Kirchlicher Lehmbau in Traunstein: Dieser Campus wurde aus Erde geboren – Bayern | ABC-Z

Anna Heringer hat auf dem Campus St. Michael im oberbayerischen Traunstein auch Häuser gebaut, das war, ist und bleibt ihre Aufgabe als Architektin. Aber schlicht die jeweils bestellten Gebäude zu errichten, würde weit hinter ihrem eigenen Anspruch zurückbleiben. Heringer will Gemeinschaft stiften, durch ihre Bauten und auch durch das Bauen selbst. Und so hat sie den Campus eben nicht nur geplant, sondern wirklich mit eigenen Händen gestaltet – nicht ganz allein natürlich, sondern gemeinsam mit vielen anderen, die dort leben und arbeiten.
Zusammen haben sie schon vor etlichen Jahren das erste Modell aus Lehm geformt und dabei ihre Bedürfnisse formuliert. Und später haben sie mitgeholfen, die auswärts vorgefertigten Elemente zusammenzufügen, Fugen von insgesamt fünf Kilometern Länge zu verstreichen und den ganzen, in Deutschland bisher einzigartigen Lehmbau mit Leben zu füllen. An diesem Montag hat Kardinal Reinhard Marx den neuen Bildungscampus der katholischen Erzdiözese München und Freising in aller Form eingeweiht.
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Genutzt werden manche der Gebäude schon seit einer ganzen Weile. Das erste, ganz aus Holz konstruierte Gebäude schon seit 2021 von 100 Kindern. Es heißt nicht Kindertagesstätte oder Kindergarten, sondern „Kindergärtnerei St. Oswald“, um Erde und Wachstum zu betonen. Seit einem guten Jahr ist der geradlinige, ebenfalls aus Holz bestehende Neubau in Betrieb, mit dem das Bistum seinem 96 Jahre alten Studienseminar St. Michael eine gute Zukunft geben will.
Das Internat sollte einst Buben vom Land höhere Bildung und am besten die Berufung zum Geistlichen ermöglichen, auch wenn es daheim an Geld fehlte oder schlicht an einer entsprechenden Schule. Auch der junge Josef Ratzinger und nachmalige Papst Benedikt XVI. hat einen Teil seiner Schulzeit hier verbracht. Manche Zöglinge haben in der einstigen katholischen Kaderschmiede körperliche und seelische und manche offenbar auch sexuelle Gewalt erfahren, was das Bistum gerade in einer Missbrauchsstudie aufarbeiten lässt.


Doch die bessere Zukunft hat längst begonnen. 22 Seminaristen leben derzeit im Neubau. Platz wäre für doppelt so viele, und Campus-Leiter und Stiftungsdirektor Wolfgang Dinglreiter zeigt sich zuversichtlich, dass sich das Seminar wieder füllen wird. Es hat sich geöffnet für andere Einrichtungen, für kirchliche wie die Caritas und das Katholische Bildungswerk und für weltliche wie die „Solidarische Landwirtschaft“ im Chiemgau, den örtlichen Kunstverein oder den „Impact Hub Traunstein“, einen Co-Working-Space mit Fokus auf nachhaltigem Wirtschaften.


Anna Heringer hat den mehr als ein Dutzend Kooperationspartnern einen gemeinsamen Campus entworfen, mit dem ersten frei tragenden Lehmbau Deutschlands als Herz in der Mitte. Die Idee, den Lehm dafür direkt in Traunstein zu stampfen, ließ sich aus Mangel an einer passenden Halle nicht realisieren, sagt Heringer. Deswegen wurden große Blöcke in Vorarlberg bei Martin Rauch vorgefertigt, der seit Jahrzehnten als Lehmbau-Pionier im deutschen Sprachraum unterwegs ist und an praktisch allen größeren Projekten mit dem Baustoff beteiligt war.
Die 48-jährige Architektin Anna Heringer kommt aus der oberbayerischen Kleinstadt Laufen, hat in Deutschland vor St. Michael bisher aber nur einen Altar im Dom zu Worms gestaltet – aus Lehm und gemeinsam mit den dortigen Gläubigen. Die meisten Projekte hat Heringer bisher „im globalen Süden“ verwirklicht, wie sie selbst sagt. Für das Abschlussprojekt ihres Studiums, eine Schule in Rudrapur in Bangladesch, erhielt sie 2007 gleich den Aga-Kahn-Award, den wichtigsten Architekturpreis in der islamischen Welt. Später kamen etwa ein Kindergarten in Simbabwe oder ein Hostel in China hinzu, stets aus natürlichen, lokalen Baustoffen und mit viel lokaler Handarbeit errichtet. Heringer nahm an der Biennale in Venedig teil und unterrichtet ihre Lehmbautechnik unter anderem in Zürich, Madrid, München und Harvard.

Doch der Campus St. Michael im heimatlichen Traunstein ist für sie nach eigenen Worten ein besonders emotionales Projekt. Ihr Entwurf löst die strenge, kreuzförmige Rechtwinkligkeit auf in erdwarme, organische Formen. Ein Dachgarten schlängelt sich über klösterlich inspirierte Innenhöfe und soll die Fülle der Schöpfung feiern und jene „Schöpfungsspiritualität“ atmen, der Heringer und ihre Auftraggeber sich verpflichtet fühlen. Die Kirche, sagt Heringer, müsse da ein Vorbild sein, auf das man in der ganzen Welt schaue.
Das Bistum wird sich das ganze Projekt, zu dem die noch ausstehende Sanierung des Altbaus unter anderem für das Katholische Bildungswerk zählt, mehr als 57 Millionen Euro kosten lassen. Stahl und Beton wären scheinbar billiger gewesen, sagt Heringer, doch da herrsche keine Kostenwahrheit. Denn die Kosten für den gigantischen Energieverbrauch eines solchen Bauens und die Folgen für das weltweite Klima trügen die ganze Weltgemeinschaft und die kommenden Generationen. Der Lehm von St. Michael jedoch könnte eines Tages, wenn er in dieser Form irgendwann nicht mehr gebraucht wird, wieder eins mit dem Baugrund werden.





















