Kickl, Nehammer und van der Bellen: Diese Koalitionen sind nach dem Rechtsruck möglich | ABC-Z
Österreich nach der Wahl
Koalitionsrechner: Wer mit wem in Wien?
30.09.2024, 11:53 Uhr
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Am Morgen nach der Wahl sieht sich Österreich mit einer schwierigen Regierungsbildung konfrontiert: FPÖ-Chef Kickl steht als Wahlgewinner ohne eigene Mehrheit da. Die unterlegenen Konservativen könnten den Regierungsauftrag erhalten. Welche Koalitionsoptionen wären für ÖVP-Chef Nehammer möglich?
Österreich hat gewählt: Bei der Nationalratswahl am 29. September feiert die rechtspopulistische “Freiheitliche Partei Österreichs” (FPÖ) einen klaren Wahlsieg. Mit einem Ergebnis von 29,2 Prozent der Stimmen stellt die FPÖ erstmals in der Geschichte der Alpenrepublik die stärkste Kraft im Nationalrat. Die konservative “Österreichischen Volkspartei” (ÖVP) mit Kanzler Karl Nehammer wurde mit 26,5 Prozent nur zweitstärkste Kraft.
FPÖ-Spitzenkandidat Herbert Kickl hat dennoch kaum Chancen, in Österreich künftig die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Das rechte Lager steht im Parlament trotz kräftiger Zuwächse ohne tragfähige Mehrheit da. Der Auftrag zur Regierungsbildung dürfte daher an den bisher amtierenden Kanzler und ÖVP-Chef Nehammer gehen, der allerdings mit starken Einbußen bei der Wahl im Rücken eine neue Koalition schmieden müsste. Welche Wege stehen offen? Der ntv.de Koalitionsrechner zeigt alle rein rechnerisch möglichen Bündnisse im Überblick:
Die Nationalratswahl schafft in der österreichischen Landeshauptstadt Wien neue Machtverhältnisse: Bei der Sitzverteilung erhält die FPÖ laut vorläufigem amtlichen Endergebnis 58 Mandate, die ÖVP 52 und die SPÖ 41. Die liberale Plattform NEOS kommt als neue viertstärkste Kraft im Parlament auf 17 Sitze, die Grünen müssen sich künftig mit 15 Mandaten begnügen. Die übrigen bei der Wahl angetretenen Parteien haben den Einzug ins Landesparlament verpasst.
Welche Partei in Österreich künftig den Kanzler stellt, ist noch offen. Sicher ist nur, dass das bisher amtierende türkis-grüne Regierungsbündnis aus Konservativen und Grünen unter Kanzler Nehammer nicht fortgesetzt werden kann. Nehammers ÖVP und die Grünen erreichen gemeinsam nur noch 67 der 183 Sitze. Die entscheidende Schwelle zur Mehrheit liegt bei 92 Sitzen.
Eine Koalition aus Rechten und Konservativen mit “Volkskanzler” Kickl an der Spitze ist wenig wahrscheinlich. Im Wahlkampf hatte ÖVP-Chef Nehammer eine Zusammenarbeit mit FPÖ-Chef Kickl mehrfach ausdrücklich ausgeschlossen. Eine Zusammenarbeit zwischen Rechten und Sozialdemokraten wäre rein rechnerisch möglich, ist aber angesichts der teils extremen Positionen der “Freiheitlichen” höchst unrealistisch.
Wahlgewinner Kickl erhob noch am Wahlabend demonstrativ Anspruch auf die Regierungsbildung, ohne der Öffentlichkeit aber näher erklären zu können, welche Partei für sein Vorhaben in Betracht käme. Der auf der Bühne erfahrene Politiker, der in der Vergangenheit mit zahlreichen Tabubrüchen und generell extremen Positionen auf sich aufmerksam machte, blieb bemerkenswert vage: Die “anderen Parteien”, so Kickl, müssten die Frage beantworten, “wie sie es mit der Demokratie haben”, sagte er mit Blick auf seinen Wahlsieg und auf Nehammers Absage an ein Regierungsbündnis unter Kickls Führung.
Der Auftrag zur Regierungsbildung wird laut österreichischer Verfassung nach der Wahl vom amtierenden Bundespräsidenten vergeben. Amtsinhaber Alexander van der Bellen – ein früherer Grünen-Politiker – ist dabei formell frei in seiner Entscheidung. Der direkt gewählte Staatschef ist nicht verpflichtet, dem Vertreter der größten Fraktion im Nationalrat den Vorzug zu geben. Damit könnte durchaus ÖVP-Chef Nehammer als Vertreter der zweitstärksten Fraktion zum Zug kommen.
Auf Basis der vorliegenden Zahlen hätten rein rechnerisch nicht nur FPÖ und ÖVP sowie FPÖ und SPÖ gemeinsam eine Mehrheit im Nationalrat, sondern auch Konservative und Sozialdemokraten. Eine solche Zweierkoalition aus ÖVP und SPÖ könnte sich allerdings nur auf eine denkbar knappe Mehrheit von 93 Mandaten stützen – eine einzelne Stimme über der erforderlichen Schwelle.
Gemeinsam mit einem dritten Koalitionspartner käme Nehammers ÖVP und die SPÖ dagegen auf eine komfortable Grundlage zur Bildung einer neuen Regierung. Möglich wäre etwa eine Dreier-Koalition mit den Grünen oder mit den österreichischen Liberalen.
Eine Dreier-Koalition mit den Grünen böte Kickl und der FPÖ eine offene Flanke: Drei Parteien, die bei der Wahl allesamt in unterschiedlichen Ausmaßen Stimmen eingebüßt haben, hätten es wohl argumentativ nicht einfach, sich gegen naheliegende populistische Attacken zu verteidigen. Anders könnte das aus Nehammers Sicht mit der neuen viertstärksten Kraft aussehen: Die Liberalen positionierten sich bereits im Wahlkampf als reformwillige Kraft und werben offen für eine Dreier-Koalition mit ÖVP und SPÖ. “Wir sind bereit”, erklärte NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger am Wahlabend. “Ohne uns wird sich nichts ändern.”