Kultur

Kann eine Mainfähre schützenswertes Kulturgut sein? | ABC-Z

Es gibt Tage, an denen Sven Junghans nahezu vergeblich auf Kundschaft wartet. An verregneten Sonntagen, an denen es in diesem Sommer nicht mangelt, gibt es wenige Gründe, den Main zwischen der Höchster Altstadt und dem Naturschutzgebiet Schwanheimer Düne zu queren. Das ist schlecht fürs Geschäft des ausgebildeten Binnenschiffers. Schließlich zahlt jeder Fahrgast für die 113 Meter lange Strecke nur zwei Euro, Kinder die Hälfte. Ohnehin durch steigende Kosten belastet, funkt Junghans deshalb SOS. Die Zukunft seines Fährbetriebs sei in Gefahr.

Das hat Junghans in den vergangenen Jahren immer wieder gesagt. Nur weil die Stadt ihren Zuschuss deutlich erhöht hat, ist der Betrieb überhaupt noch finanzierbar. Jährlich zahlt die Kommune nun 50.000 statt 25.000 Euro, zudem werden Kosten für den Dieseltreibstoff von 25.000 statt zuvor 15.000 Euro erstattet. Reparaturkosten für die von der Stadt an Junghans verpachtete Fähre wurden übernommen, und der nahe dem Anleger ansässige Energieversorger Süwag konnte dazu bewogen werden, sein Sponsoring zu vervierfachen.

Schlechter Sommer sorgt für schlechte Passagierzahlen

Fragt sich, wie sinnvoll all diese Bemühungen sind. Die Überfahrt mit der Fähre ist ein kleines Abenteuer während einer Radtour. Aber keine fünf Minuten Fußweg entfernt gibt es seit einem Vierteljahrhundert die Leunabrücke, was schon das Ende der Höchster Autofähre zur Folge hatte. Die Fähre für Radfahrer und Fußgänger wurde als Ersatz eingeführt.

Aus Sicht derer, die den Frankfurter Grüngürtel mit seinem Radweg, der rund um die Stadt führt, seit mehr als 30 Jahren zu schätzen wissen, ist die Fähre eine wertvolle Verbindung. Denn nur so gelangen Radfahrer etwa vom Niddaradweg kommend über den historischen Höchster Schlossplatz und den Main zu Frankfurts größtem Naturschutzgebiet, der Schwanheimer Düne. Den Weg über die Leunabrücke zu nehmen und am Indus­triepark Höchst entlangzuradeln kann diese Route nicht ersetzen.

In einem schlechten Sommer wie im vergangenen Jahr befördert die Fähre nur 30.000 statt wie in Spitzenjahren mehr als 60.000 Fahrgäste. In diesem Jahr hat Junghans auch erst kaum mehr als 15.000 Passagiere gezählt. Das liegt auch daran, dass er den Betrieb allein aufrechterhalten muss.

In diesem Jahr haben bisher kaum mehr als 15.000 Passagiere die Höchster Fähre genutzt. In Spitzenjahren waren es 60.000.
In diesem Jahr haben bisher kaum mehr als 15.000 Passagiere die Höchster Fähre genutzt. In Spitzenjahren waren es 60.000.Nerea Lakuntza

Sein Vorgänger als Fährmann, Rudolf Kollath, der ihm immer wieder aushalf, ist nach längerer Krankheit gestorben; ein Nachfolger ist schwer zu finden. An zwei Tagen, Montag und Mittwoch, liegt das Schiff deshalb vertäut am Ufer. „Ich mache es halt weiter, weil mein Herz an der Fähre hängt“, sagt Junghans, der seit gut zehn Jahren über den Main schippert. „Es wäre keine Schwierigkeit, einen leichteren Job zu bekommen.“

Der Fährmann vergleicht sein Schiff mit den Mainfähren in Unterfranken, die nach Bemühungen Bayerns von der UNESCO den Status eines immateriellen Kulturerbes zugesprochen bekommen haben. Zur Begründung hieß es, die Fährleute gäben umfangreiches Wissen über Strömungen, Wind und Sog, Hoch- und Niederwasser, Schiffsverkehr und Freizeitnutzung am jeweiligen Mainabschnitt von Generation zu Generation weiter. Als Direktverbindungen unterstützten die Mainfähren „die soziale Verbundenheit der Einwohner der flussnah gelegenen Ortschaften“.

