Berlin

Kinder ohne Schwimmabzeichen: Seepferdchen werden zur gefährdeten Art | ABC-Z

BERLIN taz | „Komisch, irgendwie freuen sich alle so“, sagt die Achtjährige. Sie hat kurz vor den Sommerferien noch ihr Schwimmabzeichen in Bronze geschafft und ist überrascht über die vielen Glückwünsche. „Wir freuen uns, weil es dann für dich weniger gefährlich im Wasser ist“, sagt ihr die Oma am Telefon. „Ach so. Ich freu mich auch“, antwortet die Achtjährige. „Dann darf ich ab jetzt allein ins Wasser, wenn niemand Lust hat, mitzukommen.“

Wie gut und sicher ein Kind schwimmen kann, hängt in Berlin allerdings stark vom Wohnort ab. In Neukölln und Lichtenberg etwa konnten zum Ende des vorherigen Schuljahrs zwei von drei Dritt­kläss­le­r*in­nen nicht sicher schwimmen. Sie hatten höchstens das Seepferdchen als Abzeichen erworben, das sie als Schwimm­an­fän­ge­r*in­nen ausweist.

Jedes dritte Kind in der Altersgruppe hatte in den beiden Bezirken gar kein Abzeichen und gilt somit als Nichtschwimmer*in. Das zeigen die Antworten der Senatsverwaltung für Bildung auf Anfragen der Linken-Fraktion. Beide Bezirke liegen damit weit unter dem Berliner Durchschnitt. Landesweit gilt jedes vierte Kind am Ende des schulischen Schwimmunterrichts als Nichtschwimmer. Lichtenberg und Neukölln sind damit die beiden Bezirke, in denen die Schwimmfähigkeit zuletzt stark zurückging.

Dabei hatten sich die Zahlen nach einem krassen Einbruch in der Coronazeit in ganz Berlin verbessert. Auch in den beiden Bezirken lagen zum Ende des Schuljahres 2022/23 Dritt­kläss­le­r*in­nen nicht weit vom Berliner Durchschnitt entfernt, aber im Folgejahr stiegen die Zahlen (s. Grafik).

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Ausfallender Unterricht

„In den vergangenen Jahren haben in Berlin mehrere Bäder geschlossen“, sagt Phi­lipp Dehne, bildungspolitischer Sprecher der Linksfraktion in der Neuköllner BVV. „Das führt zu weniger Wasserzeit und schlechteren Bedingungen für den Schwimmunterricht. Die Ergebnisse sehen wir jetzt.“ Er höre vermehrt von Eltern in Neukölln, dass der Schwimmunterricht ausfalle. Zahlen gibt es nicht, da die Senatsverwaltung Unterrichtsausfall nicht nach Fächern erfasst.

Für Dehne zeigt sich hier Bildungsungerechtigkeit: „Während Kinder aus besser gestellten Familien häufig schon vor der Einschulung schwimmen können, sind Kinder aus ärmeren Familien auf den Schwimmunterricht in der dritten Klasse angewiesen“, sagt er. Doch es sei bereits jetzt absehbar, dass sich die Situation in Neukölln noch verschlechtere.

Denn wie die Kinder zum Schwimmunterricht kommen, das organisieren die bezirklichen Schulämter. In der Regel bringt ein extra bereitgestellter Bus die Dritt­kläss­le­r*in­nen von der Schule zum Schwimmbad. In einem Brief an die Schulleitungen zum Schuljahresende in der vergangenen Woche teilte nun allerdings der Bezirk Neukölln den Schulleitungen mit, dass er diese Busse ab August nicht mehr beauftragen wird. Der Bezirk sieht sich zu Einsparungen gezwungen.

Kein Schulbus zum Schwimmbad

Die Schü­le­r*in­nen sollen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Schwimmbad fahren – höchstens für Schü­le­r*in­nen mit sonderpädagogischem Förderbedarf stünden noch „geringe Mittel“ zur Verfügung. Dass die Busse nicht mehr fahren, hat noch mehr Auswirkungen auf den Schulalltag. Denn es ist absehbar, dass die Schulen Leh­re­r*in­nen als zusätzliche Aufsichtspersonen mitschicken müssen, die dann wiederum an der Schule für den Unterricht fehlen.

Der Bezirk Pankow hatte bereits vor den Sommerferien im laufenden Unterrichtsjahr die Busse gekürzt. Laut Berichten des Tagesspiegels hatten Grundschulen Eltern daraufhin aufgefordert, die Leh­re­r*in­nen und Er­zie­he­r*in­nen auf dem Weg in die Schwimmbäder zu unterstützen.

Der Bezirk Lichtenberg befördert aktuell Kinder, deren Schulen sich in zu großer Entfernung zur Schwimmhalle befinden, mit Bussen zum Schwimmunterricht. Dies betrifft laut einer Sprecherin nicht alle Lichtenberger Schulen. Auch im kommenden Schuljahr wird es für Schulen, die die Entfernung zur Schwimmhalle nicht auf anderen Wegen zurücklegen können, eine Beförderung mit Bussen geben. Allerdings habe der Bezirk für einige Schulen nun eine Anfahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln als zumutbar eingestuft. An diesen Schulen werde die Beförderung zum Schwimmen ab dem kommenden Schuljahr enfallen.

Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie erhebt seit 2023 jeweils zum Schuljahresende, ob und wie gut die Dritt­kläss­le­r*in­nen schwimmen können. Den Zeitpunkt nach der dritten Klasse hat die Verwaltung nach eigener Angabe gewählt, weil das die Stufe ist, in der die Schü­le­r*in­nen obligatorisch am Schwimmunterricht teilnehmen. In den Jahren danach findet kein obligatorischer Schwimmunterricht mehr statt. Für das gerade zu Ende gegangene Schuljahr sollen die Ergebnisse Ende August vorliegen.

Ausgebuchte Schwimmkurse

Aus Sicht des Senats sollen die Nicht­schwim­me­r*in­nen das Schwimmen über die Intensivkurse lernen, die der Landessportbund in den Ferien anbietet. Diese Kurse seien in den vergangenen Jahren „sukzessive aufgestockt“ worden. Tatsächlich sind sie sehr beliebt und oft schnell ausgebucht. Aktuell gibt es nur noch Plätze in der letzten Ferienwoche in Marzahn-Hellersdorf. Eine Übersicht der Senatsverwaltung zeigt allerdings auch, dass die Kapazitäten für die Intensivkurse ausgerechnet in Lichtenberg und Neukölln zurückgegangen sind.

Wie viele Schü­le­r*in­nen am Ende der Grundschulzeit schwimmen können, ermittelt der Senat nicht. Dehne fordert, diese Zahl zu erfassen, denn Schwimmfähigkeit sei eines der Bildungsziele der Grundschule. „Es wäre sinnvoll, dass alle Nicht­schwim­me­r*in­nen nach der dritten Klasse weiter über die Schulen am Schwimm­unterricht teilnehmen“, fordert er. „Und Neukölln darf den Schwimmbus nicht kürzen.“

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