Karina Schönmaier bei Turn-WM in Jakarta: Perfekt auf den ersten Blick | ABC-Z

Man habe Erfahrungen sammeln wollen, sagt Thomas Gutekunst: „Ich glaube, es waren wichtige Erfahrungen in vielerlei Hinsicht“, sagte der Sportdirektor des Deutschen Turner-Bundes nach Abschluss der Turn-Weltmeisterschaft in Jakarta.
Das gilt auch für Karina Schönmaier. Sie war in Indonesien die einzige deutsche Turnerin, die überhaupt ein Gerätefinale erreicht hatte und trat am Freitag am Sprung mit dem Ziel an, eine Medaille zu gewinnen. Sie wurde Fünfte. Und das hatte – im Turnen selten genug – einen einzigen, klar benennbaren Grund: Sie stützte sich mit nur einer Hand vom Tisch ab. In der Möglichkeitsform gesprochen trifft zu: Hätte ihre rechte Hand die Stützfläche berührt, wäre sie Weltmeisterin.
Einer der schwierigsten Sprünge, die es gibt
Das Finale der besten acht Springerinnen der Welt hatte einiges an Drama zu bieten. Es begann mit Deng Yalan aus China, der während des Anlaufs die Konzentration auf das, was sie zu tun gedachte, komplett abhandenkam. Letztlich hüpfte sie in Not einfach in aufrechter Haltung über den Tisch, ohne ihn zu berühren. Der Versuch wurde nicht bewertet, ihren zweiten Sprung durfte sie deshalb gar nicht erst zeigen. Yalan war eine der Favoritinnen auf den Titel, aber vor allem mit 26 Jahren die älteste Turnerin, die China je bei einer WM aufgeboten hat. Ihre Nominierung war in Jakarta auch als Zeichen für eine veränderte Haltung interpretiert worden, setzt China doch traditionell bislang auf ganz junge Mädchen. Yalans großes Vorbild ist übrigens Cheng Fei, jene Chinesin, nach der seit 2009 der Sprung benannt ist, um den es ging.
Und der geht so: Die Turnerin macht eine Radwende auf das Brett, springt in der ersten Flugphase rücklings mit einer halben Drehung um die Längsachse ihres Körpers in eine Handstand-Position auf den Tisch. Dann folgt der Abdruck von den Händen und in der zweiten Flugphase in gestreckter Körperhaltung ein Salto vorwärts mit zusätzlichen anderthalb Drehungen um die eigene Achse. Es ist einer der schwierigsten Sprünge, die es laut Wertungstabelle im Frauenturnen gibt und der schwierigste unter allen Sprüngen, die in Jakarta gezeigt wurden.
In der Qualifikation hatte Karina Schönmaier einen einfacheren Sprung gezeigt, den Cheng zwar bereits im Training vor Ort probiert, aber noch nie im Wettkampf gezeigt. Ihren zweiten Sprung, einen sogenannten Jurtschenko, beherrscht sie sicher. Als sie am Freitag das Podium betritt, stehen auf der Anzeigetafel neben ihr die Ziffern 5,6. Das ist der Schwierigkeitswert des Cheng. Dann geht es ganz schnell: In Echtzeit dauert das Ganze samt Anlauf gut fünf Sekunden, der Sprung selbst ist ein Augenblick.
Die wichtige zweite Flugphase nach Abdruck mit den Händen vom Sprungtisch sieht bei ihr großartig aus: Ihr Körper ist hoch in der Luft, gestreckt, die Drehungen gelingen vollständig und sind beendet, bevor sie die Landematte berührt. Sie lächelt, ballt ganz kurz die Fäuste. Trainer Anatol Aschurkov, der neben dem Podium steht, klatscht einmal kräftig in die Hände.
Ein Exempel statuiert
Die Sprünge werden einzeln bewertet; erst nachdem die Wertung für den ersten Sprung angezeigt wird, erteilt das Kampfgericht grünes Licht für den zweiten Sprung. Das grüne Licht für Schönmaier lässt lange auf sich warten. Zu lange.
Auf den Zeitlupenbildern, die derweil auf einem Kubus in der Hallenmitte zu sehen sind, kann man erahnen, was das Kampfgericht nochmals prüft: Hatte Schönmaier beide Hände auf dem Tisch? Als die sehr niedrige Wertung angezeigt wird, ist schnell klar, dass Schönmaier den laut Wertungsvorschriften für einen einarmigen Stütz vorgesehenen Abzug von zwei ganzen Punkten erhalten hat. Schönmaier runzelt die Stirn und zeigt dann, scheinbar ungerührt, ihren zweiten Sprung in sehr guter Ausführung. Nach ihr präsentiert die Russin Angelina Melnikowa, die nach eigener Aussage die gesamte WM mit einer Stressfraktur im Schienbeinkopf absolvierte, den einzigen fehlerfreien Cheng des Finals und wird Weltmeisterin am Sprung.
Im Gespräch direkt nach dem Finale unterdrückt Karina Schönmaier ihre Tränen tapfer. Es sei „ein riesiger Schritt“ gewesen, diesen neuen Sprung zu zeigen, Anatol Aschurkov sagt, man sei „sehr enttäuscht“, das gesamte Starterfeld habe Karina „zum besten Sprung“ gratuliert. Tatsächlich wurde an Schönmaier in Jakarta gewissermaßen ein Exempel statuiert, kam dieser Abzug für den einarmigen Stütz beim Cheng doch noch nie in einem großen Wettkampf zur Anwendung.
Debatten darüber gibt es allerdings bereits länger, vor allem, weil auch die US-Amerikanerin Leanne Wong, die das Finale in Jakarta verpasste, im Vorfeld immer mal wieder diesen Abzug riskiert hat. Der gesamte Sprung erfordert ob der integrierten Drehungen in der zweiten Phase eine enorme Geschwindigkeit, beginnt die Turnerin die Drehung zu früh, kommen die Hände nicht gleichzeitig auf den Tisch. Der einarmige Cheng ist daher – so abstrus dies klingen mag – keineswegs schwieriger als der mit beiden Armen.
Dass der Abzug zu Recht vorgenommen wurde, weiß am nächsten Tag auch Anatol Aschurkov: „Aus meiner Perspektive im Wettkampf war es ein perfekter Sprung, ich habe es erkannt, als ich später die Zeitlupen gesehen habe.“ Der Fehler sei im Training auch schon mal aufgetreten, aber eben selten. Bleibt bei aller Enttäuschung auch etwas Gutes an dieser Erfahrung? Ja. Karina Schönmaier, die als Europameisterin am Sprung angereist war, habe gezeigt, „dass sie dem Druck standhält und den Stress bewältigt“. Zu Hause in Chemnitz werden sie weiter arbeiten, am Cheng und auch an einem zweiten, noch schwierigeren Sprung.





