Der Kulturerbestatus garantiert keinen Bestandsschutz, dient aber als Argument im Kampf um den Erhalt. Fraglich ist, ob das auch für die Höchster Fähre gelten könnte, die anders als die Fähren in Unterfranken keine Autos befördert. Das Mobilitätsdezernat will sich auf Nachfrage nicht dezidiert äußern, weist aber darauf hin, dass ein Angebot nur Sinn ergebe, wenn eine entsprechende Nachfrage vorhanden sei.

Der Höchster Fährmann Sven Junghans auf seiner Mainfähre „Walter Kolb“ im Mai 2022.
Der Höchster Fährmann Sven Junghans auf seiner Mainfähre „Walter Kolb“ im Mai 2022.Frank Röth

Laut Duden sei ein Kulturgut etwas, das als kultureller Wert Bestand habe und bewahrt werde, lässt das Dezernat wissen. Die Fährverbindung in Höchst – nicht die aktuelle Fähre – gebe es seit 400 Jahren. „Ob sie sich als Kulturgut bezeichnen lässt, möchten wir nicht beurteilen. Für die Höchster Bürgerinnen und Bürger hat sie jedoch einen hohen emotionalen Stellenwert“, teilt das Dezernat mit. Im Stadtparlament ergänzte Mobilitätsdezernent Wolfgang Siefert (Die Grünen), dass die Stadtregierung an einer nachhaltigen Lösung für den Fährbetrieb arbeite. Diese liege jedoch noch nicht vor.

Auf die jahrhundertealte Tradition, die nun gefährdet sei, und auf die emotionale Bedeutung der Fähre weist auch Ortsvorsteherin Susanne Serke hin. „Gerade für Fußgänger und Fahrradfahrer ist die Fähre eine wichtige Verbindung. Sie ist Teil des Grüngürtels und gehört zum Panorama von Höchst. Sie sollte deshalb bestehen bleiben“, sagt die CDU-Politikerin, die sich auch in der Stadtverordnetenversammlung für die Anliegen von Höchst und der umliegenden Ortschaften des Westens einsetzt.

Mit freundlicher Unterstützung von Stadt und Süwag: Ohne Zuschüsse ist der Betrieb der Höchster Fähre nicht finanzierbar.
Mit freundlicher Unterstützung von Stadt und Süwag: Ohne Zuschüsse ist der Betrieb der Höchster Fähre nicht finanzierbar.Rosa Burczyk

Der Ortsbeirat hat in jüngerer Vergangenheit Anträge zur Fähre grundsätzlich einstimmig beschlossen. Serke spricht von vergebenen Chancen, der Fähre mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie damit im Frankfurter Bewusstsein lebendig zu halten. „Viele Menschen am anderen Ende von Frankfurt wissen nicht einmal, dass es die Fähre gibt.“

Serke hatte sich dafür eingesetzt, etwa im vergangenen Jahr zum Jubiläum der 1623 erstmals urkundlich erwähnten Fähre mit Aktionen für Aufmerksamkeit zu sorgen. „Am Ende gab es drei Jubiläumsfahrten, und es wurde eine Fahne gehisst. Das fanden wir als Ortsbeirat ein bisschen dürftig.“

Fährmann Junghans hatte sich ebenfalls mehr erhofft; er erwartet von der Stadt, dass sie stärker für die Fähre wirbt. Zudem ärgert ihn seit Jahren, dass die eigentlich bewilligte Sanierung des denkmalgeschützten Fährmannshauses nicht vorankommt. Junghans würde dort gerne ein Café eröffnen, ergänzt durch eine Fotoausstellung zur Fähre. Das könnte seiner Ansicht nach mehr Frankfurter zur Überfahrt verlocken.

Mit den Erlösen könnte er seine wirtschaftliche Situation verbessern. Junghans kann sich auch vorstellen, seine Fähre für Hochzeiten zur Verfügung zu stellen. Und für die Fähre selbst wünscht er sich, sie möge wie eine Buslinie in die städtischen Verkehrsbetriebe aufgenommen werden. „Da gibt es meines Wissens nach Linien, bei denen private Betreiber deutlich stärker subventioniert werden als meine Fähre.“

Am Ende geht es, das leugnet auch Ortsvorsteherin Serke nicht, ein Stück weit um Symbolpolitik. Der Westen fühlt sich oftmals vergessen und ringt beständig um bessere Unterstützung durch die Stadt. Der Verlust einer weiteren Attraktion wäre da fatal. Serke sieht deshalb auch Oberbürgermeister Mike Josef (SPD) als Dezernent für die westlichen Stadtteile in der Pflicht. Dieser sagt auf Nachfrage zu, sich gemeinsam mit Siefert um eine Lösung zu bemühen. Es seien Gespräche geplant. Die Fähre, beteuert Josef, werde nicht untergehen.

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