Kansas City Chiefs gegen Philadelphia Eagles: Wer wird den Super Bowl stempeln? – Sport | ABC-Z

Zwei Videos sollten jene anschauen, die vor dem Super Bowl nicht so viel mit dem Namen Saquon Barkley anzufangen wissen. Der Running Back der Philadelphia Eagles wird regelmäßig genannt, wenn es darum geht, die spielentscheidenden Leute für das Finale der US-Footballliga NFL in New Orleans (Montag, 0.30 Uhr MEZ) zu identifizieren. Travis Kelce vom Finalgegner Kansas City Chiefs gehört zu den bekannten Namen, auch wenn er manchen vielleicht nur als Football spielender Partner von Popstar Taylor Swift geläufig ist. Womit an den Social-Media-Streich aus der vergangenen Saison erinnert sei, bei dem Frauen ihren Partnern mitteilten, dass Kelce erst durch Swift so richtig berühmt geworden sei.
Die entrüsteten Antworten zählten Kelces Rekorde auf: etwa seine drei Super-Bowl-Siege. In der Hauptrunde war er, wie die Offensive der Chiefs allgemein, für seine Verhältnisse unauffällig. Dann aber schaffte er im Viertelfinale gegen Houston 117 Yards Raumgewinn sowie den entscheidenden Fang in der Endzone zu Beginn des Schlussviertels. Kelce sendete damit eine Botschaft an die Gegner wie die Super-Bowl-Zuschauer: Kann schon sein, dass ich mit 35 Jahren in meiner 14. Profisaison nicht mehr ganz so produktiv bin – es wäre jedoch ein Fehler, meine Laufwege nicht zu beobachten!
Das ist bei Saquon Barkley anders: Es ist unmöglich, ihn nicht zu beachten. Das erste Video deshalb, das man gesehen haben sollte: die Reaktion seiner Eagles-Kollegen auf Barkleys Auftritt Anfang November gegen Jacksonville. Er fängt einen Pass von Spielmacher Jalen Hurts, wackelt einen Gegenspieler per Hüftschwenk aus und düpiert den zweiten mit Ganzkörperdrehung; dann: halbe Drehung, Sprung, Spreizen der Beine, sodass der heranstürmende dritte Verteidiger verdutzt unter ihm durchtaucht. So was schafft man sonst nur beim Computerspiel-Football, wenn man alle Tasten gleichzeitig drückt. Die verzückten Gesichter der Kollegen am Spielfeldrand also: ein Gemälde mit dem Titel „Gibt’s doch gar nicht.“
:Der Super Bowl und die Lizenz zum Gelddrucken
Bis zu 20 Millionen Dollar. So viel kostet eine Werbeminute während des Super Bowl am Sonntag: Die US-Football-Liga weiß, wie man Geld verdient. Mit dabei ist jetzt auch Bosch.
Das zweite Video stammt aus der Dokuserie „Hard Knocks“, die erstaunliche Blicke hinter die Kulissen des Managements der New York Giants liefert. Sechs Jahre hatte Barkley dort gespielt. Er war zu dem Zeitpunkt schon 27 Jahre alt, und die Halbwertzeit von Laufspielern in der NFL ist kürzer als die von Schaum auf amerikanischem Bier. Man sieht in einer Szene also Giants-Manager Joe Schoen, wie er Barkley am Telefon mitteilt, dass der seinen Marktwert bitte in Verhandlungen mit anderen Teams prüfen solle. Die Botschaft: Du wirst nicht kriegen, was du glaubst, kriegen zu können. Er könne aber gerne Angebote anderer Franchises vorlegen, die Giants würden dann womöglich gleichziehen. Giants-Eigentümer John Mara ist der Einzige, der Bedenken hat: „Ich könnte nicht mehr ruhig schlafen, wenn Saquon nach Philadelphia gehen würde. Er ist der mit großem Abstand beste und beliebteste Spieler, den wir haben.“
Barkley prüfte also seinen Marktwert und fand heraus, dass die Giants-Rivalen aus Philadelphia inklusive Boni bis zu 46,7 Millionen Dollar für drei Spielzeiten sowie einen Super-Bowl-tauglichen Kader boten. Er gab den Giants keine Möglichkeit zum Gleichziehen.
New York schaffte ohne Barkley eine Bilanz von drei Siegen und 14 Niederlagen, Philadelphia (14:3) gelang die Reise zum Super Bowl. Barkley erreichte in der regulären Spielzeit als neunter Akteur der Geschichte mehr als 2000 Yards Raumgewinn. In allen drei Playoff-Partien übertraf er jeweils die 100-Yard-Marke. Ironische Spitze: Barkley ist Werbefigur für ein Schlafmittel. „Ich brauche es nicht, ich schlafe wie ein Baby“, sagt er: „Aber euch könnte es vielleicht helfen.“
Die Eagles variieren virtuos ihre Angriffstaktik, die Chiefs pflegen das kontrollierte Chaos
Am Sonntag feiert Barkley seinen 28. Geburtstag, als zentrale Figur der Eagles-Offensive neben Quarterback Hurts, der selbst ein toller Läufer ist. Hurts ist ein Mann, dessen Oberschenkel Kniebeugen mit 270 Kilo Gewicht auf den Schultern schaffen, und wenn ihn Mitspieler bei einem Spielzug namens „Tush Push“ am Hintern anschieben, dann ist er über kurze Distanz kaum zu stoppen. Im Halbfinale gegen Washington schaffte er mit gerade mal 16 Yards Raumgewinn drei Touchdowns.
Ermöglicht wird diese Laufspieldominanz von fünf Naturgewalten der Offensive Line, von denen Center Cam Jurgens mit 137 Kilo bei 1,90 Meter Größe als Leichtgewicht gilt. Die Durchschnittsmaße der beiden Paare links und rechts von ihm: zwei Meter, 157 Kilo. Diese Fünf blocken so Lücken frei, sie ermöglichen Hurts zusätzliche Zehntelsekunden auf der Suche nach Passempfängern – die dadurch mehr Zeit zum Freilaufen haben. Zwei, deren Laufwege man dabei unbedingt im Blick haben sollte, sind Receiver A.J. Brown und Tight End Dallas Goedert – das Eagles-Pendant zu Travis Kelce.

