Kanadas Ministerpräsident Trudeau muss um sein Amt bangen | ABC-Z
Es dauerte nur wenige Stunden, da forderte der kanadische Parteivorsitzende Jagmeet Singh Justin Trudeau zum Rücktritt auf. Der kanadische Ministerpräsident und seine Liberalen seien mit sich selbst beschäftigt, anstatt für die Kanadier zu kämpfen. Deswegen „muss er gehen“, äußerte Singh von der Neuen Demokratischen Partei, die Trudeaus Minderheitsregierung tolerieren. Auch die Konservativen forderten als größte Oppositionspartei Neuwahlen. Kurz zuvor hatte Chrystia Freeland, Kanadas Finanzministerin, stellvertretende Ministerpräsidentin und eine enge Vertraute Trudeaus, überraschend ihren Rückzug bekanntgegeben.
Für den 52 Jahre alten Trudeau ist das der jüngste und schwerste Schlag in einer Reihe von Rücktritten, die seine Position in den vergangenen Wochen weiter geschwächt hatten. Trudeau trat vor neun Jahren mit dem Versprechen an, dem Land einen „echten Wandel“ zu bringen.
Doch in den vergangenen Monaten liegt seine Liberale Partei Kanadas, der auch Freeland angehört, in Umfragen knapp zwanzig Prozent hinter den Konservativen zurück. Wie auch in den Vereinigten Staaten sind die gestiegenen Kosten durch Inflation und Migration dabei entscheidende Themen für viele Kanadier. Freelands Entscheidung, ihr Amt nach vier Jahren niederzulegen, könnte für Trudeau nun die finale Bewährungsprobe bedeuten.
Politischer Dolchstoß
Als Begründung für ihre Entscheidung, die einige kanadische Medien als politischen Dolchstoß bezeichneten, führte Freeland Differenzen darüber an, wie den von Donald Trump angedrohten Zöllen und einem möglichen Handelskrieg mit den Vereinigten Staaten zu begegnen sei. In einem am Montag auf der Plattform X veröffentlichen Schreiben heißt es, Trudeau und sie seien in den vergangenen Wochen „uneins über den besten Weg nach vorn“ gewesen.
Angesichts der von Trump angedrohten Zölle in Höhe von 25 Prozent auf kanadische Waren müsse man von „teuren politischen Spielereien“ absehen und Reserven für einen möglichen Handelskrieg mit Washington zurückhalten. Details zu solchen Maßnahmen nannte Freeland nicht. Kanadische Medien berichten jedoch, Freeland habe jüngst angekündigte zweimonatige Steuerbefreiungen und Einmalzahlungen für Kanadier nicht gutgeheißen, die von einigen als Versuch Trudeaus gewertet wurden, seine Beliebtheit zu steigern. Kanada liefert rund ein Dreiviertel seiner Gesamtexporte in die Vereinigten Staaten; Fachleute sagen im Falle solch hoher Zölle eine Rezession voraus.
Freeland: „Rücktritt einzig ehrlicher Weg“
Trudeau hatte Freeland vor ihrer Entscheidung am Freitag offenbar mitgeteilt, sie nicht mehr als Finanzministerin, wohl aber auf einem anderen Posten in seinem Kabinett haben zu wollen. Freeland äußerte nun, der Ministerpräsident habe damit klargemacht, dass sie das nötige Vertrauen und „die damit verbundene Autorität“ nicht länger genieße. Deswegen sei ein Rücktritt der einzige „ehrliche und gangbare Weg“. In einem Zeichen der Loyalität nicht mit Trudeau, wohl aber mit ihrer Partei äußerte sie weiter, sie wolle in der nächsten Parlamentswahl wieder antreten.
In dem Rücktrittsschreiben heißt es, Kanada könne der Bedrohung durch Trumps Zölle entgegentreten, wenn das Land „stark, klug und geeint sei“. Nach Einigkeit sieht es in Ottawa dieser Tage jedoch nicht aus. Freeland galt als mächtigste und loyalste Politikerin an der Seite Trudeaus, als „Ministerin für alles“. Sie ist vormalige Handelsministerin, Außenministerin, war für die Corona-Politik des Landes zuständig und handelte während der ersten Trump-Präsidentschaft das Nachfolgeabkommen für den nordamerikanischen Freihandelspakt NAFTA mit aus.
Auch die Loyalen werden abtrünnig
Freelands Rückzug am Montag kam wenige Stunden bevor sie das Parlament über die aktuelle Wirtschaftslage und Verbesserungen der Grenzsicherheit mit den Vereinigten Staaten unterrichten sollte. Trump hat die Zölle angedroht, sollte Kanada den angeblichen Zustrom von Migranten und Drogen nicht eindämmen. Am Wochenende hatte schon Wohnungsbauminister Sean Fraser, einer der aufstrebenden Politiker der Liberalen Partei, seinen Rückzug angekündigt.
Das verstärkt den Eindruck, Ministerpräsident Trudeau gingen selbst die loyalen Kräfte von der Fahne. Trudeau hatte erst Ende Oktober einen Versuch mehrerer liberaler Abgeordneter abgewehrt, ihn zum Rücktritt und Neuwahlen zu drängen. Der Ministerpräsident machte damals deutlich, er wolle die Partei auch in den nächsten Wahlkampf führen.
Nun könnte es an Singh und der Neuen Demokratischen Partei liegen, über Trudeaus politische Zukunft zu entscheiden. Entziehen sie den Liberalen die Unterstützung, könnten Neuwahlen abgehalten werden. Pierre Poilievre, der Parteiführer der Konservativen, schrieb am Montag auf X, „niemand“ habe Vertrauen in Trudeau, „nicht einmal seine eigenen Kabinettsmitglieder“. Es sei deswegen an Singh, eine Neuwahl zu unterstützen, „die Kanadas Interessen allem voranstellt“.
Der Parteivorsitzende Singh wollte zunächst nicht konkreter werden. Auf Nachfrage äußerte er am Montag, „alle Optionen liegen auf dem Tisch“. Doch es regte sich auch in Trudeaus eigener Partei Unmut. Verkehrsministerin Anita Anand äußerte, die Nachricht von Freelands Rücktritt habe sie „hart getroffen“ und sie behalte sich weitere Kommentare vor. Mehrere liberale Abgeordnete sprachen sich derweil öffentlich ebenfalls für einen Rücktritt Ministerpräsident Trudeaus aus.