Kultur

Karl-May-Spiele Bad Segeberg: Winnetou in Goebbels’ Spuren | ABC-Z

Hamburg taz | Brennende Häuser, laute Schießereien: Der wilde Westen lebt. Ab 27. Juni stehen in Bad Segeberg wieder Winnetou und Old Shatterhand auf der Bühne, um Familien mit den Karl-May-Spielen zu begeistern. Seit den 1950ern ziehen diese regelmäßig ein großes Publikum an – 2024 holten sie fast 450.000 Be­su­che­r*in­nen ins Kalkbergstadion. Vermutlich wissen die wenigsten von ihnen, dass bei der Eröffnung vor fast 90 Jahren Reichspropagandaminister Joseph Goebbels statt Winnetou auf der Freilichtbühne stand.

Schon in seinen Anfangsjahren plante das NS-Regime, zu Propagandazwecken Thing­stätten im gesamten Deutschen Reich aufzubauen. Der Name für die Freilichtbühnen knüpft an das altdeutsche Wort für Versammlungen, „thing“, an. Hier sollten Thingspiele gezeigt werden: Veranstaltungen, die von der NS-Ideologie überzeugen sollten. Von den geplanten 400 Stätten wurden aber keine 60 Stück erbaut, und viele der gebauten Stätten sind schnell außer Betrieb gefallen, weil nur noch wenige „Thingspiele“ gezeigt wurden.

Ein solches Schicksal traf auch die „Nordmark-Feierstätte“ in Bad Segeberg, aus der später das Kalkbergstadion wurde. Die Freilichtbühne sollte in ein Loch am Boden des Berges gebaut werden, das durch den Abbau von Gips entstanden war. Dieser Bau erwies sich jedoch als schwieriger als erwartet.

Axel Winkler beschäftigt sich seit Jahren mit der Bad Segeberber Stadtgeschichte, besonders während der NS-Zeit – weil diese in seinen Augen nicht genug aufgearbeitet wurde. Er erklärt die schwierigen Umstände auf der Baustelle: „Das hat der Reichsarbeitsdienst mit ungefähr 60 Mitarbeitern gemacht. Da waren alle möglichen Leute drin, also auch solche, die gar nicht handwerklich erfahren waren. Und zusätzlich dazu wurde nach der Naziideologie mit Schaufel und Hacke gearbeitet, nicht mit Maschinen. Es war irrsinnig aufwendig, quasi aus einem Bergmassiv ein Stadion zu bauen.“

Das Kalkbergstadion 2023: Karl May-Aufführung im Abendlicht



Foto:
dpa | Jonas Walzberg


Auch die Finanzierung erschwerte den Bau der Freilichtbühne. Ursprünglich sei das Stadion für 20.000 Reichsmark geplant worden. „Es hat nachher 125.000 Reichsmark gekostet“, sagt Winkler. „Das ging eigentlich nur, weil die Stadt Bad Segeberg selber 40.000 Reichsmark da reingesteckt hat. Und weil Gauleiter Lohse Geld aus seinem Topf reingeschossen hat, damit das überhaupt fertig wird.“

Ob sich diese Mühe und Investition gelohnt hat, kann ziemlich sicher verneint werden. Nach der Eröffnung der Freilichtbühne durch Goebbels sei sie nur wenig genutzt worden, erklärt Winkler. Ein paar Militärkonzerte und Thingspiele vor dem Krieg, eine Fahnenweihe 1944. „Lächerlich, wenn man bedenkt, was die gekostet hat. Welcher Aufwand das war“, sagt Winkler. „Wenn Sie fragen, ob die Nazis davon profitiert haben – ehrlich gesagt nein. Das Ganze ist heute bekannt, weil man ab 1952 die Idee hatte, dort die Karl-May-Spiele anzusiedeln.“

Und diese Karl-May-Spiele finden bis heute noch in der ehemaligen Thingstätte statt. Ihre NS-Vergangenheit ist nicht mehr erkennbar, längst verdeckt von Westernstädten und dem „Indian Village“. Über die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit gibt es Unstimmigkeiten.

In den 90er-Jahren haben viele Städte begonnen, sich mit ihrer NS-Geschichte auseinanderzusetzen. „Segeberg hat das konsequent vermieden. Das hat man ignoriert“, sagt Winkler. 2021 habe er sich mit einem anderen Segeberger Stadthistoriker zusammengesetzt und die Geschichte aufgearbeitet. „Mittlerweile sind wir so weit, dass man hier in Segeberg für das, was man so salopp Erinnerungskultur nennt, sehr sensibel wird. Das ist aber wirklich aktuell und nicht etwas, wo ich sagen kann, dass es seit 30 Jahren läuft.“ Mittlerweile widmet die Stadt ihrer NS-Geschichte und dem Ursprung des Kalkbergstadions eigene Kapitel in der Stadtchronik.

Auch mit dem Kalkbergstadion setze man sich erst jetzt wirklich auseinander, so Winkler. „Das wird natürlich übertüncht davon, dass die Karl-May-Spiele zurzeit von einem Besucherrekord zum nächsten stürmen. Da will man über diese unangenehme Vergangenheit etwas weniger hören. Aber der Erfolg, der jetzt stattfindet, wofür Bad Segeberg deutschlandweit bekannt ist. Das ist ein Produkt der Nationalsozialisten.“

Die Karl-May-Spiele

„Halbblut“: Fr, 27. 6., bis So, 7. 9., jeweils Do–Sa,15/20 Uhr, So,15 Uhr, Freilichtbühne Bad Segeberg, www.karl-may-spiele.de

Auf taz-Anfrage über die Aufarbeitung der NS-Geschichte der Freileichtbühne schreibt Michael Stamp, Mediensprecher der Karl-May-Spiele: „Die Geschichte des Freilichttheaters am Kalkberg wurde und wird in Bad Segeberg häufig beleuchtet und öffentlich dargestellt – sowohl in Ausstellungen als auch in Buchveröffentlichungen und Vorträgen.“ Auch bei den Backstageführungen und auf der eigenen Website werde die Entstehung als Thingstätte thematisiert.

Ob es auf dem Gelände einen öffentlich einsehbaren Ort gibt, der auf die Entstehung des Kalkbergstadions hinweist, hat Stamp nicht beantwortet. In den Kalkberg wurde in der NS-Zeit eine Steinplakette eingelassen, die den Ort als Thingstätte erklärt. Diese gebe es auch heute noch, sie sei aber nur für Leute einsehbar, die eine Höhlenführung machen, sagt Winkler.

Wer sich also nicht aktiv mit der Vergangenheit der Freilichtbühne befasst, kriegt von ihr vermutlich wenig mit – und kann sich weiter auf die Western-Abenteuer von Winnetou und Old Shatterhand konzentrieren.

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