Politik

Kevin Kühnerts Lehren für das BKA – Politik | ABC-Z

Er habe so viele Monate nicht mehr am Redepult gestanden, sagt Kevin Kühnert, nachdem er auf die Bühne gekommen ist, für ihn sei das nun „ein bisschen ungewohnt“. Man hat den früheren Generalsekretär, der als großes Redetalent der SPD galt, lange nicht gesehen seit seinem überraschenden Rückzug aus der aktiven Politik, gut ein Jahr ist das jetzt her. An diesem Donnerstag auf der Bühne aber wirkt er schnell, wie man ihn lange kannte. Nicht nur äußerlich mit seinem schwarzen Jackett über schwarzem Pullover, er redet auch wie gewohnt, frei, klar, fast druckreif.

Ein großer Saal mitten in Wiesbaden, das Bundeskriminalamt (BKA) hat zu seiner Herbsttagung geladen, eine große Versammlung von Politikern, Spitzenbeamten und Fachleuten, die mit der Sicherheit im Land befasst sind, „Demokratie unter Druck“ lautet die Überschrift. BKA-Präsident Holger Münch tritt auf, Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU), sein Vorvorgänger Thomas de Maizière (CDU) – und Kevin Kühnert.

Dass Kühnert ausgerechnet beim BKA auf die Bühne zurückkehrt, hat mit seiner Geschichte zu tun. Kühnert begründete seinen Rückzug damals, im Oktober vergangenen Jahres, mit gesundheitlichen Problemen. Später machte er klar, dass der Hintergrund seiner Entscheidung auch die zunehmenden Anfeindungen und Drohungen gegen ihn gewesen seien, er habe sich nicht mehr sicher gefühlt. Es habe auch zu tun gehabt „mit dem Erleben, dass sich das gesellschaftliche Klima“ auch gegenüber Politikern geändert habe, wie Kühnert es in Wiesbaden formuliert.

Ein Drittel der befragten Amtsträger berichtet von Anfeindungen

Das ist sehr zurückhaltend ausgedrückt für die tausendfachen Beleidigungen, Bedrohungen und körperlichen Angriffe, die Mandatsträger quer durch die Parteien erleben, Tendenz steigend. Unten im Foyer des Tagungszentrums kann man es an einem der Stände nachlesen anhand einer Studie auf lokaler Ebene, an der unter anderem das BKA und der Deutsche Städtetag beteiligt waren. Gut ein Drittel der befragten Amtsträgerinnen und Amtsträger berichteten von Anfeindungen zwischen Mai und Oktober 2024, dem Jahr der Europawahl und mehrerer Landtagswahlen. 81 Prozent der Betroffenen leiden demnach aufgrund der Anfeindungen an physischen oder psychischen Folgen.

Kühnert sagt, er wolle die Zuhörer nicht langweilen mit dem, was er erlebt habe. Ein paar Schlussfolgerungen habe er aber schon anzubieten. Es könne nicht in erster Linie darum gehen, Zehntausende Mandatsträger im Land zu schützen, das sei kaum zu leisten. Und es sei eine „Pervertierung“ der Demokratie, wenn Politikerinnen und Politiker nur noch von Personenschützern umrahmt mit Bürgern über deren teils sehr persönliche Anliegen sprechen könnten. „Ich habe im Bundestagswahlkampf 2021 an 50 000 Haustüren geklingelt“, sagt Kühnert. Das könne man nicht „im Umfeld einer Sicherheitsarchitektur machen, die dann im Hausflur steht“.

Der frühere SPD-Generalsekretär sieht das gesellschaftliche Klima in Deutschland auf dem gleichen Weg wie in den USA, immer tiefer hinein in die Polarisierung und Gewaltbereitschaft gegenüber politischen Gegnern. „Welche rationalen Argumente sprechen für einen deutschen Sonderweg? Ich sehe keine“, sagt Kühnert. Die versammelte Sicherheitsgemeinde müsse sich fragen, ob sie die Kultur und die Möglichkeit habe, Angriffe auf die Demokratie abzuwehren. Lese und analysiere sie die Veröffentlichungen dieser Gruppen? Kenne man deren Strategie?

Zur Veranschaulichung dient Kühnert die AfD. Die Partei, die in ostdeutschen Ländern in Umfragen auf Platz eins liegt und hofft, dort kommendes Jahr einen Ministerpräsidenten stellen zu können, fordere den Aufbau von „Sondereinheiten“ der Polizei, die in städtischen Brennpunktvierteln zum Einsatz kommen solle. Ein Szenario, das an die USA unter Donald Trump erinnert, der die Nationalgarde in einzelne Städte schickt und die Einwanderungsbehörde flächendeckend Razzien gegen Migranten ohne Aufenthaltstitel durchziehen lässt. Man müsse, sagt Kühnert, sich „besser vorbereiten“.

Es ist ein Thema, das BKA-Präsident Holger Münch ebenfalls umtreibt, aus Behördensicht. Münch fordert nicht nur ein stärkeres Vorgehen gegen polarisierende Desinformation durch Extremisten und Mächte von außen wie russische Akteure sowie eine Durchsetzung des Rechts in den sozialen Medien. Der BKA-Chef will, dass auch die Mitarbeiter seines Hauses fest verankert sind in demokratischen Werten. Er hat einen Wertekanon erarbeiten lassen, zu dem Begriffe wie „Gleichbehandlung“, „Transparenz“ und „Fürsorge“ zählen, Veranstaltungen, Fortbildungen sowie eigene „Wertepaten“ sollen dies vermitteln. Skandale, wie man sie in Polizeidienststellen durch rassistische Äußerungen gesehen hat, will Münch offenbar verhindern. „Wir stehen unter einer sehr großen Beobachtung“, sagt er. Der nächste Skandal, das gilt auch für das BKA, ist nur einen Extremisten-Post entfernt.

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