Rassismus im Fußball: „In den Kurven gibt es eindeutig einen Rechtsruck“ – Sport | ABC-Z

Nach der 0:2-Niederlage der deutschen Fußballnationalmannschaft in Bratislava gegen die Slowakei waren sich die professionellen Beobachter einig wie selten: Außer Torwart Oliver Baumann und mit etwas Wohlwollen Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt hatte das gesamte deutsche Team eine schwache Leistung abgeliefert. Zu Hause, vor den Fernsehern, hatten das allerdings einige Menschen anders gesehen. Sie ließen ihren Frust an Nnamdi Collins, Antonio Rüdiger und Jonathan Tah aus. Die hatten zwar nicht schlechter und nicht besser als die meisten ihrer Kollegen gespielt, haben aber eine andere Hautfarbe. Der Deutsche Fußball-Bund („Besonders Rassismus hat hier überhaupt keinen Platz“) hat die Posts an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Noch schlimmer traf es ein paar Tage später Samiou Tchagbele vom SV Auerhammer (Sachsen) im Erzgebirgs-Pokalspiel beim SV Niederwürschnitz. Nachdem der Spieler während der gesamten Partie „aufs Übelste“ (SVA-Vorstand Konrad Schlegel) rassistisch beleidigt worden war, brachen seine Mitspieler das Spiel beim Elfmeterschießen ab und verließen den Platz. Das berichtet die Freie Presse.
:„Wieder mal die gleichen ekelhaften rassistischen Beleidigungen“
Englands Verteidigerin Jess Carter berichtet vor dem EM-Halbfinale von Hasskommentaren in sozialen Medien. Ihr Team stellt den Kniefall vor Spielen ein – und fordert neue Wege, um Rassismus zu bekämpfen.
Derweil könnte ein Fan des 1. FC Lokomotive Leipzig, der den Schalker Christopher Antwi-Adjei beim DFB-Pokal-Erstrundenspiel Mitte August rassistisch beleidigt hatte, bald gehörigen Ärger bekommen. Die Leipziger Polizei wird in den kommenden Tagen einen Namen bekannt geben, der ihr seit Längerem bekannt sein soll. Für den pöbelnden Anhänger könnte die rassistische Entgleisung teuer werden. Der Verein, dem wohl eine hohe Geldstrafe ins Haus steht, hätte dann die Handhabe, diese eins zu eins an den Verursacher weiterzugeben.
Die Ost-West-Frage ist gerade nicht die entscheidende, wenn es um die politische Entwicklung in den Stadien geht
Damit sind sie zumindest in Leipzig einen gehörigen Schritt weiter, zumal von der Messestadt ein Signal ausgeht, das selbst die Zielgruppe verstehen dürfte: Wer rassistische Schmähungen äußert und erwischt wird, muss zahlen. Andernorts werden die Täter noch gesucht. Am gleichen Pokal-Spieltag war es gleich viermal zu Rassismus-Vorfällen gekommen, neben Leipzig auch beim Spiel RSV Eintracht aus Stahnsdorf gegen 1. FC Kaiserslautern. Zudem kam es nach dem Mainzer Sieg in Dresden zu verbalen Attacken im Netz, beim Spiel der Dortmunder gegen Rot-Weiss Essen gab es ähnliche Vorfälle. Nach dem Foul von RWE-Profi Kelsey Owusu ploppten so viele rassistische Beschimpfungen in den Essener Online-Kanälen auf, dass diese geschlossen werden mussten. Risse bekam damit auch die in Westdeutschland so beliebte Selbstvergewisserung, wonach Rassismus primär ein ostdeutsches Phänomen sei: Dortmund liegt nachweislich nicht in Ostdeutschland.

