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Kanada: Vancouvers ungewöhnlichster Straßenname – Panorama | ABC-Z

Die Straße, die bisher Trutch Street hieß, beginnt unweit des Kits Beach und zieht sich in gerader, baumbestandener Linie 18 Blocks durch Kitsilano, einen gut durchgentrifizierten Stadtteil der kanadischen Pazifikmetropole Vancouver. Es wohnt sich ruhig hier, nur Ende Juni war an der Ecke zur 10th Avenue kurz etwas mehr los als gewöhnlich. Städtische Arbeiter entfernten unter den Augen des Bürgermeisters, von Vertretern des indigenen Musqueam-Volks und der Lokalpresse das Straßenschild und schraubten ein neues, deutlich längeres an. Der Name, der nun daraufsteht, wird vielen Anwohnern wohl lange nicht so leicht über die Lippen kommen. Ihre Straße heißt jetzt:  šxʷməθkʷəy̓əmasəm Street.

Genau so. Es ist die erste Straße Kanadas, die sich nicht mit lateinischen Lettern schreibt. Ihr Name kommt aus dem hən̓q̓əmin̓əm̓, dem Dialekt der Sprache Halkomelem, den die Musqueam einst sprachen. Das Volk siedelte schon lange bevor die weißen Eroberer kamen an diesem Teil der Pazifikküste. Geschrieben wird der Straßenname mit Buchstaben des Nordamerikanischen Phonetischen Alphabets, kurz Napa. Wie er sich ausspricht, erklärt die Stadtverwaltung per Tonaufnahme auf ihrer Website.

Die Umbenennung ist ein Akt der symbolischen Wiedergutmachung für die Verbrechen der britischen Kolonialherren an den Ersten Nationen in der Provinz Britisch-Kolumbien, in deren Name ja bis heute die Unterwerfung der indigenen Völker mitschwingt. Im Stadtrat war unstreitig, dass gerade die Trutch Street ihren Namen abgeben sollte. Denn Joseph Trutch war zwar 1871 erster Leutnantgouverneur, also oberster Vertreter der Krone, in Britisch-Kolumbien. Aber er war auch ein übler Rassist, der die Ureinwohner als die „hässlichsten und faulsten Kreaturen“ beschimpfte und als Politiker die Reservate der Indigenen schrumpfte und ihr Recht einschränkte, Grund zu besitzen.

Sein Name steht für eine Politik, die den Ersten Nationen nicht nur ihr Land raubte, sondern auch ihre Kultur und ihre Sprache. In Vancouver gibt es laut Stadtverwaltung niemanden mehr, der die Sprache der Musqueam fließend beherrscht. Die Umbenennung soll ein Schritt sein, sie wiederzubeleben. Es sei ein „wirklich, wirklich herzerhebendes Gefühl“, schwärmt der Musqueam-Älteste Larry Grant laut Medienberichten, „dass wir sehen, wie unsere Sprache endlich öffentlich ist und nicht länger unterdrückt.“

Praktische Probleme für die Anwohner

Nicht alle aber sind so glücklich. Vertreter des Volks der Squamish beklagten, nicht konsultiert worden zu sein, obwohl die Straße auch ihr ehemaliges Siedlungsgebiete durchzieht – der Stadtteil Kitsilano ist nach einem ihrer letzten Medizinmänner, August Jack Khahtsahlano, benannt.

Und dann sind da noch die ganz praktischen Probleme für die Anwohner. Zwar verspricht Kanadas Post, künftig auch Napa-Buchstaben zu erfassen; bei fast allen Banken, Behörden, Versicherern oder Online-Händlern geht das jedoch nicht. Rettungsdienste äußerten die Sorge, Anrufer könnten im Notfall nicht aussprechen, wo sie sich befinden. An jeder Straßenecke hängt daher unter dem Schild mit dem offiziellen Namen jetzt noch ein zweites – mit der englischen Übersetzung: Als Musqueamview Street ist die Straße auch auf Stadtplänen zu finden.

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