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Wenn der Keller radioaktiv ist – Ebersberg | ABC-Z

Es entsteht tief im Boden, wenn Uran und Radium zerfallen. Dann steigt es auf, kriecht durch Kabel-Einführungen, Wasser- oder Stromleitungen und selbst durch kleinste Ritzen im Mauerwerk oder Kellerwannen. Man sieht, schmeckt, riecht es nicht. Weil Radon schwerer wiegt als Luft, steht es dann wie eine Wolke in den Kellerräumen. In vielen Gegenden des Landes ist das kein sonderliches Problem. Die radioaktive Dosis ist so niedrig, dass sie nicht mehr als krebserregend gilt. In vielen Teilen südlich der Münchner Schotterebene allerdings liegen die Dinge anders. Dort zeigt die Karte des Bundesamts für Strahlenschutz (BSI) tiefrote Bereiche, weil potenziell viel Uran und Radium zerfallen.

So wie irgendwo unterm Keller von Jonathan Schmieg in einer kleinen Straße im Grafinger Norden. Der 41-Jährige hatte im Internet von dem Stoff gelesen. „Ich dachte erst: Da ist bei uns sicher nichts. Das Haus ist erst ein paar Jahre alt, die Kellerwanne in einem Zug gegossen.“ Im Internet gibt es Radon-Passivtests zu kaufen. Schmieg kaufte einen. „Das sind kleine Exposimeter aus Kunststoff, die man für ein Jahr in den Keller stellt und deren Fotofilm dann ein Labor auswertet. Die hohen Werte haben mich dann schon ein bisschen aufmerksam gemacht.“

Im Keller von Jonathan Schmieg gibt es nun die selbstgebaute Entlüftungsanlage, die wird von einem Sensor gesteuert und springt an, wenn die Strahlung einen bestimmten Wert überschreitet. (Foto: Christian Endt)

Der Raum, in dem das Exposimeter stand, ist Schmiegs Hobbywerkstatt. „Auch unsere beiden Kinder sind hier unten oft mit dabei.“ Also besorgten sich die Schmiegs ein aktives und damit schnelleres Messgerät, das Momentaufnahmen liefert. „Wenn ich ein paar Tage nicht im Keller war, zeigte das Gerät auch mal eine Belastung von 700 Becquerel pro Kubikmeter Luft an.“ Wichtig für den Kontext: Radonaustritte stellen ein sehr lokales Phänomen dar. Schon im Nachbarhaus können die Werte ganz andere sein.

Laut Bundesamt für Strahlenschutz (BSI) erhöht sich das Lungenkrebsrisiko pro 100 Becquerel je Kubikmeter Luft um 16 Prozent. Bei etwa 600 verdoppelt es sich. Damit stehe das Edelgas nach dem Rauchen an zweiter Stelle als Verursacher von Lungenkrebs fest. Gefährlich ist nicht das Radon an sich, sondern seine kurzlebigen Zerfallsprodukte. Polonium, Wismut und Blei zum Beispiel. Sie lagern sich auf dem Lungengewebe ab und schädigen die DNA.

Die Fachleute empfehlen gründliches Lüften – im Keller ist das aber nicht ganz einfach, da das Gas schwerer ist als Luft

„Bei Radon-Konzentrationen über 300 Becquerel je Kubikmeter sind in jedem Fall Maßnahmen zur Senkung der Radon-Konzentration angebracht“, schreibt das BSI. Der von Bund und Ländern einberufene Ausschuss für gesundheitsbezogene Innenrichtwerte sowie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ziehen die Grenze bereits bei 100 Becquerel je Kubikmeter. Drüber sollten „grundsätzlich expositionsminderne Maßnahmen ergriffen werden“.

Als vermeintlich einfachste Lösung schlagen Experten vor: Querlüften. Nur funktioniert im Fall der Schmiegs so einfach nicht. Das Kellerfenster liegt oben im Raum. „Genauso wie Wasser würde auch Radon nicht nach oben aus dem Fenster fließen“, sagt Schmieg. Der Hausbesitzerverein empfiehlt in solchen Fällen Abdichtungen der Kellerwanne sowie spezielle Schutzanstriche auf dem Kellerboden. Die Kosten würden sich durchschnittlich auf je 10.000 Euro belaufen. Ob es nicht auch günstiger ginge, fragte sich Schmieg?

Aus der Hobbywerkstatt heraus kümmert sich der hauptberufliche ITler viel um allerlei Smart-Home-Lösungen. Wie zum Beispiel die LEDs an der Baddecke im ersten Stock. Die Zahnbürsten der Kinder hat er mit einer Software verbunden. Die erste Minute leuchten die LEDs rot, in der zweiten geht die Farbe nahtlos ins Gelb über und nach drei Minuten spring sie auf grün. Eine optische Stoppuhr für ausreichend langes Zähneputzen also.

Im Sommer muss ein Luftentfeuchter zugeschaltet werden, damit sich im Keller kein Schimmel bildet

Sieben 3D-Drucker stehen unten in der Werkstatt. Teilweise hat Schmieg sie selbst gebaut. Etwa, um maßgeschneiderte Plastikhalterungen für allerlei im Haus verteilte Sensorik zu drucken. Die Softwareplattform für Smart-Home-Anwendungen läuft auf einem mini-PC, die Weboberfläche auf Laptop und Smartphone.

Also los – und das aktive Messgerät unter die Werkbank gestellt. Von dort funkt es im Zehnminutentakt den rollierenden Radonkonzentration-Durchschnittsstundenwert an die Schnittstelle der Smart-Home-Software. Als Schwellenwert hat der Bastler den Wert von 50 Becquerel pro Kubikmeter genommen, so ist gleich etwas Puffer eingebaut. Überschreitet der stündliche Durchschnittswert die Marke, wirft die Steuerung den ebenfalls am Boden installierten Schlauchlüfter an. Der bläst die Luft durch den vorher ungenutzten Kaminschacht hinaus.

Im Sommer kommt eine weitere Logik hinzu. Sie hängt mit dem Temperaturgefälle zwischen warmer Luft draußen und der deutlich kälteren Luft im Keller zusammen. „Wenn der Lüfter die warme Luft ansaugt, kühlt sie sich im Keller ab und erhöht dort die Luftfeuchte“, erklärt Schmieg. „Das will ich vermeiden, weil bekanntlich ab 70 Prozent die Schimmelgefahr stark ansteigt.“ Die Lösung: Eine Sensorik erkennt, ob die Kellerfenster gerade gekippt sind. In diesem Fall würde die Steuerung den Lüfter nur dann anschalten, wenn die PV-Anlage auf Überproduktion läuft. „Dieser Strom fließt dann in den Luftentfeuchter, damit die Luftfeuchtigkeit im Rahmen bleibt.“

Ob die Bastelei nicht ein bisschen viel des Guten sei? Immerhin wohne und schlafe er ja nicht im Hobbykeller. Schmieg wiegt den Kopf hin und her, sucht kurz nach den passenden Worten. „Ich hab‘ einfach richtig Spaß daran, das Haus ‚smart‘ zu machen und das Zusammenspiel immer weiter zu perfektionieren. Vor allem, wenn es um irgendetwas Besonderes geht.“ Bastlerehrensache, dass ein aus dem Boden aufsteigendes radioaktives Element in diese Rubrik fällt.

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