Ein Tag bei der Müllabfuhr in Dachau – Dachau | ABC-Z

Gegen 6 Uhr geht es für die beiden los auf die Straßen von Odelzhausen, um dort Papiertonnen einzusammeln. Die Touren machen sie bei jedem Wetter: Hitze, Kälte, Regen, Schnee – die Tonnen müssen geleert werden. „Lieber ist mir Hitze“, sagt Kottmayr: „Kälte tut weh.“ Im Winter trägt er zwei Paar Socken und zwei Hosen, heute aber sind die Temperaturen mild und der Himmel klar. Nach etwa 20 Minuten Fahrt kommt die Besatzung am Zielort an. „Wie fangen wir an?“, fragt Ludwig Kottmayr, Spitzname Lucki, den Fahrer. Die beiden müssen sich absprechen, damit sie keine Tonne vergessen.
Schließlich steigt Kottmayr aus, er trägt Sicherheitsschuhe, gelbe Warnkleidung, eine Kappe und Handschuhe – seine persönliche Schutzausrüstung, denn der Job ist nicht ungefährlich. Er geht nach hinten zu der Schütte, in die der Müll mit zwei Schwenkarmen entladen wird. Um alles einzuschalten, muss Kottmayer zuerst auf beide Trittbretter am Auto steigen. Die Schütte stellt er mit einem grünen Knopf auf Automatik, damit sie die Tonnen selbständig in das Fahrzeug leert.
Beide Arbeiter sind bei der Dachauer Abfallfirma Veolia, ehemals Fink, angestellt. Seitz braucht als Fahrer einen LKW-Führerschein, Lader wie Kottmayr können ohne Berufsausbildung arbeiten. Zu Beginn bekommen sie eine „technische Einweisung“, hatte Betriebsleiter Andreas Seider in einem Gespräch vorab erklärt. Kottmayr fuhr zunächst zudem einen Monat lang als dritte Person am Auto mit, um angelernt zu werden. Insgesamt sind 21 Fahrer und elf Beifahrer bei Veolia fest angestellt, alles Männer, keine einzige Frau. „Wir hätten kein Problem damit“, sagt Seider. Es gebe nur keine Bewerberinnen.
Vom Dachauer Haushaltsmüll leert die Firma lediglich Papiertonnen. Seitz hat vor seiner aktuellen Stelle dort aber mitunter auch Biomüll abgeholt. „Da sind Ratten, die fliegen raus in alle Richtungen“, erinnert er sich. Doch selbst in den weniger geruchsintensiven Papiertonnen befinden sich manchmal unschöne Überraschungen. „Die Leute sind Schweine“, bemerkt Kottmayr. Wenn Kartonage in einer Tonne feststeckt, muss er manchmal mit den Händen hineinlangen. Und dabei hat der Lader in seinen 14 Jahren Berufserfahrung schon einiges gefunden, wie er berichtet: faule Äpfel, Flaschen, Steine und auch eine benutzte Binde.
„Wir leben gefährlich auf der Straße“
Geübt greift er die blauen Tonnen mit nur einer Hand und zieht sie zum Auto, immer hinter sich her, damit er den Verkehr vorn gut sehen kann. „Wir leben gefährlich auf der Straße, weil es Idioten gibt. Die wollen schnell vorbei“, erklärt er. Die Kammleiste, die unter dem Deckel der Tonnen hervorsteht, muss er passend in die Zacken der Schwenkarme hängen. Wenn er das ungenau macht oder die Leiste beschädigt ist, kann die Tonne nach hinten fallen. Deshalb soll man beim Entladen nie direkt hinter der Schütte stehen.
Bei der Abfallentsorgung ist die Quote der Arbeitsunfälle am zweithöchsten unter allen abhängig Beschäftigten Deutschlands. So geht es aus der Statistik Arbeitsunfallgeschehen 2023 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) hervor. Wegunfälle wurden darin nicht berücksichtigt. Die Gefahren sind Kottmayr bewusst. Er sagt aber auch: „Es gibt keinen Beruf, der nicht gefährlich ist“.

Während Kottmayr die Tonnen entleert, hat Seitz seinen Kollegen von der Fahrerkabine aus über Spiegel und Rückkamera im Blick: „Das sind praktisch meine Augen“, sagt er. Bei längeren Abständen zwischen den Tonnen stellt sich Kottmayr hinten auf ein Trittbrett, dabei sehen sich die Arbeiter gegenseitig durch den Seitenspiegel. Seitz muss dann besonders vorsichtig fahren: 30 Stundenkilometer und nur im Vorwärtsgang. Sollte er versuchen, rückwärtszufahren, hält der Wagen automatisch an.
Die größte Herausforderung des Berufes sei für ihn, dafür zu sorgen, „dass nix passiert“, sagt Seitz. Der 57-Jährige arbeitet erst seit vergangenem Oktober bei Veolia, im Bereich Abfallentsorgung ist er jedoch schon einige Jahre länger tätig. Den LKW-Führerschein hat Seitz bereits seit mehr als 40 Jahren. Dass der Kraftfahrer seit Längerem in der Entsorgung arbeitet, hat einen praktischen Grund: „Ich will jeden Tag daheim sein“, erklärt er, denn er habe zwei Kinder. Deshalb wären Fernfahrten für ihn ein absolutes „No-Go“.

