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Kinder fragen Kanzlerkandidaten: Merz: „Wenn Ihr auf dem Schulhof einen Rowdy habt“ | ABC-Z

Im Duell-Marathon vor der Wahl stellen sich Kanzler Olaf Scholz und Herausforderer Friedrich Merz bei Sat.1 den Fragen von Kindern – und zeigen, wie wohltuend gelassen sie ihre Politik erklären können.

„Er hat die Aktentasche dabei!“, ruft ein Mädchen, als der Bundeskanzler über den Schulhof läuft. Dank Social Media ist die Tasche aus frühen Anwaltstagen in mancher Altersgruppe ja mindestens so bekannt wie Olaf Scholz selbst. Auf dem Hof jubeln ihm Kinder zu, im Einspielfilm schätzt ein Mädchen den 66-Jährigen kurz darauf auf 28. So schön kann Wahlkampf sein.

Mitte Januar haben sich Scholz und sein Unions-Herausforderer Friedrich Merz für das Sat.1-Format „Kannste (nochmal) Kanzler?“ in einer Berliner Schule mit 18 Kindern zwischen 7 und 14 Jahren getroffen, die aus ganz Deutschland stammen. Entstanden ist kein direktes TV-Duell, denn beide kamen getrennt und einen Tag versetzt voneinander. Auch für Merz ist der Empfang schmeichelhaft, der 69-Jährige wird immerhin auf 38 geschätzt. Nicht die einzige Fehldiagnose: „Ich glaube, die sind gute Freunde“, sagt ein Junge beim Anblick eines gemeinsamen Fotos von Merz und Angela Merkel.

Ganz so harmlos bleibt es nicht. Ein Schüler sagt im Vorlauf, wenn so viel schieflaufe in der Welt, warum mache niemand etwas dagegen? Damit spricht er wohl auch vielen Erwachsenen aus der Seele. Ein Mädchen hat seine Familie in Weißrussland lange nicht gesehen, ein Junge mit einem ukrainischen Elternteil sorgt sich um die Verwandtschaft im vom Krieg gebeutelten Land. Eine Schülerin erzählt, wie schwierig es gewesen sei, eine neue Wohnung zu finden. Ein Junge sagt, sein Vater finde keine Mitarbeiter in der Gastronomie.

Scholz würde Ampel früher beenden

„Wenn man Kanzler werden will, macht man das nicht, weil man Lust darauf hat, sondern weil man was tun will für das Land“, antwortet Scholz in seinem eigenen Duktus auf die Einstiegsfrage, warum er seine Kanzlerschaft fortsetzen wolle. Danach gefragt, was er in der Ampel-Zeit rückblickend anders machen würde, sagt er: „Es wäre gut gewesen, die Regierung sogar etwas früher zu beenden.“

Eine Schülerin konfrontiert Merz zur Begrüßung mit seiner mangelnden Regierungserfahrung. Wieso er denn auf Anhieb Kanzler werden wolle, ohne Minister oder Bürgermeister gewesen zu sein? „Ich bringe beides mit: Erfahrungen in der Politik und Erfahrungen in der Wirtschaft“, sagt Merz. Damit unterscheide er sich von anderen Politikern. Warum er besser geeignet sei als Scholz? „Wir brauchen eine Regierung, die aufhört zu streiten“, sagt der CDU-Chef, der die Kinder einbezieht: „Für Eure Generation möchte ich, dass es Euch später so gut geht wie uns.“

Ob die Fragen von der Redaktion oder tatsächlich den Kindern kommen, spielt eigentlich keine Rolle. Spannender ist, wie die Politprofis reagieren, wenn ihnen keine routinierten Moderatoren gegenüber sitzen, sondern Kinder aus den ersten neun Klassenstufen. Die Atmosphäre ist entspannter, beide Kandidaten lassen sich duzen, sprechen ruhiger, weniger forsch.

Scholz muss die Schuldenbremse erklären

Scholz lächelt freundlich, kann den Scholzomat aber nicht ablegen. Auf die Frage, ob er die Wehrpflicht einführen wolle, antwortet er: „Wir haben ja in unserer Verfassung, im Grundgesetz, die Möglichkeit, dass man einen Wehrdienst machen kann. Und wir haben das irgendwann beendet – ich war gar nicht so sehr dafür -, weil wir gesagt haben, wir haben gar nicht mehr genug Stellen, genug Nachfrage nach Wehrpflichtigen, sodass ganz viele gar nicht dran gekommen sind, einige andere aber doch.“ Wer jetzt als Erwachsener schon ausgestiegen ist, kann den Kindern ihre müden Blicke kaum verübeln.

Scholz bekommt 60 Sekunden Zeit, um den Begriff Schuldenbremse zu erklären. Das bedeute, „mit dem Geld, das eingenommen wird, zurechtkommen“, versucht er eine Beschreibung. Die Gelegenheit, einen Vergleich zum Taschengeld zu ziehen, lässt er verstreichen. Nach dem Hinweis, er dürfe etwas an die Tafel malen, schreibt er stattdessen nur „Einnahmen“ und „Ausgaben“ auf. Die Kinder gucken etwas ratlos, halten dann trotzdem überwiegend grüne Kellen hoch: bestanden!