Dabei trägt die gängige These, wonach die drei Rassismus-Vorfälle zuvor eben „typisch Osten“ seien, ohnehin nicht. Das zeigt schon der Schauplatz der Vorfälle beim RSV-Heimspiel im Potsdamer Karl-Liebknecht-Stadion. Dort ist im Liga-Alltag die Fanszene des Regionalligisten Babelsberg 03 beheimatet. Die ist klar antifaschistisch verortet – wie auch die vom FC Carl Zeiss Jena oder von Chemie Leipzig. Und auch bei Lok Leipzig hielten die beiden führenden Fangruppen im ersten Spiel nach dem „N-Wort“ ein eindeutiges Transparent in die Höhe: „Uns verbindet Fußball, nicht die Farbe deiner Haut.“
Überhaupt ist die Ost-West-Frage gerade nicht die entscheidende, wenn man über die politische Entwicklung in den Stadien spricht. Rechte Sprüche und rechtsextreme Tendenzen kehren derzeit bundesweit zurück – eine Entwicklung, die in allen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachten ist. Seit dem Ende der Corona-Pandemie, die viele Jugendliche schutzlos den tiefen Sümpfen im Internet auslieferte, drängen event- und gewaltorientierte Jugendliche in die Support-Blocks der Republik. Viele davon haben ein rechtes Weltbild, „angelernt“ bei Tiktok und den rechten Social-Media-Aktivitäten, die professioneller, schneller und meist intellektuell niedrigschwelliger sind als konkurrierende Angebote: Slogans wie „Für Verein und Vaterland“, „Ruhm und Ehre“ oder Symbole wie Adler und Ährenkranz sieht man in Ost und West seither wieder häufiger als noch vor drei Jahren. Sie zieren zunehmend auch Tattoos, Sticker und Graffitis – und stehen für einen Gesinnungsumschwung bei jüngeren Fußballfans, die in ihrer Mehrheit noch vor zwei, drei Jahren kein Stadion von innen gesehen hatten.
„Die Selbstheilungskräfte funktionieren noch“, sagt Philipp Beitzel über die Ultraszene der ersten und zweiten Liga
Schon jetzt kann man vielerorts nicht mehr automatisch mit breiter Unterstützung rechnen, wenn man sich gegen rechte Sprüche zur Wehr setzt. „In den Kurven gibt es eindeutig einen Rechtsruck“, bestätigt Philipp Beitzel von der Koordinierungsstelle der mehr als 70 Fanprojekte in Deutschland. Die sozialpädagogisch arbeitenden Fanprojekte unterstützen „die progressiven Kräfte in den Kurven“ und müssten „gestärkt werden“, findet er. Zumal der Fußball hier ein Spiegelbild der Gesellschaft sei: „Die gesellschaftliche Entwicklung ist von diversen Kulturkämpfen geprägt. Natürlich werden diese auch im Fußballstadion als einem bedeutsamen Sozialraum ausgehandelt.“
Und das hat Folgen: Die 700 beziehungsweise 450 Teilnehmer der vergangenen beiden rechten Demonstrationen gegen den Christopher Street Day in Bautzen waren fast alle fußballsozialisiert. Rechercheure des ZDF, die mehr über deren Herkunft herausfinden wollten, stießen schon 2024 auf „Fußballfans aus ganz Deutschland. Einschlägig bekannte Szenen wie Rostock, Dresden, BFC Dynamo oder Chemnitz, aber auch Anhänger von Union Berlin oder Hertha BSC“. Auch bei rechten Demonstrationen im Westen der Republik sieht man seit zwei Jahren wieder verstärkt fußballsozialisierte Aktivisten.
Allerdings gibt es – die Dinge sind kompliziert – im Hinblick auf Gewaltaffinität immer weniger Unterschiede zwischen rechten und linken Fußballfans. Die non-binäre Maja T., die mit ihrer „Hammerbande“ hemmungslos gegen echte und vermeintliche Rechtsextreme vorgeht, wird in der linken Fanszene Thüringens und Sachsens teilweise regelrecht verehrt. Und vielerorts ist in dem sich als links verortenden Teil der Fanszenen im Westen der antifaschistische Impetus offenbar auch nur noch ein Vorwand, um sich prügeln zu können.
Doch so verkehrt es wäre, den Rechtsruck in den Kurven zu ignorieren – so zu tun, als seien die Stadien schon jetzt ein Hort von Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit, ist auch falsch: Offener Rassismus, wie er sich rund um die vier Pokalspiele und das Länderspiel austobte, gehört im Alltag der ersten und zweiten Liga der Vergangenheit an. Und das vor allem dank der Ultras, die mehrheitlich nach wie vor links denken. Auch wenn sie sich als „unpolitisch“ bezeichnen, sie dulden keine rechten Sticker oder Parolen im Block. „Die rechten Tendenzen sind auf keinen Fall so stark, wie wir es schon mal hatten“, sagt Beitzel: „Dazu sind die Ultraszenen in dem Punkt zu sensibilisiert. Die Selbstheilungskräfte funktionieren da noch.“ Nicht von der Hand zu weisen sei allerdings, dass die Kräfteverhältnisse in vielen Kurven gerade neu ausgehandelt werden. Mit offenem Ergebnis.