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Keine Schleppen, aber Selfies mit Tom Cruise | ABC-Z

Es gibt Dinge, die darf nur Tom Cruise. Selfies machen auf dem roten Teppich zum Beispiel. Das Filmfestival von Cannes ist für seinen strikten Regelkatalog bekannt. Auf dem Weg in den Festivalpalast stehen bleiben und auf den steilen Stufen in Richtung Kinosaal ein Erinnerungsfoto knipsen, das gehört zu den verbotenen Dingen – seit diesem Jahr gesellen sich noch ein paar andere Untersagungen hinzu, aber dazu gleich. Die Schnappschüsse jedenfalls bezeichnete Festivalleiter Thierry Frémaux vor ein paar Jahren als „lächerlich und grotesk“. Außerdem, und das ist hier der viel wichtigere Grund, verhindern Selfieaufnahmen einen schnellen und reibungslosen Ablauf der Gala. Denn was das französische Filmfest mit einer Schweizer Uhr gemein hat, ist die Pünktlichkeit.

Um das zu verdeutlichen: In Cannes feiern jeden Tag Dutzende Filme ihre Premiere, der größte Saal des Festivalpalastes ist den Wettbewerbsbeiträgen und besonders wichtigen Filmemachern vorbehalten – das heißt, vom Nachmittag an müssen für drei bis vier Galapremieren mehrmals rund tausend Gäste in das Gebäude hinein- und nach der Vorstellung wieder hinausgeschleust werden. Für Trödelei bleibt keine Zeit, Ausnahmen bei den strikten Regeln gibt es nicht – es sei denn, man heißt eben Tom Cruise, bringt den größten Hollywood-Blockbuster des Frühjahrs mit und hat obendrein die gesamte hochkarätige Darstellerriege im Schlepptau.

Tom Cruise kann sich alles erlauben

So lächelte Cruise auf dem Weg zur Premiere von „Mission: Impossible – The Final Reckoning“, dem achten und vorerst letzten Teil der Filmreihe, also neben seinen Schauspielkollegen Simon Pegg, Angela Bassett, Pom Klementieff, Hannah Waddingham, Esai Morales, Greg Tarzan Davis und Regisseur Christopher McQuarrie in die Smartphone-Kamera.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Wie sehr die Fans Cruise lieben, durfte man an der Croisette schon einige Tage vor dem Galaabend beobachten. Auf Social Media kursierten angebliche (und echte) Sichtungen des Hollywoodstars. Ein Lookalike fuhr mit einem Motorrad entlang der Promenade, an der sich die Luxushotels wie weiße Perlen auf einer Kette reihen, und hoffte wahrscheinlich, den ein oder anderen der Paparazzi in die Irre führen zu können.

Der echte Cruise tauchte dann überraschend bei der Master Class seines Regisseurs McQuarrie auf. Der Sauerstoffgehalt im Kinosaal fiel kurz ab, als Hunderte Besucher nach Luft schnappten, weil niemand hier mit dem Star gerechnet hatte. Cruise zeigte nicht nur, wie elegante Ton-in-Ton-Kombination funktioniert: Zum bordeauxfarbenen Strickpolo hatte er eine passende Hose, Socken in der gleichen Farbe und ochsenblutdunkle Slipper an den Füßen. Er bewies auch, dass er das Spiel mit den Medien wie kaum ein anderer beherrscht. Warum eine Pressekonferenz oder Interviews geben, wenn man mit einer halben Stunde inhaltlichem Gespräch vor Fans deutlich mehr Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken generieren kann?

Robert De Niro hielt eine politische Rede - und die Hand seiner Freundin Tiffany Chen
Robert De Niro hielt eine politische Rede – und die Hand seiner Freundin Tiffany ChenScott Garfitt/Invision/AP

Gemeinsam mit McQuarrie gab er also Anekdoten vom Dreh zum Besten. So erzählte der Regisseur: „Ich habe Tom ein Tiktok-Video gezeigt, zum Spaß. Und er sagte sofort: Das kann ich machen.“ Ob es sich dabei um das Tauchen durch ein U-Boot handelte, das während des Drehs zu rollen beginnt, oder um die spektakulären Stunts auf den Flügeln eines Doppeldeckers, die ebenfalls im Film vorkommen, das ließ McQuarrie offen. Sein Hauptdarsteller, der berühmt dafür ist, jede Actionszene selbst zu drehen, erzählte von den Hindernissen, die einem Kreativen selbst in seiner Position in den Weg gelegt würden, und gab ans Publikum gewandt den Rat: „Leute denken sich Millionen Begründungen aus, warum man etwas nicht machen sollte. Ich habe immer gesagt: Es ist besser, wenn man etwas versucht, als herumzusitzen und zu zaudern. Wenn man Filme macht, wenn man kreativ ist, dann macht man weiter, fragt nicht um Erlaubnis, sondern zieht das einfach durch. Man darf niemals darauf warten, dass sich die perfekte Situation einstellt. Das Leben ist nicht perfekt, Leute sind nicht perfekt, Filmemachen ist nicht perfekt – aber wenn man etwas will, muss man es tun und durchziehen, wieder und wieder und wieder. Keep creating.“

Keine Nacktheit, keine Schleppe!