Merz profitiert von Erfahrung als dreifacher Vater

Merz stellt sich bei der Beantwortung nicht besser an. Er malt Striche und eine sehr hohe Zahl an die Tafel. „Können Sie bitte erklären, was Sie gerade machen?“, bittet ein Schüler. Es soll eine Bremsscheibe sein. Es gehen mehr rote Kellen nach oben, aber auch einige grüne. „Mit dem Ergebnis bin ich ganz zufrieden“, sagt Merz, der dann, als die Zeit längst abgelaufen ist, noch erklärt: „Wir machen schon ziemlich viele Schulden. Geld, das Ihr mal zurückzahlen müsst.“ Eine Reform der Schuldenbremse sei aber nicht ausgeschlossen: „Einverstanden?“

Mit dieser Frage bindet Merz die meisten seiner Antworten ab. Ein netter Versuch, die Kinder auf seine Seite zu ziehen, bemerkt einer der Schüler später. Insgesamt tritt Merz zugewandter auf, stellt Augenhöhe her. Warum Politiker häufig nicht so nett miteinander umgehen würden, fragt ein Mädchen. „In der Politik geht’s manchmal härter zu. Kennt Ihr aus der Schule.“ Als er Steuern erklärt, nutzt Merz den Taschengeld-Vergleich, den Scholz verpasst hat.

Der CDU-Vorsitzende guckt auf die Namensschilder, um die Kinder direkt ansprechen zu können. Er stellt Rückfragen: „Wo kommst du her?“, „Was willst du denn mal machen?“ Im Vergleich zu Scholz fehlt es ihm an Regierungserfahrung, hier im Klassenzimmer profitiert er von seiner Übung als dreifacher Vater und siebenfacher Großvater.

„Regieren mit keinem von beiden“

„Manche Menschen denken ja, dass du ein bisschen steif bist“, sagt ein Mädchen zu Scholz. Er soll seine Mimik antworten lassen: Wie guckt er, wenn er noch mal Kanzler wird, eine Million gewinnt, gegen Merz verliert? Als er gucken soll, als müsse er mit der AfD zusammenarbeiten, lehnt Scholz ab. Merz hält sich bei dieser Frage die Hände vor die Augen.

Während kaum ein Polittalk ohne Ja-Nein-Fragen auskommt, die aufgrund der thematischen Komplexität fast nie mit Ja oder Nein beantwortet werden können, probieren es die Schülerinnen und Schüler mit Vorlieben: Grüne oder Linke? „Grüne“, antworten beide Kandidaten. Lindner oder Merz? „Na ja, weiß ich nicht“, sagt Scholz. Scholz oder Habeck? Merz pustet. „Bier trinken eher mit Robert Habeck, regieren am besten mit keinem von beiden.“

Eine clevere Pointe an zwei Machtmenschen liefert die Frage, ob sie auf ihre politische Karriere verzichten würden, wenn dafür die AfD von der Regierung ferngehalten würde. „Dann ist es ja besser, wenn die AfD nicht an die Macht kommt. Die AfD wäre das Schlimmste für das Land“, antwortet Scholz. Auch Merz wolle in diesem hypothetischen Fall verzichten: „Wenn ich vor der Wahl stünde, würde ich aufgeben und dafür sorgen, dass die AfD nicht an die Macht kommt.“

Genervt über die „kleinen Paschas“

Die Besuche wurden Mitte Januar aufgezeichnet, vor der umstrittenen Abstimmung der Union mit der AfD zu Migrationsfragen im Bundestag. „Ich will mit diesen Leuten nichts zu tun haben“, sagt Merz an anderer Stelle. Die AfD gefährde die Demokratie. Eine Zusammenarbeit sei ausgeschlossen: „Ich werde alles tun, um das zu verhindern.“

Ein in Deutschland geborener Schüler mit syrischen Eltern will wissen, ob Merz auch ihn gemeint habe, als er von „kleinen Paschas“ gesprochen habe. Es ist der eine Moment, in dem der CDU-Chef kurz ungehalten wirkt – genervt über seinen eigenen Fehler? „Familien, die hier sind und arbeiten, die brauchen wir und die wollen wir hier“, sagt Merz.

Er habe aber schon AfD-Positionen angenommen, hakt der Junge nach. „Ganz sicher nicht, ich rede nicht von Remigration.“ Kritisch sehe man diejenigen, die sich nicht integrieren wollten oder Antisemitismus verbreiteten. „Die Probleme haben wir leider, aber das sind nicht Leute wie du.“ Merz erzählt von einem Besuch in einer jüdischen Schule und bietet dem Jungen an, ihn dorthin zu begleiten, um zu hören, was die jüdischen Kinder über antisemitische Anfeindungen erzählen würden.

Verzicht auf die übliche Härte

Scholz betont beim Thema Migration das große Verdienst von eingewanderten Menschen. „Wir brauchen auch in Zukunft Frauen und Männer aus dem Ausland, die mit anpacken.“ Es gebe aber Leute, die Probleme machten. „Mit denen muss man sich auseinandersetzen.“ Ein Junge fragt, ob er abgeschoben werde, wenn seine Eltern eine Straftat begingen. „Hängt sehr davon ab, was das für eine Straftat ist“, antwortet der Kanzler etwas ungelenk.

Die Antworten der Kandidaten zum Taurus oder Bürgergeld unterscheiden sich inhaltlich nicht von anderen ihrer Auftritte, vor den Kindern verzichten aber beide auf die sonst übliche Härte. „Wir haben im letzten Jahr mehr getan als Großbritannien und Frankreich zusammen“, sagt Scholz zur Ukraine-Hilfe. Merz zieht einen Vergleich zu Wladimir Putin: „Wenn Ihr auf dem Schulhof einen Rowdy habt, der an jeder Ecke eine Schlägerei anfängt, dem muss man irgendwann mal Einhalt gebieten.“

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