Beiden Vorschlägen ist gemeinsam, dass der Gemeinderate sie gar nicht selber beschließen kann. Lediglich dem Staatlichen Bauamt vorschlagen könne man sie, erklärt Paeplow. Den dritten Vorschlag hingegen kann der Rat aus eigener Kraft beschließen. Das Planungsbüro empfiehlt weiter, die Anzinger Straße abzubinden. Viele Verkehrsteilnehmer benutzen sie, um von anderen großen Bundes- und Landstraßen auf die B304 zu wechseln. An der Zufahrt steht eine Ampel. Hier bilden sich morgens und nachmittags bis zu zwei Kilometer lange Staus. Durch Absperrpfosten soll die Straße abgetrennt werden. Die Ampel wird dadurch überflüssig.
Der Gemeinderat stimmt für alle drei Vorschläge – fast einstimmig. „Bestimmt seit 20 Jahren wird hier im Gemeinderat nach Lösungen gesucht. Ich glaube, wir sollten uns das jetzt einfach mal trauen“, sagt Diana Thalhammer von der SPD. „Ich bin total froh, dass jetzt etwas passiert“, meint auch Barbara Burgmayr-Weigt von der CSU.
Kirchseeon hofft, mit den neuen Lösungen in den nächsten Jahren etwas mehr Ruhe zu finden. Mangels grundsätzlicher Änderungen stellt man sich aber auch die Frage, wohin die Maßnahmen das Verkehrschaos verschieben. „Ich ärgere mich nur: Warum müssen wir als Kirchseeon uns Gedanken über eine Bundesstraße machen“, kommentiert etwa Susanne Markmiller von der FDP die Situation. Den die große Frage, wie die Gemeinden mit dem immer reißenderen Fluss B304 umgehen sollen, stellt sich auch nach den Kirchseeoner Reformen.