Während Cruise etwas später am Mittwochabend den Erfolg seiner Beharrlichkeit auf dem roten Teppich feierte und Regisseur McQuarrie den Moment mit einem Selfie festhielt, hatte die deutsche Regisseurin Mascha Schilinski mit ihrem Filmteam bereits ihre Premiere hinter sich. Ihr Werk „In die Sonne schauen“ hatte am Nachmittag den Wettbewerb um die Goldene Palme eröffnet. Der Film verknüpft die Schicksale von vier Mädchen und jungen Frauen über einen Zeitraum von rund hundert Jahren. Es geht um Traumata, die sich über Generationen fortsetzen können, und wie sie sich in Körper einschreiben – und es geht um Selbstbestimmung im eigenen Leben. Es ist erst der zweite Spielfilm der 1984 in Berlin geborenen Regisseurin, entsprechend überwältigt war sie von der Nachricht, zu einem der wichtigsten Filmfestivals der Welt eingeladen zu werden. Bei den Presseinterviews gab sie sich am Tag nach der Premierenfeier aber bereits als Cannes-Profi und erzählte gut gelaunt vom Dreh und der Arbeit mit ihren Darstellerinnen, während durch große Balkonfenster eine frische Brise vom Mittelmeer hinein wehte.

So schön wie die Reflexe, die die Sonne an der Côte d’Azur auf die Wellen wirft, glitzert in Cannes nur noch der Schmuck auf dem roten Teppich. Der kommt in diesem Jahr sogar etwas mehr zur Geltung, denn das Festival hat dem Dresscode zwei neue Regeln hinzugefügt: Bitte keine Nacktheit („aus Schicklichkeitsgründen“, obwohl gerade Cannes auf eine modische Tradition der geschickten Entblößung blickt) und keine „voluminösen“ Kleider. Sprich, lange Schleppen sind in diesem Jahr verboten, um den „reibungslosen Ablauf der Besucherströme“ zu gewährleisten. Im vergangenen Jahr hatten die Sicherheitsleute am Teppich ein ungewolltes Tänzchen mit einer dominikanischen Schauspielerin vollführt, um sie am Entfalten ihrer meterlangen Schleppe mit Jesusantlitz zu hindern – nicht aus religiösen Gründen, sondern weil sonst niemand mehr die Stufen hinaufgekommen wäre.

Schleppen waren in Cannes verboten - voluminös waren die Kleider trotzdem wie hier bei Wan QianHui
Schleppen waren in Cannes verboten – voluminös waren die Kleider trotzdem wie hier bei Wan QianHuiScott Garfitt/Invision/AP

Nun ist also offiziell weniger Stoff angesagt. Die neue Regelung brachte Oscarpreisträgerin Halle Berry gleich am Eröffnungsabend in Schwierigkeiten, denn das ursprünglich eingeplante Kleid für ihren ersten Auftritt als Mitglied der Wettbewerbsjury unter Juliette Binoche bestach durch seine Schleppe. Berry fand kurzfristig Ersatz in einem ärmellosen Kleid mit Blockstreifen.

War Cannes im vergangenen Jahr geprägt von den Auswirkungen der MeToo-Enthüllungen in der französischen Filmbranche, hält man sich mit der Politik in diesem Jahr bislang zurück. Vielleicht auch weil Robert De Niros Dankesrede am Eröffnungsabend, als er die Goldene Palme für sein Lebenswerk erhielt, nicht mehr viel hinzuzufügen ist: „In meinem Land kämpfen wir mit aller Macht um die Demokratie, die wir einst für selbstverständlich hielten“, sagte der 81 Jahre alte New Yorker. Gegen Präsident Trump fand er klare Worte, bezeichnete ihn als „philisterhaft“ und kritisierte die Kürzungen der neuen US-Regierung an Kunst, Geisteswissenschaften und Bildung. Und er schloss mit einem Appell: „Wir müssen handeln, und wir müssen jetzt handeln, ohne Gewalt, aber mit großer Leidenschaft und Entschlossenheit. Es ist an der Zeit, dass jeder, dem die Freiheit am Herzen liegt, sich organisiert, protestiert und, wenn es Wahlen gibt, natürlich auch wählt.“ Statt eines Smartphones hielt De Niro auf dem roten Teppich übrigens lieber die Hand seiner Partnerin.

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