Für Leute, die das Marschieren lieben: „Collective Action“ im Lenbachhaus | ABC-Z

Das Präzisionsmarschieren einer Menschenmasse in Formation gehört zu den einschüchternden Darbietungen, die man aus Diktaturen wie Nordkorea oder aus China zu kennen glaubt. Aber auch in Japan hat es unter dem Begriff „Shudan Kodo“ Tradition. Das bedeutet so viel wie Masse und Herzschlag und ist eine Bewegungs-Disziplin, die sogar im Sportunterricht geübt wird – und deren Präzision und Strenge westliche Augen in erschrecktes Staunen versetzt.
Dabei geht das Individuum bis zur totalen Erschöpfung im Kollektiv auf. Ohne Rücksicht auf Schmerz und Verletzungen wird in enger Aufstellung vor Publikum exerziert: Angeleitet durch gellende Kommandos verschränken sich die Performenden gruppenweise, teilen sich, laufen kreuz und quer, vorwärts und rückwärts, und das in erstaunlichem Tempo und ohne aneinanderzustoßen.

© Katarina Sopcic
von Katarina Sopcic
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Jetzt kann man im Kunstbau des Lenbachhauses eine Abwandlung von Shudan Kodo auf Großleinwand anschauen: In Kooperation mit dem japanischen Meister Jiro Omi schuf der US-amerikanische Tänzer und Choreograf Richard Siegal 2024 die Inszenierung „Collective Action“. Der Chef des Ballet of Difference, der 2013 den Münchner Tanzpreis bekam, ist schon lange von Shudan Kodo fasziniert. Er reiste mehrfach nach Japan, um sich damit auseinanderzusetzen und die Grundsätze choreografisch weiterzuentwickeln.

© Bernd Thissen/picture alliance / dpa
von Bernd Thissen/picture alliance / dpa
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„Collective Action“ ist die Begegnung und Durchdringung zweier Tanzender des Ballet of Difference mit 53 Mitgliedern des Shudan Kodo-Ensemble. Für die Video-Projektion, die jetzt im Kunstbau zu sehen ist, wurde die 21-minütige Performance aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen. Der elektronische Sound dazu stammt von alva noto, das Lichtdesign von Matthias Singer und fantomas. „Art.Life“ ist eine Produktion von Muffatwerk und Dance Festival.
Ziemlich banal
Trigger-Warnung für Migräne-Kandidaten und andere empfindliche Gemüter, ja genauso für Epileptiker, Tinnituspatienten und Menschen mit Herzschrittmacher: Man kann beim Zuschauen in echte Nöte kommen und physische Schmerzen empfinden. Der Sound, der den Raum erfüllt, ist markerschütternd, rhythmisch stampfend und zugleich schrill. Visuell verstärkt sich der harte Kontrast der Schwarzweißoptik auf dem Bühnenboden mit den schwarz gekleideten Tanzenden zu einem heftigen Flirren.

© Katarina Sopcic
von Katarina Sopcic
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Das Lenbachhaus beschreibt das Ergebnis als „bahnbrechende Perspektive auf die Unterordnung des Individuums unter das Kollektiv im digitalen Zeitalter“. Gemessen am eigenen Ohrensausen und Augenflimmern ist das – abgesehen von der Höchstleistung der Performer – allerdings ein bisschen zu banal.
Bis 15. Juni, Lenbachhaus Kunstbau, Di – So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr, Eintritt frei