Die Person aufseiten der Chiefs, auf die man achten sollte am Sonntag, ist deshalb Steve Spagnuolo, dessen Name noch weniger geläufig sein dürfte als der von Barkley. „Spags“, so sein Spitzname, ist der Defensiv-Coach in Kansas City; der Einzige, der in dieser Rolle mit zwei verschiedenen Teams (Giants und Chiefs) Titel gewonnen hat. Spagnuolo setzt die gegnerische Offensive gerne mit einer scheinbar verrückten Taktik unter Druck und zwingt sie so zu schnellen – und bisweilen überhasteten – Entscheidungen. Jemand, der sonst Passempfänger decken sollte, stürmt zum Beispiel plötzlich auf den Quarterback zu. Das Ziel: Die gegnerische Offensive soll bei ihrem ersten und zweiten Versuch so wenig Raumgewinn schaffen, dass ihr dritter und entscheidender Versuch fast sicher ein Pass sein muss – eine Situation, in der sich die Eagles und vor allem Hurts nicht besonders wohlfühlen.
Spagnuolo wird diesmal sieben Verteidiger aufs Feld schicken, die der Verein bei der Talentbörse 2022 gewählt hat und die wegen der Erfolge der vergangenen zwei Spielzeiten in ihren Profikarrieren bislang nichts anderes kennen als Triumphe. Sie vertrauen Spagnuolo, was immer er auch ausgetüftelt hat. Vor dem Halbfinale gegen Buffalo trugen sie Shirts mit der Aufschrift „In Spags We Trust“. Die Angriffsserien der Eagles dürften taktische Leckerbissen werden.

:Und am Ende ist Mahomes einfach Mahomes
Die Kansas City Chiefs gewinnen zum dritten Mal in fünf Jahren den Super Bowl – weil Quarterback Patrick Mahomes in den letzten Sekunden der Partie gegen die San Francisco 49ers zeigt, warum er ein Großer seines Sports ist.
Die Serien der Chiefs dagegen dürften spätestens von Mitte des zweiten Viertels an zum Spektakel werden, und das liegt an Quarterback Patrick Mahomes. Was die Chiefs häufig tun zu Beginn: verschiedene Formationen probieren. Was macht der Gegner, wenn drei mögliche Läufer neben Mahomes warten? Was, wenn drei Passempfänger rechts laufen und Kelce in der Mitte wühlt? Wer ist wann frei?
Mahomes ist ein Genie darin, Muster zu erkennen; sein Chefcoach Andy Reid darin, Mahomes improvisieren zu lassen. Ein Beispiel: Die Chiefs schaffen im ersten Viertel per Laufspiel über links ordentlich Raumgewinn. Später wählen sie die exakt gleiche Aufstellung und vermeintlich den gleichen Spielzug – Mahomes bemerkt, dass die gegnerische Defensive das antizipiert und sich dorthin bewegt. Er entscheidet spontan, dem Laufspieler diesmal den Ball nicht zu geben, und läuft selbst nach rechts, wo nun kaum noch Gegner sind. Es ist kontrolliertes Chaos auf mehreren Ebenen – und genau deshalb ist es so schwer zu dechiffrieren.
Und dann gibt es natürlich noch Kelce, der nach acht gemeinsamen Spielzeiten mit Mahomes von elf Gegenspielern umgeben sein könnte und vom Quarterback dennoch und mit verbundenen Augen gefunden werden würde. Aber das ist ja bekannt, dass es ein gewaltiger Fehler wäre, Kelce auch nur eine Zehntelsekunde aus den Augen zu lassen.