Für eine Tour nimmt er sich zwei Dinge mit: „Klopapier und was zum Trinken“, denn eine eingebaute Toilette hat der Lastwagen nicht. Wenn es dringend wird, gehen sie „irgendwo ins Gebüsch oder auf ein Dixi-Klo“, sagt er. Seitz kann sich gut vorstellen, seinen derzeitigen Job bis zur Rente weiterzumachen. Für seinen Kollegen Kottmayr gilt das sicher, denn nach 14 Jahren Arbeit an dem Standort geht es für ihn diesen Sommer in den Ruhestand. Warum er die Arbeit so lange gemacht hat? Weil er sie gerne tue, sagt Kottmayr. „Würde es mir keinen Spaß machen, würde ich es nicht machen.“
Bei seiner Arbeit kann der Lader draußen sein, anders als bei vergangenen Jobs in Hallen. Außerdem gehe er ohnehin gerne zu Fuß, früher sei er viel gewandert. Das Allerschönste am Job seien für ihn die Kinder, die am Straßenrand oder am Fenster stehen, sagt Kottmayr. Es freue ihn, dass Müllautos für Kinder etwas Besonderes seien. Auch an diesem Tag winken immer wieder welche. Als ein Kind den Arbeitern ehrfürchtig vom Gehsteig aus zuschaut, ruft er ein kurzes „Hallo“ in seine Richtung. Dann geht es weiter mit dem Entleeren der Tonnen, von denen einige stark überfüllt sind.

Grundsätzlich müsste das Team überfüllte Tonnen mit offenen Deckeln nicht entladen. Sie nehmen dennoch mit, was geht. Bei mehr als randvollen Tonnen stellt Kottmayr die Automatik der Schütte aus und fährt händisch. „Da hab’ ich mehr Gefühl“, erklärt er. Es soll schließlich nichts daneben fallen. Nachdem das Papier in der Schütte gelandet ist, wird es von der Presse nach vorn in den Laderaum befördert. Der hat eine bewegliche Wand, die durch den Müll immer weiter nach in Richtung Fahrerkabine gedrückt wird und den Raum so vergrößert. Sollte sie vorn anstehen, ist das Müllauto voll. Dann muss das Team zurückfahren, der Rest der Tonnen muss nachgeholt werden, sonst regnet es Beschwerden der Odelzhausener.
„Wir sind auch nur Menschen.“
Könnte Kottmayr die Leute um etwas bitten, würde er ihnen folgende Dinge sagen: Zusätzlichen Papiermüll neben der Tonne soll man abdecken. Denn sollte es regnen, wird das Papier nass, klebrig und matschig. Müll, vor allem Kartonage, soll man außerdem nicht in die Tonne „quetschen“, denn dann muss er das alles mit der Hand hinausziehen. Seitz bittet um Rücksicht im Straßenverkehr: „Wir sind auch nur Menschen“, ergänzt Kottmayr. Allgemein finden beide, dass sie für den Job nicht viel Wertschätzung erfahren, vor allem wenn man ihre Rolle für die Gesellschaft betrachtet. „Wir sind halt ein wichtiges Radl, das vergessen die Leute. Das schätzen sie nicht“, sagt Seitz. Kottmayr will, dass den Menschen klar ist: Müllarbeit ist keine Drecksarbeit, sondern wichtig für das System.
Doch nicht nur in der Wertschätzung, sondern auch bei der Bezahlung gibt es Mängel. Seitz ist als Fahrer mit seinem Einkommen ganz zufrieden: „Man kann davon leben“, sagt er. Kottmayr jedoch verdient als Lader weniger als sein Kollege. Er sagt: „Es dürfte mehr sein. Für das, was wir leisten.“ Kottmayr bekommt nach eigenen Angaben knapp mehr als den Mindestlohn. Sein Kollege stimmt zu, dass die Lader für ihre Leistung besser entgeltet werden sollten: „Das ist zum Teil unterste Schublade.“

Ob diese beiden Tatsachen mitunter Grund sind, warum es für den Beruf an Nachwuchs mangelt? Seitz und Kottmayr haben dazu eigene Theorien: Der Fahrer findet, die Menschen wüssten einfach zu wenig über den Job. Kottmayr wiederum denkt, dass die Berufsrealität abschreckt. Nicht jeder wolle bei Wind und Wetter draußen sein. Fest steht jedenfalls: Es ist schwer, an neue Leute zu kommen. Das bestätigt auch Betriebsleiter Seider: „Wir bekommen kaum noch Fahrer“, sagt er. Bei Ladern sei es noch einfacher, aber die würden häufig wieder abspringen, es gebe eine hohe Fluktuation.
45 Minuten Pause
Nach etwa acht Stunden Arbeit, davon 45 Minuten Pause, die exakt eingehalten werden müssen, sagt Seitz: „Lucki, das sind die drei letzten.“ Bald darauf steigt der Lader ins Auto ein. Dafür haben die beiden ein Signal: Hupen heißt Einsteigen. Weitere 30 Minuten vergehen, bis der Müllwagen schließlich zum Entleeren auf dem Hof steht. Pizzakartons, zahlreiche Paketkartonagen, Zeitungen und sogar ein Buch fallen aus dem Laderaum auf einen großen Haufen. Der wird in der Altpapier-Sortierung Dachau (ASD), einer Tochtergesellschaft der Veolia-Gruppe, anschließend sortiert und recycelt. Das gemischte Eingangspapier wird in grafisches Material, also etwa Zeitungen und Illustrierte, Karton und Mischpapier getrennt, erklärt Thomas Geier, der Betriebsleiter von ASD. Pro Wagen bekommt man etwa fünf bis acht Tonnen Eingangsmaterial. Die Preise, die man für eine Tonne Altpapier erhält, rangieren derzeit je nach Sorte zwischen 60 und 150 Euro.